Bindung

Wie wir heute wissen, beginnen Austausch, Kommunikation und Bindung bereits im Mutterleib.

In den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts hatte John Bowlby zum Thema Mutter-Kind-Bindung publiziert – allerdings für die Zeit nach der Geburt (anderes war damals noch nicht denkbar) – und vier Bindungsphasen beschrieben:
1. Vorphase – Zeit von der Geburt bis zur 6. Lebenswoche.
Ein Säugling zeigt bei jeder Person Bindungsverhalten (= alle Verhaltensweisen eines Kindes – z.B. Blickkontakt, Lächeln oder Weinen -, um die Nähe der Bezugsperson zu sichern ), damit seine Bedürfnisse erfüllt werden.
2. Phase der entstehenden Bindung (= emotionale Verbundenheit von Eltern und Kind) – ca. 6. Lebenswoche bis 6. bis 8. Lebensmonat.
Die Reaktionen des Säuglings auf vertraute Personen werden immer spezifischer und das Baby entwickelt spezifische Erwartungen an das Verhalten der Bezugspersonen.
3. Phase der ausgeprägten Bindung – vom 6. bis 8. Lebensmonat bis hin zu einem Alter von 1,5 bis 2 Jahren. In dieser Zeit entsteht die spezifische Bindung zur Bezugsperson. Der Säugling bzw. das Kleinkind beginnt zu “Fremdeln”, es protestiert bei Trennungen, wie auch gegenüber Fremden, und bemüht sich um aktive Kontaktaufnahme zu den Bezugspersonen.
4. Phase der reziproken (wechselseitigen, aufeinander bezogenenBeziehungen – ab 1,5 bis 2 Jahren.
Beim Kleinkind entsteht ein inneres Arbeitsmodell, in dem die eigenen Bindungserfahrungen abgespeichert sind. Das Kind ist jetzt zunehmend in der Lage, Trennungen von den Bezugspersonen zu akzeptieren. Bei positiven Bindungserfahrungen weiß das Kind, dass die Bezugsperson als “sicherer Hafen” verfügbar ist, auch wenn sie gerade nicht anwesend ist. Stofftiere, Puppe, ein „Lappi“ dienen hier oft als Übergangsobjekte, die den abwesenden Elternteil symbolisieren.

Mary Ainsworth gelang es in den 1970er Jahren, Bowlbys Bindungstheorie in einer standardisierten Situation beobachtbar zu machen. Mit Hilfe des Fremde-Situations-Tests  fand sie mehreren Reifegrade in der kindlichen Entwicklung, bei Trennung und Wiedervereinigung zwischen einer Bezugsperson und dem Kind. Anhand dieses Tests lassen sich vier Bindungstypen unterscheiden:
1. der sichere Bindungstyp
Das Baby bringt Vertrauen in die Feinfühligkeit der Bindungsfigur. Das sicher gebundene Kind ist entspannt. Sein Aktionsradius vergrößert sich laufend, es kann seine Bindungsfigur als sichere Basis benutzen, um die fremde Umgebung zu erforschen. Entsprechend dieser hoch entwickelten Form „sichere Bindung“ vermisst das Kind seine Bezugsperson während der Trennungssituation und zeigt das, z.B. durch Weinen. Es lässt sich durch eine fremde Person nicht trösten und freut sich, wenn die Bezugsperson wieder den Raum betritt. Insgesamt bestehen positive Erwartung über einen guten Ausgang einer frustranen Situation. Diese Kinder haben einen guten Zugang zu den eigenen Gefühlen, Selbstvertrauen, Respekt, Frustrationstoleranz und Empathiefähigkeit. Sie reagieren angemessen und vorhersehbar.
Ein solches Modell gibt im Kindes- und Erwachsenenalter Autonomie.
Neben sicheren frühen Erfahrungen in gutem Kontakt zu den Bezugspersonen kann später auch eine tiefgreifende Verarbeitung negativer Kindheitserlebnisse zu einer autonomen Bindungseinstellung führen.
2. der unsicher-vermeidende Bindungstyp
Nicht alle Eltern sind in der Lage, ihren Kindern immer die Erfahrung von Sicherheit und Verbundenheit zu vermitteln, sodass diese eine sichere Bindung aufbauen könnten. Besonders betroffen sind Eltern, die selbst emotional schlecht genährt aufgewachsen sind und diese Erfahrungen nicht verarbeitet haben. Sie sind in vielen Situationen verschlossen, unsensibel, unzugänglich.
Somit wird für das Kind das Erleben des Nähe-Suchens und somit einer sicheren Basis beeinträchtigt. Denn die Kommunikation zwischen Mutter und Kind ist nicht verlässlich. Die Mutter ist emotional nicht genügend verfügbar und verhält sich häufig dem Kind gegenüber ablehnend. Entsprechend vermeidet das Kind mehr und mehr den Kontakt und auch sein Erkundungsverhalten allgemein wird stark eingeschränkt.
In der Folge macht macht das Kind kaum einen Unterschied zwischen Bezugsperson und fremder Person. Während der Trennung von der Bezugsperson sind diese Kinder kaum beunruhigt oder traurig. Wenn die Bezugsperson dann wieder den Raum betritt, wird jedoch der Kontakt bzw. die Interaktion vom Kind mit der Bezugsperson eher vermieden (Die Bezugsperson wird sozusagen für sein Verschwinden bestraft). Eine Integration negativer Gefühle in eine positive Erwartungshaltung ist nicht möglich. Negativen Gefühle zur Bindungsfigur werden einfach nicht mehr ausgedrückt, vermieden. Das Kind wird in sich unsicher, spricht höflich, aber distanziert zur Bindungsperson. Die Antworten sind kurz, auf das Nötigste beschränkt, eher launisch und unkooperativ, häufig wird versucht, den eigenen Kopf durchzusetzen.
Im Erwachsenenalter werden emotionale Themen eher vermieden und Unabhängigkeit betont.
3. der unsicher-ambivanlente Bindungstyp
Auch bei diesem unsicheren Modelle von Beziehung zur nächsten Umwelt gewöhnen sich die Kinder daran, die Beziehung zu ihren Eltern auf ihre eigene Weise zu organisieren. Beim ängstlich ambivalenten Modell wird die Bindungsperson als nicht berechenbar und nur inkonstant Verfügbar erlebt. Dadurch wissen die Kinder nicht, was sie erwarten sollen. Dadurch, dass Verlassenwerden ein immer präsentes Thema ist, ist das Erkundungsverhalten einschränkt – und, damit zusammenhängend, sind Entwicklungsfortschritte behindert. So wirken die Kleinkinder lange Zeit unreif und anhänglich, weil eine Zuversicht in die Verfügbarkeit und Voraussagbarkeit der Bezugsperson fehlt. Die Kinder sind in chronischem Stress. Daher „klammern“ diese Kinder, „hängen am Rockzipel der Mutter“ und verlassen, auch ohne Trennung, kaum den Nahbereich der Bezugsperson. In der Trennungssituation reagieren diese Kinder oft wütend oder passiv. Auch wenn die Bezugsperson wieder zurückkommt, lassen sie sich von der Bezugsperson nur schwer wieder trösten.
Die Ambivalenz mit ihrer Unsicherheit wirkt sich auch später auf Interaktionen mit anderen Kinder, mit ihrem weiteren sozialen Umfeld, mit anderen Erwachsenen aus.
Als Erwachsene sind diese Menschen schlecht in der Lage, unterschiedliche Gefühle zu integrieren; wirken inkohärent (unzusammenhängend), reden weitschweifig und in unvollendeten Sätzen, sind passiv oder ängstlich gegenüber Bindungspersonen.
4. der desorganisierte-desorientierte Bindungstyp
In diesem Fall sind die Verhaltensweisen des Kindes widersprüchlich oder unerwartet. Das kann z.B. sein, wenn das Kind in seinen Bewegungen “einfriert” oder wenn es die gleichen Handlungen immer und immer wieder ausführt.
In diesen Fällen spielen traumatische unverarbeitete Ereignisse oft eine Rolle, die eine innere Alarmierungssituation ständig präsent halten. Entsprechend sind diese Personen oft beängstigend, verwirrend, beunruhigend, chaotisch. So steht ihnen ihnen die Möglichkeit an Pflege und Fürsorge oft nur eingeschränkt zur Verfügung. Die Babys beginnen häufig zu weinen und entwickeln kaum einen Schlafrhythmus – oder sie verhalten sich still und ruhig. Sie haben bereits intrauterin (im Mutterleib) die Unberechenbarkeit wahrgenommen. Daher sind sie als Kleinkinder kaum in der Lage, eine klare Bindungsstrategie zu entwickeln. Im Laufe der Zeit jedoch entwickeln sie meist eine kontrollierende Strategie, die in vielen Fällen an eine Rollenumkehr erinnert. Sie fühlen sich entweder für das Wohlergehen der Bindungsfigur verantwortlich und werden fürsorglich – oder sie versuchen nach einer Trennung die Kontrolle durch bestrafendes Verhalten zu behalten (Beschimpfungen oder Tätlichkeiten).
Als Erwachsenen zeigen sich diese Muster in verbalen oder gedanklichen Inkohärenzen (fehlenden Zusammenhängen) und Irrationalitäten (der Vernunft widersprechend) bei ganz bestimmten Bindungsthemen wie Tod, Trennungen oder Beschreibung eines erlebten Missbrauchs.
Bei Missbrauch ist es unmöglich, dass Eltern ihren Kindern ein Gefühl der Sicherheit vermitteln. In der Folge fallen Selbstregulation, soziale Kommunikation und logisches Denken schwer; kompensiert durch eine Neigung zur Gewalt oder einer Tendenz zur Dissoziation.

Laura E. Berk konnte dann 2005 zeigten, dass der sichere Bindungstyp mit 60-70% am häufigsten gefunden wird. In den meisten Fällen also gelingt eine gesund Bindung zwischen Kind und Eltern.
Danach folgen die unsicher-vermeidende Bindung mit 15-20% und die unsicher-ambivalente Bindung mit 10-15%. Schlusslicht bildet die am geringsten integrierte desorganisiert-desorientierte Bindung mit 5-10%. Diese Häufigkeiten gelten vor allem für die individualistische, westliche Kultur.
Walters et al haben dann um 2000 herausgefunden, dass Bindungserfahrungen und damit auch der Bindungsstil relativ stabil sind und auch im Erwachsenenalter noch wirken.

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