In Krisenzeiten greifen psychologischen Mechanismen – unabhängig vom Anlass der Zuspitzung.
Denn in schwierigen Zeiten zeigen sich Verhaltensweisen, die auf Entscheidungen beruhen, die von Menschen getroffen werden. Die aber sind allesamt der menschlichen Psychologie unterworfen.
2020 steht die Corona-Krise im Vordergrund der Aufmerksamkeit, davor waren es andere Geschichten, die in den Medien hohen Zuspruch erhielten, Emotionen weckten und Stimmungen erzeugten.
Die Pandemie-Krise führt den Menschen wieder vor Augen, wie fragil (zerbrechlich) das eigene Leben ist – gerade in den westlichen Gesellschaften, in denen die Illusion von Sicherheit nun schon eine ganze Weile als „Normalität“ erlebt werden konnte.
Hier einige anerkannte psychologischen Konzepte und Begriffsklärungen vorweg, die in aktuellen, wie „ererbten“ Krisen wirksam werden; kurz zusammengefasst:
- Unsicherheit – wir können letztlich nicht wissen, was in der Zukunft geschehen wird.
- Unbewusste Fantasien – die von Emotionen durchzogenen Geschichten, die wir uns in unseren Gedanken über das erzählen, was wir mit anderen Menschen und anderen Objekten tun und was sie mit uns tun, sind uns nur zum Teil bewusst.
- Objektbeziehungen – (Beziehungen zu Menschen, Vorstellungen und Dingen) sind affektive Beziehungen der Bindung und Anziehung, die wir in unseren Gedanken mit aufbauen.
Auch das ist uns nur teilweise bewusst – also nicht in allen Facetten denkbar. - fantastische Objekte – das sind subjektiv sehr anziehend auf uns wirkende Objekte (Menschen, Vorstellungen, Dinge), die wir als höchst aufregend empfinden und idealisieren. Wir stellen uns vor, dass sie unsere größten Wünsche befriedigen – ihre Bedeutung ist uns nur zum Teil bewusst.
- Ambivalenz – in Beziehungen zu Objekten sind in unseren Gedanken und Gefühlen immer hin-und-her-gerissen; schwanken – oft unbewusst – zwischen Liebe und Hass.
- gespaltener Zustand – ein wechselnder, in sich nicht zusammenhängender (kohärenter) Zustand, der sich durch nicht zusammenpassende (inkompatible) Überzeugungen und Vorstellungen auszeichnet. Trotz der Widersprüche in sich glaubt man aber fest an den jeweils bewussten Zustand. Dies beeinflusst unweigerlich unsere Wahrnehmung der Realität, so dass bestimmte Anteile einer Faktenlage sich „von jetzt auf gleich“ umkehren können, wobei je ein Teil vorübergehend vom Bewusstsein aktiv umgangen und unbewusst systematisch ausgelassen wird.
- integrierter Zustand – ein seelischer Zustand, der sich durch ein Gefühl der Kohärenz auszeichnet. Dadurch wird die Wahrnehmung der Realität derart beeinflusst, dass uns unsere gegensätzlichen ambivalenten und unsicheren Gefühle und Gedanken sowie die gefühlten Beziehungen zu den Objekten (Menschen, Vorstellungen, Dingen) mehr oder weniger bewusst sind.
Im integrierten Zustand kann man über eine Situation nachdenken.
Ein gespaltener Zustand steht als Gegensatz zu einem integrierten (Ich-)Zustand.
In letzterem sind sowohl die Konflikte, wie die von ihnen erzeugten unangenehmen Gefühle mehr oder weniger bekannt und können ausgehalten werden, um sie dann in angemessener Weise (sozialverträglich), bei passender Gelegenheit, zum Ausdruck zu bringen.
Damit sind diese Zustände nicht nur realistischer und stabiler, sie fordern emotional auch stärker. - Gruppenempfindungen – Mitglieder einer Gruppe (das kann eine virtuelle oder reale Gruppe sein) haben immer einen starken und nicht vollständig bewussten Wunsch, nicht anders zu sein. Danach richten sie ihr Denken und Handeln aus, orientieren sich an den anderen, um sich wie der Rest der Gruppe zu fühlen.
Im Alltag sind es immer wieder Wünsche (Bedürfnisse) und Gefühle, die einen bedeutenden Einfluss auf Aufmerksamkeit und das Denken, Fühlen und Handeln haben.
(Dabei macht es bei den beobachtbaren Vorgängen im Gehirn nur geringe Unterschiede, ob es sich um reale oder vorgestellte Szenarien handelt.)
In der Regel führen die Bedürfnisse zu Bewegungen und Handlungen, mit denen das Bedürfnis befriedigt werden soll.
Solange der Zyklus mehr oder weniger „rund“ läuft, gibt es keinen Anlass für innere Unruhe oder Unstimmigkeiten, kognitive Dissonanzen, Spannungen und Konflikte.
Ganz anders, wenn Hindernisse im Weg oder phantasierte Zustände unerreichbar sind.
Dann bildet sich im Wesentlichen eine stereotype, charakteristische Entwicklung als emotionale Sequenz (Aufeinanderfolge von Zuständen) aus:
Aus klinisch-psychoanalytischer Sicht bildet sich eine pfadabhängige emotionale Abfolge gespaltener Zustände aus: in ihr beherrscht eine unrealistische, antriebsgesteigerte, manische Erregung das Denken, Vorsicht und Bedenken werden aufgegeben, Gier wird dominant und die Wahrnehmung engt sich ein, das Urteilsvermögen ist beeinträchtigt und es liegt ein starker Widerstand gegen die Bewusstmachung vieler Anzeichen der Realität vor.
Die aus dem Bedürfnis bzw. dem empfundenen Mangel generierte Sehnsucht und Kraft lässt die Bewegung zunächst mehr oder weniger aggressiv gegen das Hindernis anrennen.
Zeigt sich ein Hindernis aber als unüberwindbar (z.B. weil die Corona-Viren jetzt in der Welt sind oder weil eine letzte Wahrheit nicht ergründet werden kann), kommt es zu Spaltungsprozessen: Einmal richtet sich die Energie rückwärts, um die Wahrnehmung des Bedürfnisses (z.B. Hunger beim Fasten) herabsetzen oder eben ganz aus dem Bewusstsein zu tilge – und um sich andererseits auf Ersatzbefriedigungen auszurichten, um zumindest einen Teil des ursprünglichen Impulses zu realisieren, aber sich auch mit einem Teil damit resignativ zufrieden zu geben (Sublimierung) – … vermeintlich!
Denn der unbefriedigte Teil des zugrunde liegenden Bedürfnisses verbleibt als Restspannung im Körper (wie auch in ganzen Gesellschaften) und wirkt aus dem Unbewussten heraus weiter. Es sucht nun bei allen möglichen – passenden oder auch unpassenden – Gelegenheiten danach, doch noch zu einem Abschluss für die offene Gestalt (Gestalttherapie) und zur Erfüllung der unerfüllten Sehnsüchte zu kommen.
Weil Teile der Realität nicht wahrnehmbar und nicht denkbar (unbewusst) von der Erfahrung abgetrennt sind, kann dieser Zustand „innerlich konfliktfrei“ längere Zeit andauern (bei manchen Themen auch Jahrhunderte).
Dabei zeigt die eigene subjektive Wirklichkeit eine andere Welt, als die objektive Realität,
Erst wenn die Vorstellungsblase platzt (ähnliche Entwicklungen sehen wir z.B. an der Börse), wenn die Paranoia zerfällt, die Realität plötzlich wieder sichtbar wird, folgen unweigerlich Schreck und Panik,
bis dann Schuldgefühle beherrschende Züge annehmen.
Leider sind in dieser Phase Lernprozesse unwahrscheinlich,
sofern nicht die gesamte Erfahrung durchgearbeitet und integriert und der Verlust (auch seelisch vollkommen) angenommen werden kann.
Das Risiko, sich den schmerzlichen Entwicklungsprozessen zu stellen, mögen viele Menschen und Gesellschaften jedoch nicht eingehen.
Somit bleib meist alles weitgehend beim Alten.
Markant für die oben beschriebenen Prozesse sind Objektbeziehungen (Beziehungen zu Menschen, Dingen, Ideen) in ihrer einfachsten Form erst einmal Geschichten, die zunächst in Gedanken erzählt und später auch mit anderen geteilt werden. Die am häufigsten weiterergetragenen (reproduzierten) Geschichten setzten sich durch, werden dabei mit einem hohen Glaubwürdigkeitsfaktor ausgestattet (im eigenen Kopf wie im gesellschaftlichen Kontext).
Das Ersehnte entsteht zunächst als Repräsentationen *) in einer imaginären (bildlich vorgestellten, phantasierten) emotionalen Beziehung zwischen Subjekt und Objekt, zwischen mir und dir bzw. einem Gegenstand oder einer Idee.
Ziel dieser Objetbeziehungen sind gute Gefühle.
*) Bei genauer Betrachtung sind „Repräsentationen“ (mentale Modelle, Wiedergaben) allerdings
aktive Präsentationen (Vorstellungen, Konstrukte) unseres Gehirns.
In der Praxis realer Interaktionen, eines wirklichen Miteinander, sind die Objektbeziehungen dann nicht so einfach: wenn z.B. mehrere Personen beteiligt sind, sinkt logischerweise die Kontrolle über Aktionen der Einzelnen *) Somit werden die erwünschten Ergebnisse nicht immer erreicht und die Gefühle bleiben nicht immer eindeutig positiv.
In der Folge erleben wir die meisten Beziehungen ambivalent: manches mögen wir, anderes nicht, wir Lieben, wir Hassen.
*) Bei zwei Personen z.B. heißt es 1 : 2 = 1/2 – die Mitbestimmungsmöglichkeit ist also um die Hälfte gesunken;
bei mehr Personen fällt die Reduktion der Selbstbestimmung noch drastischer aus.
In einem gut integrierten Zustand lässt sich das aushalten;
in Stresssituationen aber sinkt die eigene Belastbarkeit für innere Spannungszustände, da ja bereits für die äußere Situation ein Höchstmaß an Anspannung und konzentrierter Vorsicht verbraucht werden.
Um das Gefühl der Kohärenz (des inneren Zusammenhanges in mir selbst) und der Integrität (Unversehrtheit) einer Person nicht in Gefahr zu bringen, werden dann Notfallmechanismen aktiviert. Dabei stehen der Psyche eine ganze Reihe von Abwehrmechanismen zur Verfügung, um unangenehme Spannungen zu reduzieren.
Manchmal jedoch sind Konflikte jedoch so stark, dass es zu unangenehm ist, sie zu erkennen:
Stehen in der Psyche also (scheinbar) unvereinbare Aspekte miteinander im Konflikt, kann es zu einem seelisch gespaltenen Zustand kommen, in dem das Unangenehme oder das mit den eigenen Erwartungen und Werten unvereinbare, aus dem Bewusstsein ausgeblendet wird.
(„Die eine Hand weiß dann nicht, was die andere tut.„)
Durch solches Erzeugen von „Eindeutigkeit“ wird konfliktbedingte Spannung aufgelöst, Frustration wird vermieden und das – real oder phantasiert – bedrohte Selbst einer Person geschützt.
In solchen Spaltungsprozesse können zeitweilig die realen Repräsentationen (innerlichen Verkörperungen, Vorstellungen) von Beziehungen zu einem Objekt völlig ausgeblendet (unbewusst gemacht) werden.
Damit stehen sie der eigenen Wahrnehmung, dem eigenen Denken der Realität nicht mehr zur Verfügung.
Doch auch wenn etwas unbewusst (nicht gewusst) ist, wirkt die Realität selbstverständlich weiter.
Wir merken das oft erst später an den Auswirkungen.
Ein typisches Merkmal eines gespaltenen Prozesses ist die plötzliche Umkehrung von Präferenzen:
Plötzlich werden völlig gegensätzliche Überzeugungen hoffähig.
(In Zeiten der Corona-Krise z.B. gab es den Umschlag in Punkto Gesichtsverhüllung:
war gestern noch Vermummungsverbot, Burkadiskussion und die Notwendigkeit betont, das ganze Gesicht eines Gegenübers zu sehen sein muss, wird heute jemand, der ohne Mundschutz, der nur die Augen frei lässt, schief angesehen, da er angeblich gewissenlos fahrlässig andere Menschen gefährdet (allerdings erst nachdem hinreichen Masken für die Bevölkerung zur Verfügung standen).
Innere oder äußere situative Veränderungen können also sehr rasch Auswirkungen in dieser Art hervorrufen.
Gibt es also eine bestimmte Notsituation in einer Gruppe oder wird ein begehrtes Objekt durch Influencer (Meinungsmacher) gepuscht (z.B. Terrorismus, Klimawandel, Corona-Krise in letzter Zeit)
kann es leicht dazu kommen, dass die Denkprozesse kollektiv vom Gruppenempfinden dominiert werden – statt von der Realität.
Die stimulierte Fantasie kreist nun gemeinschaftlich um ein Thema.
Denn sobald die Geschichte von einem fantastischen Objekt die Runde macht und eine gewisse (mediale) Zustimmung erfährt, hat das Thema eine (starke) emotional erregende Komponente, die das vernunftbetonte Denken stört. Dann greifen gruppendynamische Prozesse.
(Eine Ausprägung davon hat z.B. Wilhelm Reich 1933 in seinem Buch Massenpsychologie des Faschismus, analysiert.)
Denn es geht dabei um viel mehr, als um eine Geschichte über Rettung, Erlösung und Sicherheit, über Anhäufung von Reichtum und Macht; über konkurrierende Denksysteme oder die erwartete Zukunft: unterschwellig geht es bei all den Geschichten um die Teilhabe an einer imaginierten (sich in der Vorstellung abspielenden) Objektbeziehung, in der der Besitzer des gewünschten Objekts (z.B. „der Wahrheit“) mit der allmächtigen Fantasie spielt, dauerhaft und exklusiv Zugang zum ersehnten Objekt und zu allem Guten zu haben. Schließlich war Teilhabe und Anerkennung geschichtlich betrachtet Überlebens“garanten“ und entsprechen Urinstinkten.
Ein weiterer „Vorteil“ solch kollektiver und eindeutiger Handlungsstränge ist die „Befreiung“ von Verantwortung und Zweifel. Die sind an eine „höhere Macht“ oder „das Kollektiv“ abgegeben, das sich vermeintlich in seiner „Schwarmintelligenz“ *) kaum irren wird.
In der Folge werden der Risiken der subjektiven Sicht nicht mehr gedacht und alternative Ansichten geringschätzig abgetan. Das erklärt, warum sich Skeptiker nicht durchsetzen können.
*) Wobei die scheinbare „Schwarmintelligenz„, die als Phänomen bei Fisch- und Vogelschwärmen beobachtet wurde,
lediglich die Orientierung am Nebenmann ist,
die zu einem geordnet und intelligent erscheinenden Bewegungsverhalten des Schwarmes führt.
Speziell in Krisenzeiten (Situationen in denen man sich bedroht fühlt) spielen insbesondere Gefühle der Unsicherheit und Angst eine große Rolle, ebenso wie die Sehnsucht nach Rettung, Geborgenheit und Zugehörigkeit.
Entsprechend wurden angsterzeugende Geschichten von politischen wie religiösen Gruppen im Verlauf der Geschichte immer wieder genutzt, um das Denken von vielen in eine gemeinsame Richtung zu lenken.
Heute steht thematisch einen unsichtbarer Virus im Vordergrund, der das eigene Leben bedroht. Gestern noch waren es das sich verändernde Klima, radioaktive oder militärische Bedrohungen oder der Zorn Gottes, usw., sowie all die damit inszenierten oder erwarteten sozialen Folgen, die schwer wiegen, weil sie das eigene Selbst bedrohen.
Das Gefühl der Bedrohung, ausgeliefert und unsicher in der Welt zu sein, war für unsere Vorfahren über Jahrtausende der Normalzustand. Selbstverständlich suchten sie da nach Auswegen und das Gefühl von Sicherheit wurde ein hohes Gut; … noch heute ist es eine Voraussetzung für Lernprozesse.
Andererseits ist Sicherheit, ein vorgestellter idealen Zustand, den es paradoxerweise mit Sicherheit nicht gibt – außer beim Tod, der ist bereits bei der Geburt „beschlossene“ Sache.
Das Unbekannte aber, sei es der Tod oder auch sonstiges Neues, macht oft Angst, löst aber auch neugierige Entdeckerfreude aus.
Und genau in diesem Spannungsfeld ist das Leben immer von Ambivalenzen, einem Hin- und Her-Gerissensein, gekennzeichnet; so dass auch unser Denken diese polare Struktur von Gegensätzen aufweist.
Um die dadurch permanent und in Krisensituationen besonders hervorgerufene Spannung zu reduzieren, dienen im außen Stellvertreter der schützenden Eltern oder Gruppe oder die Vorstellung wohlgesonnener Geister (als Gegenspieler des Bedrohlichen); Rituale, die die Welt (z.B. über regelmäßige Festtage) rhythmisieren und so überschaubar, einschätzbar, vorhersagbar, gefühlt sicherer machen. Ebenso sind Narrative (Geschichten, die man sich erzähl), selbst Diagnosen, im Stande das Unbekannte auf magische Weise zu bannen und zu erklären (auch unabhängig von realen Bezügen). Zudem gibt es auch in der eigenen Innenwelt persönlich bevorzugte Abwehrmechanismen, die die Spannung mindern können.
So mag es in der aktuellen Krise für viele ein wohltuendes Gefühl sein, dass es da eine strenge, wohlwollende Mutterfigur Merkel und den Virologen Droste gab, die den Eindruck vermittelten, sie wissen, was zu tun sei, um Leben zu retten.
In der Frühgeschichte, so wird aufgrund von archäologischen Funden angenommen, waren die Mütter, die sichtbar Leben schenkten, ebenfalls hervorgehobene Figuren.
Später, mit gesellschaftlichen Veränderungen einhergehend, rückte das Bild von einem guten, gerechten, aber auch strafenden Vater in den Vordergrund der Vorstellungen – so auch im Götterhimmel, der damals, wie heute, für vieles als Erklärung herhalten muss(te), da man so manches (noch) nicht besser wusste.
Entwicklungen bauen eben immer auf dem auf, was da ist, sind ein beständiger Anbau.
In den kleinen privaten, wie insbesondere in großen Krisensituationen greifen Menschen auf diese im historischen wie auch im individuellen Leben früheren Vorstellungen zurück und flehen Gott um Hilfe und Erhörung an – wenig verwunderlich dabei: in der vom Menschen gewünschten Weise; manchmal allerdings auch in Form der anderen Polarität, als „Dein Wille geschehe“.
Denn im Zustand einer realen oder gefühlten oder phantasierten Bedrohung, werden – biologisch vorgegeben – regressive Muster wirksam.
Nahezu zwangsläufig beginnen in unserem Denken, wie auch im gemeinschaftlichen Verhalten, Veränderungen vorzugehen, um mit der Bedrohungssituation fertig zu werden.
Typische Reaktionen sind Impulse zur Flucht bzw. Vermeidung, Angriff oder nicht wahr haben wollen. Parallel stört das Abwehrverhalten das realistische Denken grundlegend: Es entstehen gefährlich begeisternde Geschichten (z.B. Verschwörungstheorien, in denen ein an der misslichen Situation Schuldiger benannt wird), problematische psychische Zustände (die die Realität ausblenden) und eigenartige Gruppenprozesse (z.B. Mitläufertum, dabei und zugehörig sein wollen, denn Gruppe schützte früher Überleben).
Wird aus solchen Prozessen nichts gelernt, da man so schnell wie möglich zum gewohnten Tagesgeschäft und zum gewohnten Verständnis zurückkehren möchte, folgt auf eine Krise nur die nächste. Die Person oder Gesellschaft hat nur eine Ehrenrunde gedreht, bis die nächste schmerzliche Situation kommt und wieder eine Chance bietet, besser zu verstehen und Entwicklungsprozesse einleiten.
Man kann aus Erfahrung lernen und erkennen, dass es im Zusammenleben – privat wie gesellschaftlich – sinnvoll ist, Regulierungen und Selbstregulierungen zu üben und einzuhalten.
An dieser Stelle haben (auch religiöse) Vordenker sehr nützliche Wege aufgezeigt
Bei der Vermittlung solcher Regeln haben religiöse Vorstellungen und philosophische Vordenker über viele Jahrhunderte einen hervorragenden Platz eingenommen – auch wenn die Einhaltung der Gesetze in der Praxis oft nicht stringent durchgehalten werden und menschliche Schwächen immer wieder Raum greifen.
Aus heutiger Sicht könnte es an der Zeit sein, rationalere Erkenntnisse an die Stelle treten zu lassen.
Letztlich aber wird im Wettstreit der Geschichten und Emotionen die Story überlegen sein, die sich weiter verbreitet lässt und die den Menschen attraktiver erscheint – unabhängig vom Wahrheitsgehalt.
Tröstend-sichernde Geschichten sind attraktiver als solche, die damit argumentieren, es sei erwachsener / integrierter, Spannungen aushalten zu können. Ängstigende Geschichten die zugleich ein Lösung anbieten, sind (ob nun mir rechten oder linken Ideologien) entlastender, als solche die Gelassenheit propagieren. usw.
Die alten Geschichten und Emotionen stehen Neuem gegenüber, argumentieren mit ihrer Wahrheit, Erkenntnis, der Einzigartigkeit der Welt, ihrer Schönheit und dass anders einfach unvorstellbar sei.
Dabei ist gut nachzuvollziehen, wie es entlastend es wirkt, wenn da ein lenkendes, wissendes Etwas ist, statt dass man profan ein Tier unter anderen ist und nichts Besonderes in diesem weiten Kosmos, lediglich natürlichen Prozessen unterworfen.
Was soll man damit anfangen, wenn die modernen Erkenntnisse einem aufzeigen, dass selbst das eigene Selbst, die Vorstellung und das Erleben eines eigenen Ich, nur eine Geschichte ist, die wir uns selbst erzählen, für die es aber im Gehirn kein Korrelat, keinen Ort gibt, der steuernd gestaltet.
Parallel dazu deuten viele wissenschaftliche Erkenntnisse darauf hin, dass es wahrscheinlich auch keine steuernde Intelligenz braucht um all die kosmischen, physikalischen, chemischen, biologischen und sozialen Prozesse in Gang zu setzten und zu steuern. Es ist die Summe der Aktionen in einem bestimmten Umfeld, die sich selbst reguliert und wahrscheinliche Zustände hervorbringt, selektiert und bestimmte Muster (auch Geschichten und emotionale Zustände) verbreitet, erhält und aussteuert.
Aber vielleicht ist es ja gerade das, was mit dem Begriff Gott umschrieben wird, was letztlich nicht sagbar und von unserem Gehirn kaum fassbar bleibt.
Je nachdem, wie man dann darauf schaut, wirkt Erkenntnis letztlich innerhalb unseres ambivalenten Denkens und fällt für den einen so und für den anderen so aus. Es das Wesen der Polarität, dass es für die eine Seite exakt so viele Argumente gibt, wie für die andere Begründung.
Am Ende eint es ein Sein, ein da Sein, das präsent Sein im Präsens.
Literatur-anregungen zu diesem Artikel:
David Tuckett, Die verborgenen psychologischen Dimensionen der Finanzmärkte, 2011
Die ich als allgemeine Beschreibung von allgemeinem Verhalten in Krisen für durchaus schlüssig halte.
Susan Blackmore, Die Macht der Meme, 2000
Diese Theorie der Wirkung der Meme oder Narrativen als Kulturphänomen hat sich in der Corona-Krise – als plötzlich alle anderen Themen nebensächlich erscheinen – als mediale Verbreitung eines Mems auf eindrückliche Weise bestätigt.
Zugleich zeigte sich die Theorie von Tuckett mit dem plötzlichen Umschlag von Deutungsinhalten in dieser Krise sehr deutlich.
Es ist anzunehmen, dass dergleichen psychologische Mechanismen auch schon in früheren Zeiten die Wahrnehmung der Wirklichkeit beeinflussten und somit die Verbreitung von religiösen Vorstellungen (Meme) mit erklärt.