Selbsthilfegruppen

Schon in meiner Studienzeit Mitte der 70er Jahre in Gießen kam ich mit der Selbsthilfegruppen-bewegung in Kontakt. Seit dieser Zeit ist der Name Jürgen Matzat mit der Gießener Kontaktstelle für Selbsthilfegruppen verknüpft. Jetzt (2021) übernimmt Florian Czieschinski die Leitung.

Ansprechpartner für Selbsthilfegruppen: Jürgen Matzat (rechts) vertraut sein Lebensprojekt Florian Czieschinski an. 
(Foto: Leyendecker, Gießener Anzeiger, 31. 3. 2021)

Felix Leyendecker schreibt: „Seit mehreren Jahrzehnten ist die Kontaktstelle für Selbsthilfegruppen Anlaufpunkt für Menschen mit verschiedensten Krankheiten und Problemen. Seien es Suchtprobleme oder psychische Erkrankungen, die Kontaktstelle ermöglicht es, dass die Betroffenen nicht nur Ansprechpartner, sondern im Idealfall auch Gleichgesinnte finden.
Die rund 120 bekannten Selbsthilfegruppen in Gießen tagen momentan aufgrund der Umstände in der Corona-Pandemie zwar eingeschränkt, die Arbeit in der Kontaktstelle läuft jedoch unvermindert weiter.
Seit Anfang März ist diese zudem unter neuer Leitung, nachdem ein Generationenwechsel vollzogen wurde. Auf den 70-jährigen Jürgen Matzat, der die Kontaktstelle jahrelang leitete und prägte, folgt der 34-jährige Florian Czieschinski. In der Kontaktstelle ist der studierte Soziologe kein Unbekannter. Vor 15 Jahren absolvierte er dort seinen Zivildienst und lernte Matzat kennen und schätzen. Durch praktische Berufserfahrung und einer studentischen Tätigkeit blieb Czieschinski der Kontaktstelle erhalten. „Ich hatte immer den Fuß in der Tür“, so der Soziologe. Für den Psychologen und Psychotherapeuten Matzat wurde bei der Suche nach einer Nachfolge schnell klar, dass er den idealen Nachfolger schon längst bei der Hand hatte.“

Anfänge im Jahr 1977
Begonnen hat alles 1977, als Selbsthilfegruppen noch skeptisch beäugt wurden. Denn die Gruppen sind damals aus dem Flair der 68er-Bewegung entstanden, als vor allem im Bereich der Medizin immer häufiger Kritik an den „Halbgöttern in Weiß“ geübt wurde. Entsprechend galten die Gruppen als exotisch und wurden angefeindet“, erzählt Jürgen Matzat, der von Anfang an mit dabei war und das Projekt Selbsthilfe mehr als 40 Jahre begleitete.
Erst als sich die Wissenschaft mit der Idee befasst hatte und Gießen eine der Modellstädte für das Projekt wurde, schwand der Widerstand. Nach langer Debatte bekam die Selbsthilfebewegung dann Unterstützung vom Bundesgesundheitsministerium, das die gesetzlichen Krankenkassen dazu verpflichtete, die Selbsthilfegruppen zu unterstützen. Das trug zur finanziellen Förderung und zum Überleben der Kontaktstelle bei, die Interessenten und Gruppen hilft zusammen zu bringen. .„Inzwischen traut sich niemand mehr, schlecht über Selbsthilfe zu reden“, so der 70-Jährige ernst.
Heute sieht sich die Kontaktstelle als Anlaufstelle für interessierte Personen und Unterstützter, wie Czieschinski schildert: „Wir unterstützen die Gruppen bei Aus- und Fortbildungen wie auch bei Problemen. Die Gruppen setzen sich mit vereinten Kräften mit Themen auseinander.“

Einsamkeit und Corona trägt mit zur Gefährdung dieser Gruppen in der Zukunft bei. Viele Gruppen klagen über Nachwuchsprobleme, da das Thema Selbsthilfe nicht mehr im Mittelpunkt öffentlichen Interesses steht und viel Betroffene nichts von dem Angebot und den Möglichkeiten der Selbsthilfegruppen wissen.
Dennoch wird das Ausmaß an Engagement in der Gesellschaft punktuell größer, während gleichzeitig die Anspruchshaltung auf Versorgt werden intensiver wird. Hinzu kommen aktuell die Auswirkungen der Pandemie, die Vereinsamung und Isolation als Themen deutlicher hervortreten lässt.
Es sei zwar möglich die Personen in solch einem Fall an Ambulanzen vermitteln, das helfe aber nur bedingt, da nicht jeder für eine ambulante Behandlung geeignet sei. Gerade für Suchtkranke sei die Gruppe überlebenswichtig und das persönliche Gespräch fehle den meisten Menschen sehr. Die Selbsthilfegruppen bieten da eine deutlich höhere Kontinuität und Verlässlichkeit.
Doch was, wenn es doch einmal Probleme innerhalb der Gruppe gibt?
„Wir sind bereit, als Mediator zu Gesprächen zu kommen. Das Problem lösen muss die Gruppe allerdings selbst“, meint Matzat. Denn die Kontaktstelle sehe sich primär als „Hilfe zur Gruppenselbsthilfe“, nicht etwa als Problemlöser innerhalb der Gruppen.

Quelle: Generationenwechsel in der Krise – von Felix Leyendecker, Gießener Anzeiger, 31. 3. 2021

Eine weitere Anlaufstelle für Patienten ist die Kooperationsberatung für Selbsthilfegruppen, Ärzte und Psychotherapeuten (KOSA) der Kassenärztlichen Vereinigung

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert