Die Schmerzmitteleinnahme ist in Deutschland weit verbreitet:
Rund 1,9 Millionen Menschen nehmen täglich Analgetika, also Schmerzmittel, und bei etwa 1,6 Millionen Personen besteht eine Schmerzmittelabhängigkeit.
Als große Probleme sehe ich die freie Verkäuflichkeit von Schmerzmitteln, da von vielen Konsumenten weder Wirkmechanismen, Folgewirkungen, Nebenwirkungen und Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten und Gefahren für den Körper verstanden werden.
Zum anderen ist da die Werbung mit große Präsenz von Schmerzmittelwerbung im Fernsehen, in den Printmedien und zunehmend in Internetforen und durch Influencer, die verkaufsfördernd der Bevölkerung passende und schnell wirksame Lösungen für verschiedene Schmerzarten versprochen und verschwiegen, welche Folgen die Unterdrückung des Schmerzsignals für den Körper haben kann.
Die Möglichkeit der Selbstmedikation ist vom Gesetzgeber geschaffen worden. Parallel wurden die Arzneimittelhersteller zur umfassenden Informationsweitergabe in Form von Packungsbeilagen verpflichtet.
Befragungsergebnisse zeigen allerdings, dass dennoch wichtige Informationen zu unerwünschten Arzneimittelwirkungen und Anwendungsempfehlungen nicht bekannt sind.
Dies kann dazu beitragen, dass viele Menschen unkritisch mit Schmerzmitteln umgehen.
Im Sport soll der Schmerzmittelkonsum, auch ohne Vorliegen von Beschwerden, ebenfalls verbreitet sein.
Schätzungen auf Datengrundlage des Epidemiologischen >Sucht surveys< zufolge liegt der schädliche Schmerzmittelkonsum mit 7,6 % deutlich höher als der von Alkohol mit 2,8 %.
Die Abhängigkeit von Schmerzmitteln (3,2 %) soll im Vergleich zu der von Alkohol (3,1 %) annähernd gleich hoch sein.
Nach einer Literaturrecherche in 6.083 Publikationen, wovon 55 Veröffentlichungen für die inhaltliche Auswertung verblieben, ist der Analgetikakonsum im Spitzensport verbreitet. Er variiert zwischen 2,8 % (Profitennis) und 54,2 % (Profifußball).
Auch in Bereichen des Leistungssports werden Schmerzmittel prophylaktisch und ohne Vorliegen von Beschwerden eingenommen.
Laut Studien, die auf Daten aus Dopingkontrollen basieren, nehmen beispielsweise im Profifußball zwischen 16,7 % und 54,2 % der Spieler nichtsteroidale Antiphlogistika ein.
Da Dopingkontrollen verpflichtend sind , eignen sich diese Daten dazu, den Schmerzmittelkonsum im Spitzen- und Profisport abzuschätzen.
Im heterogenen Breitensport ist die Studienlage lückenhaft und es gibt keine verlässlichen Belege für einen verbreiteten Schmerzmittelkonsum, da keine wissenschaftlich belastbaren Belege vorliegen.
Im Ausdauerbereich (z. B. Halb-, Marathon-, Ultralaufveranstaltungen) gaben 2,1 % von über 50.000 Personen an, mindestens 1×/Monat Schmerzmittel im Zusammenhang mit Sport zu verwenden.
Wichtige Limitierungen dieser systematischen Literaturrecherche resultieren aus den (in den Studien) genutzten unterschiedlichen Erhebungsinstrumenten, Studientypen und den heterogenen Studienkollektiven. Zudem liegen im großen und äußerst vielfältigen Bereich des Breitensports deutlich weniger Studien vor als im Profi-/Spitzensport und Leistungssport. Bedeutsam ist neben der therapeutischen Einnahme der prophylaktischen Gebrauch von Analgetika. Je länger und strapaziöser ein Wettkampf ist, desto häufiger werden Schmerzmittel im Vorfeld des Wettbewerbes eingenommen.
Auf Dopingkontrollformularen basierende Studien belegen ebenso wie Befragungsstudien, dass beispielsweise im internationalen und nationalen Spitzenfußball etwa jeder zweite bzw. jeder dritte Spieler regelmäßig Analgetika konsumiert . Der Schmerzmittelkonsum variiert von Sportart zu Sportart.
Die Ergebnisse zum Schmerzmittelkonsum im Profi-/Spitzensport können jedoch nicht ohne Weiteres auf den Breitensport übertragen werden. Mit dem ambitionierten Freizeitsport gibt es aber eine Grauzone, wie z. B. im (Ultra-)Ausdauersport, in der Sporttreibende häufiger Schmerzmittel konsumieren. Die Trainingsumfänge beziehungsweise die Energieumsätze dieser Amateure sind durchaus vergleichbar mit denen von Profi-/Spitzensportlerinnen und -sportlern in den Ballsportarten oder in der Leichtathletik (z. B. in Sprint-/Wurfdisziplinen).
Dennoch zeigen die Resultate der Literaturrecherche, dass es keine verlässlichen Belege für einen verbreiteten Schmerzmittelmissbrauch im Breitensport gibt. Es fehlen belastbare Daten.
Die eigenen Befragungsergebnisse sprechen gegen einen derzeit verbreiteten Schmerzmittelkonsum im Breitensport: Lediglich 1,7 % der Sporttreibenden nahmen „ein- bis mehrfach pro Monat“ und
0,4 % „wöchentlich“ beziehungsweise „täglich“ Schmerzmittel in Verbindung mit den sportlichen Aktivitäten ein.
Die weiterführenden Analysen zeigten, dass gesundheitliche Gründe dominierend für die Schmerzmitteleinnahme waren. Dies lenkt die Diskussion um den Schmerzmittelkonsum im Sport auf einen anderen Aspekt beziehungsweise auf die Frage, ob und inwieweit ein Schmerzmitteleinsatz indiziert ist, um Bewegung und Training zu ermöglichen. So kann bei Patientinnen und Patienten der Einsatz von Analgetika mit Blick auf die medizinische Trainingstherapie durchaus nutzbringend sein. Allerdings können unerwünschte Nebenwirkungen von Schmerzmitteln durch körperliche Aktivitäten verstärkt werden. Dies gilt nicht nur bei der medizinischen Trainingstherapie, sondern auch für gesunde Sporttreibende: Bei höheren Belastungen kommt es beispielsweise in der Niere zu einer verminderten glomerulären Filtrationsrate. Die Antiphlogistika-Einnahme erhöht das Risiko eines akuten Nierenversagens und einer chronischen Niereninsuffizienz.
Insbesondere beim präventiven Schmerzmittelkonsum ist nicht zu unterschätzen, dass wichtige gesundheitliche Warnzeichen (Schmerzen, infektbedingte Temperaturerhöhungen et cetera) unterdrückt werden und das Risiko für schwerwiegende Erkrankungen dadurch erhöht wird.
In der Tabelle sind beobachtete Symptome und Erkrankungen aufgeführt, die in der Literatur im Zusammenhang mit einem Schmerzmittelkonsum im Sport berichtet werden:
Schlussfolgerung: Die Schmerzmitteleinnahme ist in vielen Bereichen des Profi-/ Leistungssports zu einem Problem geworden, wohingegen der Schmerzmittelkonsum im Breitensport offenbar noch selten ist. Auch mit Blick auf die Verbreitung von schädlichem Schmerzmittelgebrauch/-abhängigkeit in der Gesellschaft sind bessere Aufklärungen, vor allem aber Werbeeinschränkungen erforderlich.
Quelle: Dieter Leyk, Thomas Rüther, Nadine Hartmann, Emanuel Vits, Markus Staudt, Manuela Andrea Hoffmann – Deutsche Sporthochschule Köln –
Dtsch Arztebl Int 2023; 120: 155–61. DOI: 10.3238/arztebl.m2023.0003
Foto: Drese