Die Kunst, dem Alter zu begegnen

Inspiriert durch das gleichnamige Buch von Dr. Helmut Luft, * 1924, Nervenarzt und Psychoanalytiker,
Brandes & Apsel Verlag, 2. Aufl. 2014 (275 Seiten)

Besser verstehen, was während des Alterns und im Alter vor sich geht.

Dazu habe ich inhaltlich folgende Aspekte ausgewählt:

–             Verschiedene Alter, die wir denken
–             Alter ist relativ – Die Zeit weist weit über uns hinaus
–             Das individuelle Altern – ein Stirb und Werde
–             Nichts geht verloren; nichts ist in der „Glaskugel Zukunft“ zu sehen
–             Entwicklungen, die wir persönlich nehmen
–             Zoon politikon – im Spannungsfeld des Zeitgeistes
–             Der Umgang mit Gefühlen
–             Ein Mensch, zwei Wörter: Körper und Psyche
–             Vorteile des Alterns
–             von Nutzen der Alten – Soziales Engagement

–             Der Abschied


Vorangestellt seien zwei bereits recht alte Gedanken, die nachdenklich machen können.

Das Leben ist nicht zu kurz, wir verschwenden es nur,
weil wir die Kostbarkeit der Zeit nicht erkennen.
=> Betrachte jeden Tag, als sei er der letzte.
Lucius Annaeus Seneca, (1 – 65 n. Chr.), römischer Philosoph

„Nahe ist die Zeit, dass du alle vergisst; nahe ist die Zeit, dass alle dich vergessen.“
Mark Aurel (121 – 180 n. Chr.) römischer Kaiser


  • Verschiedene Alter, die wir denken

Kosmischen Ursprungs ist die chronologische, kalendarische Zeit.
Sie läuft als lineare Zeit unerbittlich ab.
Mit ihr wird das objektive Alter, die messbar verstrichene Lebenszeit, bestimmt.
In ihrer Logik werden dem Einzelnen zu administrativ festgelegten Zeitpunkten soziale Rollen 
zugeteilt: z.B. Schuleintritt, Mündigkeit, Wahlalter, Berufseintritt, Ledig – Verheiratet – Wittwer, Rentner oder Pensionär, bestagier – alter Mensch – Hochbetagter und vielem mehr.)

Dessen unbenommen ist unser inneres, unbewusstes psychisches Alter zeitlos, nicht messbar. Denn in unserem Gehirn vergeht keine Zeit, die als solche gemessen wird.
Dort sammeln sich lediglich Eindrücke, die gefühlsbetont miteinander vernetzt werden.
Je nachdem, welche Strukturen und Verbindungen entwickelt und abgebaut werden,
sind bestimmte Reaktionen möglich – angemessene, oder auch nicht passende.

Persönlich erleben wir außerdem auch eine subjektive Zeit, die über Geburt, Lebensphasen, Altern und Tod, je nachdem langsamer oder schneller abzulaufen scheint, je nachdem wie interessant oder langweilig die Lebensinhalte gerade für uns sind.

Sein biologisches Alter misst man sich selbst zu. Es hängt von der Stimmungslage ab.

Zudem, von der Erfahrung der Erdumdrehung abgeleitet, beobachten wir in der Natur eine zyklische Zeit – mit Tag und Nacht und Jahreszeiten.
Sie bestimmen unsere körperlichen Biorhythmen.
Sie regten aber auch die religiösen Phantasien an, das Leben als Kreislauf mit Sterben und Wiedergeburt zu erhoffen, um damit angstmindernd das Schicksal der Endgültigkeit unserer Sterblichkeit zu verleugnen.

  • Alter ist relativ – Die Zeit weist weit über uns hinaus

Materie ist nach unserem heutigen Wissensstand kosmischen Ursprungs.
Anorganische Elemente wurden zur Basis des Lebendigen im Wasser.
                  Noch heute ähneln unsere Körper zu 2/3 denen von Meeresbewohnern und menschliches Blut
                                                                            z.B. hat fast die gleiche Zusammensetzung wie Meerwasser.

                                      Überhaupt besteht unser Körper als Säugling zu 75%, beim 50jährigen zu 60% und
                          beim 80jährigen noch zu 50% aus Wasser. Die Feststoffe werden letztlich wieder zu Staub.

Nachdem unsere Sonne vor 4,6 Milliarden Jahren und die Erde vor 4,58 Mrd. Jahren entstand, fanden sich bei Fossilienfunden erste Einzeller vor etwa 3,5 Mrd. Jahren.
Vor ca. 2,7 Mrd. Jahren nutzen Einzeller das Sonnenlicht zur Photosynthese, dessen Abfallprodukt Sauerstoff sich in der Erdatmosphäre anreicherte und unsere heutigen Lebensbedingungen schuf.
Vor 2 Mrd. Jahren verpacken Mikroben ihr Erbgut in einen Zellkern; ein entscheidender Schritt für mehrzellige Lebewesen, die vor 1,2 Milliarden Jahren auftraten.
Vor 720 bis 540 Millionen Jahren bedecke ein Eispanzer fast den ganzen Planeten.
Nach dieser Eiszeit, im Kambrium bis vor 485 Millionen Jahren gab es eine rapide Zunahme der Artenvielfalt und die Erscheinung vieler neuer Tierstämme. Als sich Pflanzen zusammen mit Mikroorganismen an Land ausbreiten, entwickelte sich auf den nackten Felsen fruchtbare Böden.  Seit ca. 400 Millionen Jahren bevölkern immer mehr Tiere die Landmassen;
erste Vierfüßler vor 375 Millionen Jahren. Vor 360 Millionen Jahren, im Karbon, existierten ausgedehnte Wälder – unsere heutigen Torf-, Kohle-, Gas- und Öl-Vorkommen.
Von 230 bis vor 66 Mio. Jahren dominieren die Dinosaurier. Erste affenähnliche, intelligente Tiere entwickelten sich vor etwa 49 Millionen Jahren.
Vor etwa 3,5 Millionen Jahren begann die Geschichte verschiedener Menschenarten, von der die Gattung Homo in Afrika seit 300.000 Jahren belegt ist. Vor 130.000 Jahren begann die erst Menschenwanderung aus Afrika Richtung Asien und Australien, vor 50.000 Jahren die zweite Welle in Richtung Europa und Asien, die letztlich zu Besiedelung der gesamten Welt führte.

Im Vergleich dazu: Der älteste Mensch lebte 122 Jahre; im Durchschnitt bringen Männer es heutzutage auf 78 und Frauen auf 83 Jahre. Im Deutschen Reich (1871 – 1881) betrug die durchschnittliche Lebenserwartung bei Geburt für Jungen 35,6 und für Mädchen 38,4 Jahre.

  • Das individuelle Altern – ein Stirb und Werde

Ein langes, möglichst gesundes, freudvolles und erfülltes Leben wird gerne gewünscht.
Typischerweise möchte man alt werden;
alt sein aber möchte man dann lieber doch nicht!
– zumal das Alter oft mit Gebrechen, Krankheit, Schwäche, Hilflosigkeit, Ausgeliefertsein und Sterben assoziiert ist.

Tatsächlich werden im Alter viele Gefühle und Erinnerungen von Abhängigkeit aus der Anfangszeit des Lebens wieder reaktiviert, so dass – je nach Vorerfahrungen – sowohl ängstliche wie aggressive oder auch gelassen, annehmend ausgeglichene Erlebens- und Reaktionsmuster vorherrschend werden können.

In Wahrheit ist das Älterwerden ein komplizierter Vorgang, ein beständiges Wechselspiel von Eros und Tanatos, von Progression und Regression, ein Auf- und Abbau im Zusammenspiel anorganischer, biologischer, körperlicher, psychischer und sozialer Faktoren – im Verlauf einer persönlichen wie auch der gegebenen gesellschaftlich formenden Zeit.

Neben den, durch Stress und Entzündungen hervorgerufenen Nekrosen (pathologisches Absterben von Zellen), die den ganzen Organismus schädigen, bezeichnet man mit Apoptose den permanenten natürlichen Zelltod, der verbrauchte Zellen abbaut, für neue Platz schafft und so für das Überleben des Ganzen notwendig ist.          
                           (Sterben zu wenige Zellen ab, kann das zu Krebs und Autoimmunerkrankungen führen;
                                                                 ein Zuviel aber ist z.B. bei Herzinfarkt oder Schlaganfall beteiligt.)

Die Vorstellung vom lebenden Körper als fester Materie ist eine Illusion; Blut, Sekrete, Organe, Muskeln, Haut und Knochen befinden sich in beständig fließender Veränderung.
In jeder Sekunde sterben Tausende Zellen, Tausende werden neu gebildet.
Beständig ist nur der im Genprogramm festgelegte Bauplan, die Idee des Körpers, die allerdings durch eigene Lebenserfahrungen und die aktuellen Lebensbedingungen wie auch durch die Generationen hinweg modifiziert wird.
                                                                                        (Weiße Menschen z.B. gibt es erst seit 6.000 Jahren.)

Das alltägliche Sterben ist also eine Grundvoraussetzung des Lebens,
das anhaltend nach einem Gleichgewicht aus Stirb und Werde strebt … und sich doch mit der Zeit verbraucht.

Denn die Bemessung der Lebensdauer wird von der biologischen Uhr bestimmt. Sie ist genetisch vorgegeben; wird allerdings durch die persönliche Lebensführung und den Umgang mit Risikofaktoren beeinflusst.
                  (Zu den großen Risikofaktoren unserer Zeit zählen neben ererbten Anlagen, geringe Bildung, 
                                traumatisierende Erfahrungen in Kindheit und Jugend, die sich im Erwachsenenalter
                                krankheitsfördernd auswirken, Stress, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, Krebs,
                                            Infektanfälligkeit, Einsamkeit, Ängste, Depression und körperliche Inaktivität.
)

Ebenso wahr ist es, dass das Leben alltäglich neu beginnt.
In jedem Augenblick können wir Hier und Jetzt neue Entwicklungen beginnen.
                        (Häufige Quellen selbstschädigenden Fehlverhaltens sind dysfunktionale Gewohnheiten
            und Denkmuster, oft erlernt durch Identifizierungen mit – für den Einzelnen wichtigen – Personen
                                                                                           sowie aus Vorurteilen, Fanatismen und Ideologien.)

Anders bedacht könnte der Tod als alltäglicher Begleiter ein wirklich guter Freund sein:
ein Ratgeber, der hilft, zu klären, was im Leben wirklich wichtig und wesentlich ist:
         z.B. um für sich zu klären, was es bedeutet, „sich das Leben zu nehmen“ – nicht es wegzuwerfen!,
                     sondern es zu nehmen und anzunehmen, wie es ist, und um das Beste daraus zu machen!

Erst durch Erkennen und Überwinden destruktiver Wiederholungen gewinnen wir Macht und aktiven Einfluss auf unser persönliches Schicksal.
Dafür müssen wir uns allerdings bewegen, neue Denkmuster, Standpunkte, Perspektiven sowie diszipliniert andere Verhaltensweisen einüben. Nur in der Umstellungsphase bei der Grenzüberschreitung ist das sehr anstrengend, danach werden neue Gewohnheiten normal.
    (Neben Ernährung und sozialem Rückhalt zählt Sport und Bewegung zu den am besten bewiesenen Maßnahmen,
um vielen Krankheiten oder der Entwicklung einer Demenz, und um Stürzen vorzubeugen.
                 Empfohlen werden für die Ausdauer z.B. Walken oder Ballspiele,
für die Koordination Tanzen, Singen, Puzzeln, Balanceübungen, Denkaufgaben,
für die Kraft isometrisches Gerätetraining –
                                           am besten in der Gruppe, wo auch soziale Kontakte gepflegt werden können.)

(Wichtig sind jedoch auch das eigene Selbstbild und die Sprache, mit der sich viele als Opfer denken,
                           statt sich als empfindsame Gestalter ihrer eigenen Welt zu erkennen und zu begreifen.

      Der Philosoph Ludwig Wittgenstein (1889 – 1951) machte dazu deutlich, wie wesentlich die Worte sind,
die wir wählen: „Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt.“)

  • Nichts geht verloren; nichts ist in der „Glaskugel Zukunft“ zu sehen

Der eigene Lebensverlauf wird meist als biologisch-zyklischer Halbkreis konzipiert.
Dabei werden die alterstypischen körperliche Veränderungen (seit ca. 1650 n.Chr.) gerne als Treppe des Lebens dargestellt.                                  (Sozusagen von der Windel in die Windel.
Doch, die Zeit nimmt dem Körper, aber sie gibt dem Geist.)

Zuerst sind da auf den Stufen Figuren des Aufblühens bis zur Kraft und Reife – etwa bis in die Mitte des Lebens – zu sehen. Von da an trennen sich die Linien, die Lebenstreppe geht für die körperliche Seite abwärts, die Figuren zeigen nun Stufen des Verwelkens und Vergehens, während für die psychischen Seite das Bild des vertikalen Aufstiegs an Fähigkeiten gezeichnet wird, stufenweise immer höher, im Prinzip bis zum Lebensende.

Psychisch wird das Altern oft als eine Wanderung erlebt, die einen immer größeren Überblick erlaubt. Dabei verlieren die Alterungsprozesse nie den Bezug zu den früheren Lebensphasen, Identitäten, Erlebens- und Verhaltensmustern. Vergleichbar den russischen Matroschkas sind die früheren Erfahrungen quasi wie Puppen in der heute sichtbaren Puppe ineinander verschachtelt und, zumindest unbewusst, immer am aktuellen Erleben beteiligt.
Da das so ist, können frühere Weichenstellungen auch später noch (mehr oder weniger) korrigiert werden. Frühe Weichenstellungen strukturieren jedoch auch aktuelle Korrekturen und schränken damit Freiheitsgrade ein, die zuvor da waren.

Während das Leben nach vorn gelebt wird, lassen sich Geschichte und Biographien nur im Rückblick zu erkennen, betont der Philosoph Søren Kierkegaard (1813 – 1855).
Daraus ergibt sich, dass Ältere ihre Vergangenheit betrachten können, so dass sie das eigene Jungsein nachempfinden und verstehen können.
Den Jüngeren hingegen ist der Blick in ihre Zukunft verwehrt; sie können den Mangel an Erfahrung nur durch Phantasien angst- oder hoffnungsvollen Inhalts ersetzen.
Je nachdem gestalten sie damit dann ihre Entwicklungen und den Verlauf der Geschichte mit.

  • Entwicklungen, die wir persönlich nehmen

Was in Millionen Jahren Entwicklung entstanden ist, die gesamte Phylogenese, muss jedes Mal ganz individuell bei der Ontogenese von der Eizelle zum erwachsenen Menschen in vielen Stufen noch einmal durchlaufen werden:

= In der vorgeburtlichen Zeit, beim Schwimmen in der Fruchtblase, wird die stammes-geschichtliche Entwicklung, vom Einzeller über viele, an Embryos tierischer Verwandter erinnernde, Stadien bis zum kleinen Menschlein, noch einmal durchlaufen.
Dabei sind Embryo, bzw. ab der 11. Schwangerschaftswoche der Fötus, über Placenta und die Nabelschnur mit der Mutter eng verbunden.
Entsprechend übt das aus kindlichen Zellen entstandene Multifunktionsorgan Placenta mit seiner Filter- und Entgiftungsfunktion, wie auch die mütterliche Ernährungs- und Hormonsituation, ihre gesundheitliche und psychische Verfassung überhaupt, starken Einfluss auf die Entwicklung der Möglichkeiten, die dem Kind später zur Verfügung stehen werden aus – bis hin zum Geschlechtsphänotyp, des ursprünglich weiblich angelegten Wesens.

= Mit der Geburt ändern sich die Bedingungen vom Leben im Wasser bei 37 Grad zum Leben in der Luft um die 20 Grad. Allein dieser Temperaturunterschied schmerzt in der Lunge, ganz abgesehen von dem während der Geburt auszuhaltenden Druck und Stress.

In der Psychologie wird vermutet, dass in jedem Einzelnen der Schock des Übergangs vom vor- zum nachgeburtlichen Leben nachwirkt, ebenso wie die Art und Weise, in der die Geburt erfolgte. Erinnerungen bleiben, auch wenn wir uns später nicht erinnern können.

Im kollektiven Gedächtnis kennen wir das Bild von der „Vertreibung aus dem Paradies“ und eine Verteufelung von Sexualität als Sündenfall, der diese Vertreibung initiiert.
Auch in unseren kulturell entwickelten Schutzräumen lässt sich ebenfalls erkennen, dass eine Sehnsucht bleibt, in die privilegierte Vollversorgung Mutterleibs zurückzukehren.
                                              (Schauen wir uns unsere Behausungen an, die mittlerweile warm, behaglich,
                            mit gefülltem Kühlschrank und fließendem Wasser, inklusive Toilettenspülung ausgestattet sind,
                                                         so erinnert das doch sehr an das frühere Paradies.)

Dabei gehen wir davon aus, dass die Geburt des Menschen vorzeitig erfolgt.
Denn beim menschlichen Kind ziehen sich wesentliche Entwicklungsprozesse noch über lange Perioden der Kindheit hin, die bei anderen Lebewesen gar nicht erst sozial erworben und erlernt werden müssen.
Auch die nachgeburtliche Größe des kindlichen Kopfes würde den Geburtskanal überfordern. 

Die Größenzunahme des kindlichen Kopfes nach der Geburt hat neben den Lernprozessen, die die Hirnentwicklung mitbestimmen, viel mit der Ummantelung der Nervenzellen zu tun, die die Leitfähigkeit der Nervenimpulse erhöht – von 20 m/s beim Säugling auf bis zu 100 m/sec. beim Erwachsenen.

Dabei entwickelt sich das Gehirn, von Reflexen über affektive Zuordnungen zum rationalen Denken, wie in der evolutionären Entwicklungsgeschichte, von älteren zu neueren Hirnteilen, sozusagen von Hinten nach Vorn. Das Frontalhirn mit seinen persönlichkeitsbedeutsamen Errungenschaften* reift erst mit dem 20.-25. Lebensjahr aus.   
                                  * moralischen Werten, Planen, Entscheiden, Aufmerksamkeits-,
Konzentrations- und Emotionssteuerung sowie Bedürfnisse meistern)
                                                (Zu früher Gebrauch von Coffein als Kind oder anderen Drogen (z.B. Alkohol,                                  Cannabis u.a.) in der Pubertät, kann dazu führen, dass diese Ausreifung unterbleibt.)

Aus diesen, sich erheblich im sozialen Kontakt abspielenden Prozessen ergeben sich für die Entwicklungsangebote und die Schutzfunktionen hohe elterliche wie soziale Verantwortlich-keiten. Sie spielen für möglichen Zukünfte der Kinder, wie für die psychische wie körperliche Gesundheit der Erwachsenen, eine erhebliche Rolle.
                    (z.B. neigen adipöse Eltern dazu, die Nahrungsmengen für ihre Kinder ebenfalls zu üppig zu bemessen.
                               Dabei ist ihnen meist nicht bewusst, welche Leiden sie ihrem Nachwuchs aufbürden,
                               inklusive eines frühen Todes.

Ähnliches gilt z.B. für ängstliche, autoritäre, abwesende oder gar sadistisch handelnde Eltern und Erziehungspersonen)

Für die Entfaltung als abhängige Kinder wird der Entwicklung unseres Gehirns während Schwangerschaft, Kindheit und Jugend besondere Bedeutung zugemessen. Denn während dieser Zeit ist eine erhöhte Neuroplastizität zu beobachten,                                          d.h. Bau und Umbau neuronaler Strukturen in Abhängigkeit von ihrer Aktivität.
                Die Verbindungen, die intensiv genutzt werden, stabilisieren sich, andere werden rückgebaut.
              Dafür bevorzugt sich das Gehirn bei der energetischen Versorgung, vor allen anderen Organen.

Die frühen Bahnungen der in der Anfangsphase unseres menschlichen Lebens entwickelten Strukturen üben lebenslang groß Wirkung auf die Prozessverarbeitung und Bedeutungs-gebung von Erfahrungen sowie auf resultierende Reaktionen aus.
Es wird sozusagen die „Hardware“ im Kopf konfiguriert, die den Rahmen der später nutzbaren „Softwareanwendungen“ für Fähigkeiten, Kontroll- und Regulationsmechanismen zu großen Teilen mitbestimmt.

= Nach der Geburt sind es, neben den gestaltenden, genetisch vorgegebenen körperlichen Entwicklungsprozessen,           die entstehenden Bedürfnisspannungen,
                              die angebotenen äußeren Lebensumstände und Beziehungen,
 die die prägende Entwicklungsräume abstecken.

Gerade die Beziehungen zu den nahen Menschen eröffnen die Lernräume:
           für die Entwicklung von Unterscheidungen und Benennung von etwas,
           für das Erkennen struktureller Zusammenhänge,
           für die Ausformung von Fähigkeiten und Fertigkeiten,
           für die Mentalisierung der Gefühle und
           die Integration von Erfahrungen
           sowie für die Regulation von Affekten oder
           die Entwicklung von Humor.

Dafür stehen in den ersten Jahren des Lebens zu bestimmten Entwicklungsphasen im Gehirn sehr viele nervliche Verbindungen für bestimmte Fertigkeiten zur Verfügung stehen, z.B. Laufen, Sprechen, Rechnen lernen, usw., die, wenn sie zur rechten Zeit mit den rechten Angeboten vernetzt werden, bleiben oder wieder abgebaut werden.
                Kommen die Lernangebote nicht zur rechten Zeit, ist zwar späteres Erlernen von Fertigkeiten
                                               möglich, aber nur mit deutlich höherem Aufwand möglich, wenn überhaupt.

Kommt es in Kindheit und Jugend zu Störungen, wirken die sich oft über das ganze Leben hinweg aus; werden oft im Alter wieder deutlicher relevant.
Insbesondere traumatische Erlebnisse werden zu lebenslang wirksamen Triggern für reflexhaft schnelle Reaktionen – sei es ängstlicher oder aggressiver Art. Denn beeinträchtigende oder traumatisierende Erfahrungen führen zu veränderten Bahnungen, die auch später zu entsprechenden gedanklichen, emotionalen und Verhaltensfolgen führen. Diese Dysfunktionalität, auch in der gegenwärtigen Informationsverarbeitung, ist oft nicht bewusst, sondern läuft automatisiert, auf bestimmte Trigger hin, ab. 

Da Wahrnehmung ein komplexes Zusammenspiel von sensorischer Eingabe und kognitiver Interpretation ist, kann es durch triggernde Attraktoren zu eigenständiger Aktivierung von vernetzten Strukturen kommen – mit typischen, da stereotypen Reaktionsweisen, wenn auch nur ein Element als triggernder Auslöser aus dem alten neuronalen Netzwerk aktiviert wird.
      (Solche Auslöser können z.B. Gerüche sein, ein bestimmter Gesichtsausdruck, ein Ton, ein Ort, usw.)

Das führt dann zu emotionalen Reaktionen, z.B. mit Todesängsten oder aggressiven Ausbrüchen, obwohl diese in der jetzigen Situation nicht angebracht wären                          
                      (Wer z.B. als Kind in der frühen Sauberkeitserziehung bestraft oder gar geschlagen wurde,
                                                                                  wenn in die Windel, die Hose oder ins Bett gemacht war,
                                           der kann im Alter panische Angst davor haben, sich in die Windel zu entleeren;
                                                      oder auf jegliche Form von derartiger Anforderung aggressiv reagieren.
)

Insbesondere im Alter, wenn sich die bewusste Kontrolle im zuletzt ausgereiften Frontalhirn lockert, werden die frühen, emotional erschütternden Erlebnisse oder Vernachlässigungen wieder erinnert. Zudem funktioniert das Langzeitgedächtnis, also die Fähigkeit, Sinnes-wahrnehmungen oder psychische Vorgänge im Gehirn zu speichern, sodass sie bei geeigneter Gelegenheit ins Bewusstsein treten können, länger als das Kurzzeitgedächtnis, insbesondere wenn erste emotionale Erlebnisse starke Verbindungen gestaltet haben.
                                                                                            (jeder kennt das z.B. mit der Musik der Jugendjahre)

Wie in der Jugend müssen auch im Alter elementare Triebwünsche über erlernte triebzähmende Prozesse mit der Realität kompatibel und in Einklang gebracht werden.
Anfangs, wie später, bedarf es zur Regulation meist der Co-Regulation* begleitender Erwachsener:                                                                                     *(„Wir schaffen das zusammen!“,
         z.B. mit einem Schmerz umgehen oder Ängste bewältigen oder Erregungszustände regulieren.
)

Aus kindlich-triebhaftem, lustgesteuerten, magisch organisiertem „Es“ soll im Erziehungsprozess ein erwachsenes, realitätsbewusstes „Ich“ werden.
Dieses „Ich“ vermittelt dann zwischen den Triebwünschen und den von außen heran-getragenen Wertvorstellungen, Regeln, Moral und Vorurteilen, dem „Über-Ich“.
Das „Über-Ich“ wird von Eltern, Großeltern, Geschwistern, Lehrern, Trainern und anderen Vorbildern geprägt, wobei sie im Verlauf, als verinnerlichte Erlebens- und Handlungsmuster, in die kindliche Persönlichkeit aufgenommen werden – so, als seien es die eigenen Werte.
Das gelingt nie reibungslos – (was nicht einmal wünschenswert wäre,
                                          da ohne Herausforderungen keine Bewältigungsstrategien erarbeitet würden
.)

Idealtypisch wurden von Eric Berne (1910 – 1970) verschiedene kindliche Bewältigungs-strategien zu den – vereinfacht gesagt – fürsorglichen, vernachlässigenden, unberechenbaren, oder kritisch-autoritären Angeboten der Pflegepersonen beschrieben:
            natürlich verspieltes, entdeckendes Benehmen,
               träumerisch abwesendes, uneinsichtiges oder abwehrend albernes Verhalten,
               unsicher, angepasst-ängstliches Gebaren oder
               rebellisch-trotzige Reaktionen.
Im Erwachsenenalter können dies Über-Ich-Normen spontan in kindliche Reaktionsmuster umschlagen;
sich z.B. groß und stark zeigen kann die Abwehr von sich klein und schwach fühlen sein.

Gelingt es im Älterwerden nicht, die eigene Reife so weit zu entwickeln, dass eine ruhige Gelassenheit im Verhältnis zu den Dingen und Verhaltenseinladungen entstanden ist, können im Alter die unreifen Bewältigungsstrategien von duckmäuserischer Anpassung, Apathie oder wütiger Rebellion wieder intensiv hervortreten.

Dabei spielen gesellschaftliche, kulturelle und soziale Gegebenheiten sowie die eigenen psychischen Deutungen und Konzeptualisierungen eine konstruierende Rolle.

Eines dieser Konstrukte bzw. Konzepte ist unser „Ich“.
Es entsteht aus dem, im Gedächtnis gespeicherten, Strom der Eindrücke.                
                               Betrachten wir z.B. unser Fotoalbum, so sehen wir, wie wir in verschiedensten Altern,
                                                                                             zu ganz verschiedenen Figuren sagen: „Das bin Ich“.

Letztlich ist dieses „Ich“ eine Fiktion, eine Denkfigur, die sich der Welt gegenüberstellt,
um die Welt und sich selbst aus einer herausgelösten Perspektive betrachten zu können.

Durch Denken entstand die Spaltung in eine letztlich doch nur scheinbare Dualität von allem, die Aufteilung in Subjekt und Objekt, in Polaritäten, in Vorder- und Hintergrund, in für mich gerade wichtig oder auch nicht.
Denn, um alle möglichen Phänomene beschreiben zu können, die wir bei uns und in der Welt bemerken, benutzen wir verschiedene Wörter. Die Sprache aber grenzt ab, löst aus einem Kontext heraus, differenziert und ordnet in ein Nacheinander, ohne dass die Kontinuität im Ganzen und dessen Beziehungsgeflecht dadurch verschwindet.
Daher gibt es das Eine nie ohne das Andere. Daher gibt es kein Gut ohne Böse!
1 geteilt durch 2 ist eben nur ½, die Hälfte vom Ganzen, das da fokussiert in den Blick genommen und benannt wird.

Für Erkenntnis und Wissensweitergabe ist die Funktion von Wörtern elementar und nützlich; wenngleich es dadurch im Alltag oft zu Verwechslungen und Streit um „die Wahrheit“ kommt.
Denn niemand erlebt oder sieht die Welt so, wie „Ich“. Jeder ist das Zentrum seiner eigenen Weltsicht.
Alle sehen je von unterschiedlichen Standpunkten, mit unterschiedlichem Fokus, aus unterschiedlichen Blickwinkeln, mit persönlichen Lebenserfahrungen und haben damit alle unterschiedliche „Brillen“ auf.
Jeder hat seinen eigenen Kosmos an Erfahrungen und Wissen, so dass gemeinsame Wirklichkeit immer wieder erst abgestimmt werden muss, um auf der gleichen Plattform zu sein und eine handlungsfähige Verständigung zu ermöglichen.
Auch wenn wir z.B. beide Deutsch sprechen, heißt das noch lange nicht, dass der Empfänger versteht,
was der Sender sagt.
               Beide kommen aus verschiedenen Familien und Kulturen, wissen, kennen und erwarten ganz Verschiedenes.
                                 Dabei spielt eine Rolle, dass jede Nachricht 4 Ebenen hat,

eine die sachlich, nüchtern, faktisch eine Sache bezeichnet, eine die als Appell gehört wird, eine Beziehungsebene
und eine – oft vergessene -, in der sich der Sender lediglich selbst mit seiner Sicht auf die Dinge offenbart.
                                      Daher heißt es so schön: Gemeint ist nicht Gesagt, Gesagt ist nicht immer Gehört,
                                Gehört heißt nicht unbedingt Verstanden, Verstanden bedeutet nicht Einverstanden,
                                     Einverstanden führt nicht immer zu Getan, Getan ist noch lange kein Beibehalten.)

Schon aus Aufmerksamkeitsgründen können wir die Welt nur – wie hier im Text – in Teilen und nacheinander darstellen. Real jedoch ist die Welt ein Kontinuum, ein integriertes Ganzes.
Daher gibt es kein Gutes ohne Schlechtes. Beides sind lediglich Aspekte des Ganzen, das mehr ist als die Summe seiner Teile –        (so wie ein Orchesterklang mehr hermacht, als die Summe seiner Instrumente.
                             Und immer sind wir umgeben von etwas und zugleich Teil davon.)

Folglich müssen wir unser Bewusstsein als ein einengendes, Komplexität reduzierendes, modellbildendes Wissensfeld betrachten, das wie eine Karte oder ein Navi nur die Einträge zeigt, die uns wichtig erscheinen. Alles andere fehlt oder wird verzerrt dargestellt.
                                 (wie z.B. unsere üblichen Weltkarten. Denn eine Kugel kann nicht ohne Verzerrungen
                                                                       im zweidimensionalen Raum eines Blattes abgebildet werden.
)

Dennoch nutzen wir unsere Modelle von uns und der Welt einerseits aktiv und meist erfolgreich. Doch je mehr wir das Bewusstsein mit Erfolgen des Willens individualisieren und uns aus der Welt „herauslösen“, desto mehr erscheint alles eine Bedrohung, was außerhalb liegt – nicht nur die äußere Welt, die Anderen, sondern auch die unkontrollierbare Spontaneität des eigenen Körpers. Letztlich bleibt das Bemühen, das Andere wie uns selbst, zu kontrollieren frustrierend. Entsprechend erleben und erleiden wir andererseits passiv, was sich zeigt, da das Leben nicht kontrollierbar ist.

Dennoch ist der Wunsch nach Sicherheit und Vorhersehbarkeit bei Menschen groß; da Menschen sich über lange Zeiten in der Natur immerzu bedroht fühlten.

Erst kulturelle Entwicklungen, insbesondere Sprache, wurden daher zu einem Medium, mit dem Wissen (ebenso wie Aberglauben) und Vorhersagefähigkeiten über die Generationen weitergereicht werden konnten. Das führte zu mehr gefühlter Sicherheit, ohne dass es im Leben weder sichere, verlässliche Vorhersagbarkeit noch echte Sicherheit tatsächlich gibt.

Umso mehr spielen für die humanen Entwicklungen, für Erleben und Verhalten Reifungs- und Lernprozesse eine besondere Rolle.
Der Psychologe Milton Erikson (1901 – 1980) beschreibt solche Entwicklungsstufen über das gesamte Leben:
            (1. Lebensjahr)                               Ur-Vertrauen vs. Ur-Misstrauen              
               (2. bis 3. Lebensjahr)                     Autonomie vs. Scham und Zweifel     
               (4. bis 6. Lebensjahr)                      Initiative vs. Schuldgefühl      
               (6. Lebensjahr bis Pubertät)        Werksinn, nützliches Tun vs. Minderwertigkeitsgefühl      
               (Jugendalter)                                 Identität vs. Identitätsdiffusion              
(frühes Erwachsenenalter)            Intimität und Solidarität vs. Isolation   
(Erwachsenenalter)                        Generativität vs. Stagnation = Selbstbezug + Abwenden anderer 
(reifes Erwachsenenalter)              Ich-Integrität vs. Verzweiflung          

Alles Wachstum findet an Grenzen statt, an Grenzen die trennen und zugleich verbinden,
an Grenzen die ein Verlassen der Komfortzonen ermöglichen, Neues erschließen lassen.
Dabei beruht die persönliche gegenwärtige Informationsverarbeitung bei Menschen grundsätzlich auf seiner Lebenserfahrung.
Die Reaktionen folgen dann meist Heuristiken, also einem System das mit begrenztem Wissen (unvollständigen Informationen) und wenig Zeit über mutmaßende Schlussfolgerungen dennoch zu wahrscheinlichen Aussagen oder praktikablen Lösungen kommt, die für „Standardsituationen“ gut funktionieren und Energie sparen.

Die Standardreaktionsmuster wurden während der Kinder- und Jugendzeit ausgeformt.

Dabei ließen die nervösen Verknüpfungen zunehmend hierarchische und wechselwirkende Steuerungs- und Kontrollmechanismen entstehen. Diese helfen, innerliche und äußerliche Reize wahrzunehmen und einzuordnen, um damit Reaktionen und das Verhalten erfahrungsbasiert „vorherzusagen“ und zu steuern.

Allerdings kosten neue Lösungen und Verhaltensweisen, zumindest anfangs, viel Energie.                                                                                                                    Man fühlt sich dann schnell Erschöpft.
Daher bleibt das Gehirn gern bei alten Gewohnheiten und vermeidet Neues; außer, man fühlt sich sicher/vertraut genug, Neues zu wagen.

Alle Annahmen über die Zukunft basieren auf den Eindrücken der Vergangenheit – zumeist aus einer bestimmten Umwelt als damals Abhängige.
Die damaligen, aus sehr lückenhaftem Wissen entstandenen Konzeptbildungen passen oft in der autonomeren Erwachsenenwelt nicht mehr.
So führen die heuristische Methode, oft auch Bauchgefühl genannt, bei unbekannten Herausforderungen oder neuen Lernleistungen immer wieder zu Fehlleistungen. Denn Vergangenheit wiederholt sich nicht, so dass Prognosen nur innerhalb von sich wiederholenden „alltäglich-normalen“ Situationen funktionieren.

Daher sind vorgeformte Antworten, zumindest als 1. Angebot zur Bewältigung einer „Einladung“ oder Herausforderung aus der Umwelt oft sehr nützlich;
in vielen Fällen ist es dennoch sinnvoll, dem 2. langsameren, aber durchdachten Gedankenangebot zu einer zeitgemäßen Reaktion zu folgen.

Fehler oderbesser weniger erfolgreiche Entscheidungen führen zu Frust; das altbekannte Bedrohungsgefühl wird durch den Kontrollverlust aktiviert. Das führt in vielen Fällen dazu, dass der Notfallmodus wirksam wird: der Körper stellt sich auf höchste Herausforderungen ein, wobei das kreative Denken ausfällt, zugunsten starker Fokussierung auf die Gefahr (Tunnelblick) und zugunsten archaischer Reaktionsreflexe: Flucht, Angriff oder Totstellen.

= Im Alter
Über all unsere persönliche Lebenszeit ist es der Atem, der uns vom ersten bis zum letzten Atemzug durch alles hindurch begleitet. Dabei hat das Atmen die besondere Funktion, dass wir uns die Luft für unsere Lebensenergieproduktion im Körper aktiv und bewusst zuführen können, dass der Atem aber auch unbewusst aufrechterhalten wird, wenn wir ihm keine Aufmerksamkeit schenken.
Wie bereits beschrieben, ist das erste kühle Einatmen vermutlich schmerzhaft. Extrapoliert auf den letzten Atemzug wird „ängstlich-vorausschauend“ gern angenommen, das müsse beim letzten Ausatmen auch so sein.
Dabei atmet ein Erwachsener durchschnittlich 10–15-mal pro Minute ein und aus. D.h. pro Tag sind es ca. 23.000 „letzte“ Atemzüge, die wir üben. Wir gehen also hochtrainiert und gut gerüstet ins Sterben.

Meist machen wir uns darüber keine Gedanken. Dennoch weiß jeder Mensch über all die Jahre, dass er sterben muss. Aber lange Zeit wollen wir es einfach nicht wissen.

Dann, nach einer relativ langen Zeit mit dem anfänglichen Eindruck, das ganze Leben liege (lange, ja noch ewige) vor einem, wird normalerweise um das 40. Lebensjahr mit einer Brille das erste Hilfsmittel notwendig, um die alterungsbedingten Defizite auszugleichen.
                 (Heutzutage, da wegen des häufigen Mediengebrauches die Augenentwicklung der Kinder gestört wird,
                                                               kommt die Brille viel früher, so dass Altern oft auch erst später bewusst wird.)

Meist um das 50. Lebensjahr taucht dann der Tod als neuer Begleiter im Bewusstsein auf –
auch wenn er meist, wie bei der Romanfigur Dorian Gray von Oskar Wilde (1890), mit dem illusionären jugendlichen Selbstbild, das man weiterhin im Spiegel sieht, abgewehrt wird.
                                                            (Im Jugendkult, als Abwehrkonstrukt mit einem Tabu des Altseins,
                        ist sehr deutlich die Unfähigkeit zu trauern über den Verlust von Zeitablauf zu erkennen.)

Oder man bleibt bei den infantilen, narzisstischen Rettungsphantasien, unsterblich zu sein.
            (Relikte, die auf den sehr frühkindlichen Stufen an Überzeugungen basieren, finden sich auch in
       Bildern von Schutzengeln oder in der Phantasie, durch Schutz von Magie könne einem nichts Böses
                                         geschehen – bei Zwangsstörungen lässt sich letzteres ausgeprägt beobachten.)

Oder es bleibt eine kindlich-magische Vorstellung, das Altsein sei eine Art ansteckende Krankheit, der man sich durch Distanzierung entziehen könne.
                  (Denn je jünger man ist, umso weniger Informationen man über das Leben und die Welt hat,
                  umso generalisierter, großartiger und magischer sind die Annahmen über sich und die Welt.)

Häufig ab dem Alter von 60, 70, 80 Jahren mehren sich die Verlusterfahrungen durch Sterbefälle im Beziehungsnetz, aber auch durch Verluste an eigener Gesundheit, Interesse, Teilhabe am Arbeits- wie Sozialleben oder gar an Autonomie und Selbstbestimmung.
Üblich ist es daher überwiegend noch, diese Zeit mit einem Defizitmodell zu beschreiben.
Das kann man so sehen, muss man aber nicht!
  (z.B. erlauben oder zwingen Verluste, zu neuen Ufern aufzubrechen, die man sonst nie gesehen hätte)
Positivere Sichtweisen sind in einer dualistischen sowohl tragischen wie komischen Welt zumindest für das eigene Befinden und die eigene Gesundheit empfehlenswerter.

Eine gute Entwicklung und Reifung sind die Basis von gesundem Selbstvertrauen, eigener Wertschätzung, Erfolg, Befriedigung und Zufriedensein.

Ein schwaches Selbst hingegen versucht, sich über Abwehrkonstrukte von irrealer Grandiosität und verzerrt idealisierender Selbstüberschätzung zu stabilisieren – was leicht zerbrechen und zu Depressionen führen kann.
Denn altersbedingte Gelenkschmerzen, Stoffwechsel- oder Herz-Kreislauf-Probleme bis hin zu Multimorbidität und das Nachlassen der Spannkraft, des Sehens und Hörens machen das Verleugnen des Alters immer schwieriger.
Um aber das eigene irrationale Selbstbild doch noch weiter aufrecht zu erhalten, werden immer wieder andere beschuldigt, oder, zur ernüchternden Erkenntnis des Altseins kommen Selbstabwertungen hinzu, die, wenn auch in negativer, selbstschädigender Weise, eben doch noch ein wenig der Größenphantasien retten. Man ist ja aktiv und nicht passiv ausgeliefert!

  • Zoon politikon – im Spannungsfeld des Zeitgeistes

Aristoteles (384 – 322 v. Chr.) bezeichnete den Menschen als „zoon politikon“, als soziales und politisches Wesen. Dabei definiert das Geburtsjahr, zu welcher Alterskohorte von Gleichaltrigen man zählt; und welchen Denkfiguren an zeitgeistlichen Strömungen, welcher Sprache und welchem gesellschaftlichen wie politischen Klima, welchen Wertesystemen, Ideologien, Traditionen und Leitfiguren man ausgesetzt ist.

Jeder Person wird als Angehöriger einer Familie geboren, ist Glied einer Kette von Blutsverwandten, gehört einer Generation an mit der sie und er interagieren.
Dabei entwickelt sich der Mensch allmählich aus der eigenen Familie hinaus und zugleich wächst er mit Freunden, Partner/in und Wahlverwandten in seine Altersgruppe hinein;
was oft zu Spannungen und Loyalitätskonflikten führt.

Bei all diesen Kontakten entstehen unbewusste Phantasien; z.B. die vom Vater-, Mutter-, Kindesmord oder deren Vermeidung, Inzest und Inzestverbot, Zeugung von Nachkommen oder deren Verhinderung, Geschwisterprobleme, Weiterleben oder Aussterben einer Familie, Umgang mit dem Tod und Vorstellungen, wie es danach weitergehen wird.

Diese Phantasmen bekommen unter bestimmten Umständen Aufwind, insbesondere wenn das Zoon als ein Herdenwesen den imperativen Gesetzen der Massenpsychologie unterliegt!
         Schon Schiller schrieb 1796 in >Gelehrte Gesellschaften<: „Jeder, sieht man ihn einzeln, ist leidlich
               klug und verständig; sind sie jedoch alle zusammen, gleich wird euch ein Dummkopf daraus.“
Persönliches Denken, Vernunft und Gewissen treten zurück, wenn Ideale, Ideologien oder Verschwörungstheorien verfolgt werden. 
                        (Leider sehen wir diese Entwicklungen der Sehnsucht nach einem wissenden Elternersatz,  
                                    einem Führer, der in einer immer komplexer und unverständlicher werdenden Welt
                           einfache Lösungen anbietet, die für den Einzelnen weniger anstrengend sind, weltweit.)

Die Einteilung in 10-Jahresperioden gibt einen Überblick über oft fundamentale Unterschiede bei den Ethnien, also den Menschengruppen mit einheitlicher Kultur.

Dabei ist es ein Irrtum anzunehmen, dass andere Jahrgänge ebenso empfinden und denken wir man selbst. Dieser Irrtum ist häufige Ursache von Missverständnissen und Streitigkeiten.

Die heute lebenden Generationen sind von sehr unterschiedlichen Zeitumständen geprägt worden und haben jahrgangsspezifische Schicksale zu tragen, die im Alter wieder zu Problemen werden können.
Erst gründliches Wissen schützt vor gläubigem Nachplappern aufgrund von Nichtwissen und eröffnet Verständnis füreinander und Dialogfähigkeit, selbst wenn man unterschiedliche Positionen vertritt. Verstehen heiße nicht gleich Einverstanden sein.

Im Folgenden sehen wir uns einige historische Aspekte an:

= Die Kaisertreuen
Die Jahrgänge 1914-1924
wurden in eine Zeit patriotischer Begeisterung und Opferbereitschaft hineingeboren. Sie waren wie ihre Eltern von der Kaiserzeit, von Obrigkeit, Gehorsam, Uniformen, Ehre, preußischen Tugenden, wie Fleiß, Sparsamkeit, Disziplin, verbindlichen Werten und dem kategorischen Imperativ* Kants (1724 – 1804) geprägt.            
                                                 (*Was Du nicht willst, was man Dir tu´, das füg´ auch keinem andern zu.)
Adel und Militär genossen höchstes Ansehen, die Geschlechterrollen waren eindeutig zugeteilt und gegensätzlich, wobei Frauen konfessionelle und karitative, dienende Aufgaben hatten. „Fräulein“ war ein Ehrentitel, Ehebruch galt als schweres Vergehen, wurde jedoch durch Doppelmoral lizensiert.
Mehrfach neue politische Systeme, der Wertezusammenbruch und die beiden verlorenen Weltkriege mit Verlust von Angehörigen und Besitz, Vertreibung traumatisierte diese Kohorte und wirkte auf die Nachfolgenden.

= Die Kriegsgeneration
Die Jahrgänge 1920-1923 wurden nahezu ausgerottet.
Die zwischen 1918-1933 geborenen wuchsen zwischen den beiden großen Kriegen auf.
Sie erlebten Inflation, Demokratie und Naziherrschaft, gehörten zur Hitlerjugend oder zum   Bund Deutscher Mädel, erlernten deren Ideologie, wurden den Eltern entfremdet und zum Kriegsende noch eingezogen.

Auch bei der Alterskohorte der zwischen 1925-1945 geborenen sind Traumatisierungen nahezu regelmäßig zu erwarten, durch Naziherrschaft und Krieg, Flucht und Vertreibung, Kinderverschickung, fehlende Väter usw..
Sie sind oft in die Problematik von Schuld, Strafe und Reue verwickelt.
Fehlten die Mütter führte die Deprivation zu Anklammern und Angst vor Trennung, die Ent-idealisierung der Väter zeitigte Strukturdefizite, die oft zu Störungen der Beziehungen und zu narzisstischen Kompensationsversuchen führte, wobei die Objekte austauschbar waren.
Gewalt, Schläge, sadistische und sexuelle Übergriffe, Tod und Trauer wurden verleugnet. Einige Kinder dieser Generation leiden auch an der irrational-kindlich-magischen Phantasie, am Tod des Vaters oder der Mutter schuld zu sein. Andere verachten sich selbst, da sie ihren Vater schwach erlebten.

Weitere Erschütterungen brachten auch die Machtwechsel, so dass die jeweiligen Ideologien plötzlich und radikal zu Illusionen und das Gegenteil der bisher einzigen Wahrheit wurden.
Gehorsam, Treue, Pflicht waren auf einmal Verbrechen. In der DDR setzte sich unter der russischen Ägide das bekannte Leben mit neuer Ideologie fort. Aber z.B. Gewalt als Erziehungsmittel wurde mit der Staatsgründung verboten. In der BRD lebte der autoritäre Zeitgeist noch lange – teils bis heute – weiter. Andererseits galten die Amerikaner, als Befreier. Sie brachten Press- und Meinungsfreiheit; Pluralität war erwünscht, ebenso wie Reisen und Weltkultur.

Ein aktueller Verlust kann für Menschen (nicht nur dieser Alterskohorte) Auslöser für eine Depression werden, wobei die dahinter liegende, jahrelang verdrängte Aggressionen, Trauer, Wut und Rachewünsche zum Vorschein kommen können.

= Die Nachkriegsgeneration
1944-1954 geboren
war man dennoch den Einflüssen von Nazizeit und Krieg passiv ausgesetzt. Denn es blieben Spuren der elterlichen und großelterlichen Traumatisierungen spürbar, ebenso wie die Verleugnung der Vergangenheit, das persistierenden Gedankengut und der überkommene gestrige Erziehungsstil schwarzer Pädagogik.
Andererseits waren da das Streben nach einer besseren Zukunft im westdeutschen Wirtschaftswunder, Wiederaufbau, Frieden und relativen Wohlstand.
So ist auch ihr Schicksal von außergewöhnlichen Belastungen geprägt und ihre psychische Entwicklung nachhaltig geschädigt, so dass bei ihnen die Lösung der Aufgaben in den Lebensstufen Partnersuche, Familiengründung, Beruf und Identitätsfindung vielfach störanfällig waren.
Aus dieser Kohorte stammen auch die „68er“, die mit den Älteren wegen ihrer Nazivergangenheit ins Gericht gingen. Da zeigte sich eine Mischung aus Empörung und Aufbruchstimmung, die über kulturelle und sexuelle Befreiung von Tabus zu einer besseren individuellen Entfaltung führen sollte. Die Frauenbewegung wurde wichtiger, ebenso das Thema Ökologie.
Mit dem Vietnamkrieg (1955 – 1975) kippte die Glorifizierung ins anti-amerikanische und zum Teil in die blauäugige Idealisierung von Marxismus und Kommunismus.

Vielen Kriegsteilnehmern, ebenso wie deren noch autoritär erzogenen und missbrauchten Kindern gelang das nicht. Viele Erlebnisse blieben unbewältigbar und werden erst im Alter zu beherrschenden Themen, die auf Erlösung drängen – indem man herausfinden will, wer man selbst eigentlich ist. Meist zeigt sich im Alter auch der zunehmende Wunsch, in die Geborgenheit der Familie und in einen Schutzraum zurückzukehren. Ebenso schafft das Erleben, Teil einer Alterskohorte zu sein, ein gutes Zugehörigkeitsgefühl.

Krieg hinterlässt immer lebenslange Prägungen, wobei sich innerpsychisch oft eine Krieg fortsetzt, der durch abwehrende Identifikation mit dem Aggressor in der Kindheit begann. Erst nachträglich begreift man, dass Gruppenideologien den Gesetzen der Massenpsychologie folgen.

Diese bezieht ihren regressiven Tiefgang aus Instinktverhalten und schüren blinde Leidenschaft, so dass der Einzelne zum Herdentier wird, das dem Leittier folgen muss. Die Identifizierung mit diesem ist zwingend, es gibt nur einen gemeinsamen Willen, die Person mit ihrer Individualität ist ausgelöscht. Die Ideologie macht dafür blind.
Die Uniform macht alle gleich, die gegenseitige Identifizierung verstärkt die Affekte.
Symbol für die gemeinsame Ideologie ist die Fahne, der man folgen muss.
                            (Eine friedliche Form davon lässt sich auf Musikfestivals und in Fußballstadien erleben.)

= Die 1954-1963 und später geborenen lebten in einer der längsten Friedenszeiten in Europa, in großer individueller Freiheit sowie Wohlstand mit scheinbar unerschöpflichen Ressourcen und Möglichkeiten, alle Bedürfnisse zu befriedigen. Sie sind davon geprägt und viele halten das noch immer für selbstverständlich und ohne eigenes Zutun garantiert.
Die friedliche Revolution in der DDR schien zu bestätigen, dass alles friedlich gut werden und bleiben kann, dass die Globalisierung ein Zusammenrücken in der Welt bewirken würde.

Inzwischen zeigt sich der lange unbewusst schwelende „kalte Krieg der Generationen“ offen, den Johannes Pantel (2022) analysierte: Der demografische Wandel spitzt sich fortwährend zu. Insbesondere der unmittelbar bevorstehende Renteneintritt der Babyboomer-Generation wird erhebliche Finanzierungsprobleme für Folgegenerationen zeitigen. Das Hinterlassen horrender Staatsschulden und maroder Infrastruktur sowie die Klimakrise sind weitere Probleme, die aus Sicht vieler junger Menschen Zeugnisse dafür sind, dass die Älteren über ihre Verhältnisse gelebt haben. 

Das Ergebnis wird ein zunehmender Kampf um Ressourcen sein; um Wasser, Land, Nahrung, Zuwendung und Kontrolle. Das droht die Solidarität zwischen Jung und Alt aufzubrechen. Zudem bedroht der Fachkräftemangel die Überlebenschancen und mindert die Lebensqualität alter Menschen immens. Dazu trägt vor allem auch die verbale Aufrüstung im Generationenkonflikt durch populistische Parolen bei. Hinzu kommt der längst hybrid geführte „Krieg der Systeme“, wobei sichtbar die alten Machthaber nicht loslassen wollen und junge Gestrige ihre Position einnehmen möchten.

Stellung und Macht sind immer ein Surrogat, ein nicht vollwertiger Ersatz für Liebe.
                                       (Ein derartiges Defizit sehen wir bei vielen politischen Führern in der Kindheit.)

Konflikte werden inzwischen immer häufiger wieder gewaltvoll ausgetragen, um die je eigenen Ideen durchzusetzen. Selbst in Europa, das lange von Krieg verschont blieb, muss die junge Generation schon wieder das angestammte Territorium verteidigen.
Untersuchungen zeigten, dass Machthaber dann dazu neigen, sich der Jugend zu entledigen, wenn mehr
als ein Fünftel der Bevölkerung aus 15-25jährigen besteht; insbesondere, wenn es für sie nicht genügend
Aufstiegschancen gibt; dass es dann leicht zum Ausbruch von Gewalt, Krieg und Massentötungen kommt.

Abhilfe könnte das Korrigieren falscher Altersbilder und die Bereitschaft zu neuen Dialogen zwischen den Generationen schaffen.

Es liegt nämlich auf der Hand, dass das Leben in der Jugend sehr von der Macht der Erwachsenen und Alten bestimmt wird. So steht die Einzelperson immer latent im Konflikt mit den verordneten Zeitströmungen. Dabei mischen sich die aus dem Familienmuster entstandenen Triebspannungen zwischen Jung und Alt, Vätern und Söhnen, Müttern und Töchtern sowie Geschwistern.
                    (Deutlich sichtbar werden diese überkommenen Konflikte z.B. bei Erbstreitigkeiten)
So waren und sind die Themen von Krieg, Gewalt, Ideologie, sich zu kurz gekommen und missbraucht fühlen mit all ihren Folgen in der zweiten Hälft des 20. Jahrhunderts immer präsent gewesen und nehmen im beginnenden 21. Jahrhundert wieder mehr Raum ein.

Dabei sollte man meinen, mit Bildern vom Hubble- oder James Webb-Teleskop, die die riesigen Dimensionen des Weltalls und die Fragilität unserer Erde zeigen, müsste kleingeistiges Nationalstaatendenken längst überwunden sein.
             Dummerweise ist es so, wie Meister Yoda, in einem der Starwars-Filme von George Lucas, sagt:
                                           die dunkle Seite der Macht ist zwar gleich stark, wie die helle Seite der Macht,
                                                   aber das Zerstören geht schneller und leichter als Aufbauen und Erhalten.)

Alle Aufspaltung, das Schwarz/Weiß- und Freund/Feind-Denken, die projektive Diffamierung und Schuldzuweisung sowie das hohe Gewaltpotential gegenüber Andersdenkenden, sind Schlüssel für das psychische Erleben in fundamentalistischen Ideologien und in das Verhalten im Krieg. Der in jedem Menschen enthaltene psychotische Kern wirkt sich besonders im Gruppenverhalten aus.
Da politische, religiöse und ideologische Überzeugungen in tieferen, archaischen psychischen Ebenen verankert sind, müssen sie nach primär-prozesshaftem Modus direkt, konkret und kompromisslos befriedigt werden.
Erst auf reiferer Ebene beginnen derartige Prozesse sekundär verhandelbar zu werden.
Auf einer hoffnungsvollen Tertiärebene lassen sich dann Ambivalenzen anerkennen und nebeneinander aushalten; es können andere Überzeugungen respektiert werden, während bei Projektionen der Eigenanteil erkannt sowie empathisches Mitgefühl entwickelt, Vernunft betont, Affekte gemäßigt und Gewalt bei anderen deeskaliert werden kann.

Nur das Aufdecken solcher Zusammenhänge öffnet Wege, um von diesem archaischen Niveau zu höheren Strukturen zu kommen.                                    (Fatal wirkten da Werbeslogan wie „Geiz ist Geil“ oder „Du willst es, Du kriegst es“)

Aus Sicht der älteren Generation war da auch die abrupte Abschaffung der Wehrpflicht in der BRD eine jugendliche Unbedachtheit. Es wurde nicht erwogen, dass der Wehrdienst die naturgegebene, testosteronbedingte Kampflust der jungen Männer und Ideologieoffenheit gerade dieser Altersgruppe kanalisiert, die sich jetzt leicht radikalisieren lässt. Auch die Alternative des Zivildienstes erfüllte eine wichtige soziale Aufgabe und förderte die Verständigung von Jung und Alt sehr.
Gerade weil die Alterskohorten so unterschiedliche Lebenserfahrungen mitbringen, ist es so wichtig, etwas von der Entstehungsgeschichte zu wissen, denn das bringt beiden Gewinn und vermindert Aberglauben und Verschwörungstheorien.
„Alles was die Kulturentwicklung fördert, arbeitet auch gegen den Krieg“, meinte bereits Sigmund Freud (1856 – 1939).

Ziel vieler Bestregungen ist das Eingebunden sein in die Gruppe und das Kollektiv.
Dieser Zugehörigkeits- und identitätsstiftende Wunsch gilt für alle Gruppen,
von der Kleinfamilie, über politische Gruppierungen, den Fußballverein oder die Dorfgemeinschaft.
Dabei gilt es, die Mitverantwortung für das Schicksal der Gemeinschaft anzuerkennen, ebenso wie die persönliche Würde und Eigenständigkeit, die der Gruppe gegenüber vertreten wird; d.h. Gruppenidealen nur zu folgen, soweit sie persönlich zu verantworten sind.

  • Der Umgang mit Gefühlen

Grundemotionenbei allen Menschen gleich – sind Freude, Trauer, Wut/Ärger, Angst/Furcht,
Abscheu, Überraschung, Interesse, Ekel und Verachtung.

All diese Basisaffekte sind sinnvolle archaische Organisatoren, um die Grundsituation des menschlichen Lebens auf der frühen Hordenstufe der Menschheit zu meistern:

     Beim Betreten eines neuen Territoriums bewirken die Affekte von Erwartung, Neugier, Interesse
ein Innehalten und Aufmerken, um zu erkunden und sich das Revier vertraut zu machen.
Trifft man auf Unerwartetes löst der Affekt Überraschung, Prüfen und Beriechen aus.
Die sozialen Affekte entstehen, wenn man auf ein Hindernis oder einen Feind trifft.
Wut und Ärger bewirken Angreifen und Beißen.
    Erlebt man ein Gruppenmitglied als Freund, fühlt man Vertrauen, was Mitteilen und Pflegen auslöst.
             Erkennt man einen Geschlechtspartner, fühlt man Freude und ist von Wünschen nach Werbung,
       Besitzen und Begatten angetrieben.
Verlust eines Nahestehenden oder Verlassenwerden führen zu Traurigkeit und Kummer,
lösen Weinen und Rückzug mit dem Ziel der Reintegration in die Gruppe aus.
     Notaffekte, die bei realer oder gefühlter Lebensbedrohung ausgelöst werden, sind in als bedrohlich
         gedeuteten Situationen Angst und Schreck, die Flucht- oder Kampf- oder Totstellimpulse auslösen;
  bei realem oder psychischem Gift werden Abscheu und Ekel ausgelöst, die Wegstoßen oder Erbrechen auslösen.

Eine Erweiterung dieses Spektrums sind die archaischen Affekte aus der nomadischen Zeit des Menschseins
         wie z.B. erwähnt und gefeiert werden bei Verdiensten; Schuldgefühle bei Verfehlungen, Angst vor Bestrafung,
in die Enge getrieben, gejagt und verfolgt werden, zurückzubleiben oder verlassen zu sein.

Starke Gefühle sind immer Gegensatzpaare;
jeder bindenden Liebe ist untergründig mehr oder weniger trennender Hass beigemischt.
Das Ausbalancieren dieser Gegenkräfte ist das ganze Leben hindurch eine zentrale Aufgabe in jeder Beziehung.
War der Hassanteil in einer Beziehung groß, wird sich später, z.B. über das Berufs- oder Beziehungsende hinaus, der Kampf gegen das gehasste Objekt* als Selbstanklagen und Verdammungen fortsetzen.                                                        *(= Bild des anderen im Inneren)
Alle misslungenen Bewältigungsversuche verhindern den normalen Abschied, der über die Trauer zu einem neuen Anfang führt.

Der beste Umgang und eine sehr wirksame Methode mit Emotionen und belastenden Affekten umzugehen, ist Humor
wobei sich das Urteil „belastend – stärkend/ermutigend“ immer aus der subjektiven Bewertung ergibt.

Musik ist zudem ein wirksames Mittel, Affekte zu regulieren und zu lenken, eine gute Stimmung zu erzeugen.

Gefühle sind allerdings keine autonomen psychischen Phänomene.
Sie stehen immer in einem Funktionszusammenhang, folgen meist irgendwelchen Gedanken bzw. Einstellungen nach, verfolgen ein Triebziel, organisieren entsprechende Handlungsabläufe und sind immer mit körperlichen Reaktionen verbunden.                                                            (wie z.B. rot werden vor Zorn oder Blass werden vor Neid)

Ein Affekt bezieht sich immer auf ein Bedürfnissei dies bewusst oder auch unbewusst – und ist somit spezifisch.
Der Triebwunsch wirkt imperativ, in Befehlsform! Er fordert zu einer Bewegung auf und erlischt erst bei Erreichen des Triebzieles mit dem Gefühl der Befriedigung, bei Triebstille oder Schlaf.
Wird der Instinktkreis aus Bedürfnis -> Bewegung -> Befriedigung unterbrochen, wird die durch das Bedürfnis aufgerufene Energie einmal zur Unterdrückung des Triebimpulses (z.B. Hunger, sexuelle Appetenz) und zum anderen in Ersatzhandlungen umgeleitet (z.B. etwas trinken, Medienkonsum). Zurück bleiben dann allerdings Restspannungen, da es nicht zur Befriedigung des Antriebsmotives gekommen ist.
Spannungen im Körper erschöpfen einerseits, führen zu Angst und Depression oder rufen andererseits nach einer Weile Schmerzen oder Knorpelschäden an Gelenken hervor und führen zu latenten Entzündungsprozessen in Organen, mit der Folge von Diabetes, kognitivem Verfall, Arteriosklerose u. v. m.

Um zu verstehen, was los ist, was ein Verhalten bedeuten könnte, gilt es also, nach dem zugrunde liegenden Bedürfnis zu schauen, nicht auf die Oberfläche der gezeigten Emotionalität, den Bewegungen oder deren Auswirkungen.                                                                                             (Wo Rauch ist, da ist in der Regel auch Feuer.)

Auf der Ebene der Bedürfnisse sind alle Menschen gleich, so dass hier eine Verständigungsebene für die jeweils wirksame Wirklichkeit des Einzelnen gegeben ist.

Es lassen sich sogar universale Grundbedürfnisse benennen, die zum Erhalt des menschlichen Lebens erforderlich sind: Atmung, Wasser, Nahrung, Schlaf, Sexualität;
Nach diesen defizitbasierten Bedürfnissen, die der Körper als Mangel als Atemnot, Durst, Hunger, Müdigkeit und sexuelle Appetenz anzeigt, gehören weitere elementare Bedürfnisse dazu:
                           beständige liebevolle Beziehungen, Anerkennung, körperliche Unversehrtheit, materielle Sicherheit,
ein stabiles Umfeld, Geborgenheit, soziale Eingebundenheit, das Gefühl der Zugehörigkeit
                                zu einem Verbund mit sozialem Austausch, ebenso wie das Einnehmen einer sozialen Rolle
                          in der Gesellschaft und Möglichkeiten der Regulation und Erholung.
Sind diese Bedürfnisse erfüllt, entsteht Raum, um individuelle Ziele zu verfolgen, also Selbstverwirklichung anzustreben, um dem eigenen Leben einen Sinn zu geben.

Je nach persönlichen Vorerfahrungen und deren Defiziten oder orientiert an den Wünschen der Eltern sind die einen z.B. auf der Suche nach Erfolg, Anerkennung und Wertschätzung, während andere verstärkt auf Macht und Statussymbole zielen.
Wieder andere bauen die persönlichen Fähigkeiten aus, um sie gewinnbringend zu Hause oder im Arbeitsalltag einzubringen, z.B. um etwas für die Nachwelt zu hinterlassen oder die eigene Kreativität auszuleben.

Bei alledem hat der psychische Apparat die Tendenz, die Erregungsqualität konstant zu halten und den Energieverbrauch niedrig.
Das geschieht, wenn reifere Ich-Funktionen entwickelt wurden, über Realitätsprüfung und Selbstregulation durch Abfuhr vorhandener bzw. Vermeidung neuer Erregungszustände,
während die primitiveren Funktionen zur Bewältigung unbewusster psychischer Konflikte dazu tendieren bis zur völligen Erschöpfung und ohne Rücksicht auf Folgen nach Triebbefriedigung zu streben.
Emotionen und innere Zustände können erst mit Erreichen bzw. Vorhandenseins der symbolischen Ebene mittels Sprache differenziert benannt werden.

Die Reaktion auf einen Verlust (im Alter, wie in jedem Alter) wird entscheidend von der Art mitbestimmt, wie der Mensch in jungen Jahren bedeutsame Personen als innerpsychische Objekte verinnerlicht, also in sich „aufgenommen“ hat, so dass deren Eigenschaften zu Selbstanteilen wurden.
Nach dem Verlust eines geliebten Menschen, wie auch nach dem Verlust eigener Funktionen, muss dieses Objekt wieder „ausgeschieden“, losgelassen werden.
Dabei bewirkt die Ambivalenz, das Mischungsverhältnis von Hass und Liebe, in welche Richtung das Pendel ausschlägt;
ob nach einem Partner- oder Funktionsverlust der verhärtete Gemütszustand der Melancholie mit selbstzerstörerischen Auswirkungen entsteht oder
ob die Fähigkeit zu Selbstliebe und auch neuen Bindungen durch Trauerarbeit wieder hergestellt werden kann.

Um derartige „Stolperfallen“ ins Selbstschädigende zu umgehen, müssen die frühen Affekte von Neid und Misstrauen, die jeder Menschen kennt, überwunden werden. Dabei gilt es die misstrauische, eher sehr frühe „paranoide Position“ der projektiven Abwehr eigener aggressiver Impulse und die Verleugnung eigener Schwäche weiter zur „depressiven Position“ entwickelt werden, die entwicklungspsychologisch die nächste Stufe ist. So lässt sich, wieder versorgt zu werden, im Alter ertragen. Weiter könnte die Entwicklung dann zur „selbständigen Position“ gehen, in der sich Neid in Dankbarkeit zu wandeln vermag.

Sobald Verleugnung und andere Abwehrfiguren nicht mehr schützen, wird der faktische Zustand der Hilflosigkeit als Katastrophe empfunden – was wie ein Schock wirken kann.
Denn plötzlich ist man nicht mehr die Krone der Schöpfung, sondern ein ganz gewöhnliches sterbliches Wesen.

Ganz aktuelle Konfliktsituationen können da Auslöser sein für Enttäuschung, Zorn, Verbitterung, Angst, Neid oder Rachewünsche – ganz analog zu Affekten aus früheren Lebensphasen.
Diese Gefühle spiegeln das persönliche Schicksal wider: was man erlebt und wie man das verarbeitet hat – oder eben auch nicht; ob man zufrieden und stolz zurückblicken kann oder ob noch Rechnungen offen sind und welche Hoffnungen und Ziele man noch erwartet.

  • Ein Mensch, zwei Wörter: Körper und Psyche

Symptome sind deutliche Anzeichen für Zustände bis Störungen in einem System;
anders betrachtet sind Symptome oft auch Hilferufe, Appelle und Kontaktangebote, die
allerdings allzu häufig nicht verstanden bzw. fehlgedeutet werden, da Betroffene nicht sagen können, was los ist und Helfer die symbolische Bedeutung nicht entschlüsseln können – auch da dazu zum Teil biografisches Wissen notwendig ist, um die persönlichen Hintergründe für bestimmte Reaktionen und Bedürfnisse zu verstehen.

Es sind ja nicht die Dinge selbst, die beunruhigen, sondern die eigenen Vorstellungen und Werturteile, die man sich von ihnen macht, also die eigene Auswahl der in den Blick genommenen Aspekte und deren Bewertung.
Von außen sieht es dennoch manchmal so aus, als ob da von einem (inneren oder äußeren) Konflikt ein Sprung vom Affekt zu einem Körpersymptom passiert. Andererseits kennen wir auch die psychische Belastung, wenn wir an einer körperlichen Erkrankung leiden.
Psyche und Soma sind eben nur zwei Wörter, die das gleiche System, lediglich aus unterschiedlichem Darauf blicken, beschreiben.

Nun führt jeder starke Affekt, jede Aufregung, jeder Stress zur Steigerung der Pulsfrequenz und des Blutdrucks – was für die im Alter oft arteriosklerotisch belastete Arterien zu viel sein oder zu akuten Gefäßspasmen oder Herzrhythmusstörungen führen kann.
                                                                                    Trösten und Beruhigen normalisiert den Herzrhythmus.
  Rauchen verstärkt das Zusammenziehen der Gefäße und mindert die Sauerstoffzufuhr in die Gewebe.
         Gleiche Effekte, erregender, anspannender oder beruhigender Art können auch Emotionen haben.

Die akut auslösende Rolle von Affekten bei Herzinfarkt und Schlaganfall ist schon seit alters her bekannt. Aus heftigem Erschrecken, Angst oder in einem Wutanfall kann einen der Schlag treffen und ebenso vor Entsetzen das Herz stehen bleiben.
        (Nach dem Tod der Ehefrau versterben 12 % der Witwer, statt 1 % der gleichaltrigen Männer ohne
                 einen solchen Verlust. Auch nach dem Wegzug der Kinder, mit Eintritt in das Rentenalter oder
    nach großen Enttäuschungen versterben deutlich mehr Menschen, als statistisch zu erwarten wäre
.)

Ein Teil dieser Infarkte könnte vermieden werden, wenn die durch Dominanzstreben und Verleugnung entstehenden Konflikte anerkannt und wenn bei Konflikten die Gefühle grundsätzlich frei ausgedrückt würden – auch Ärger und Aggression, aber respektvoll und sozialverträglich.                                                          (Spannungsabfuhr)

Disponiert für eine koronare Gefährdung sind Personen mit hektischem Lebensstil, Ungeduld, Reizbarkeit, Aggressivität, einer Haltung der Feindseligkeit und Misstrauen;
während ruhige, wenig zu Aggression neigende Menschen, die sich Zeitgrenzen setzen können, weniger gefährdet sind.
Erstere fühlen sich oft auf die wohlwollende Bewertung ihres Tuns durch andere angewiesen; sie streben nach Anerkennung und haben Angst vor Verlust. Daher werden Affekte wie Wut, Neid oder Hass als gefährlich erlebt, unterdrückt und von Schuldgefühlen begleitet.                 (Spannungsaufbau und -erhalt)
Auslöser für diese bedrohlich empfundenen Gefühle sind meist Personen, die an Beziehungspersonen der Vergangenheit oder deren Verhaltensweisen erinnern.

Auch Schmerzen z.B. sind nicht nur Hinweis auf eine lokale Organstörung und freundliche Rückmeldung des Organismus, dass etwas nicht in Ordnung ist; sie drücken auch die Qualen des unter seinem Alter leidenden Menschen aus.
Schmerzen haben Ausdruckscharakter, sind eine archaische, frühe Form von Sprache.
Oft beruhen die Schmerzen auf einer Anspannung der Muskulatur, was ein Zusammenziehen des Organismus, und – aus anderer Perspektive gesehen – ein sich klein und eng machen, ein Angst haben ist.

Aus einem Körpersymptom kann, so gesehen, eine Emotion mit dem Ziel Kommunikation werden.
Jede Krankheit wird, so wird vermutet, durch einen spezifischen Konflikt bewirkt.
Während solch ein Konversionssymptom der Versuch ist, auf symbolischer Ebene emotionale Spannungen abzuführen, bewirken intensive und anhaltende emotionale Zustände Veränderungen an den Körperorganen.             
                                           (Bei der Blockierung von Aktivität, Aggression, Konkurrenz- und Feindseligkeit
                                              entstehen Bluthochdruck, Herzleiden, Arthritis, Hyperthyreose und Migräne,
                                                                                                  während bei der Blockierung passiver Wünsche,
                                         eher Obstipation, Colitis, Erschöpfungszustände und Asthma häufiger auftreten.

Ein Affekt kann auch der einzige Fingerzeig sein, der auf eine Traumatisierung deutet, die demjenigen häufig nicht bewusst ist.
Nazi-Zeit und Krieg waren mit starken Affekten verbunden, d.h. sie haben tiefe Eindrücke in der Psyche hinterlassen. Traumageschehen hinterlässt jedoch oft nur zersplitterte, unzusammenhängende Erinnerungen und den starken Wunsch, zu vergessen.
Daher treten, wenn getriggert, unwillkürliche Reaktionen auf, die unpassend, unangemessen erscheinen.

Ohne zusammenhängende, verstehbare Geschichte, leiden viele Betroffene, heute ältere Menschen, stumm unter Negativaffekten wie Wut und Verbitterung, fühlten sich verraten und geopfert; oft verbunden mit Scham- und Schuldgefühlen wegen der Täter- oder Überlebensschuld, Wiedergutmachungs- und Selbstbestrafungswünschen.

In der Folge können dann im Alter ungünstige Chraktereigenschaften wie Selbstbezogenheit, Eigensinn, negative Stimmungen zunehmen, ebenso wie die Angst vor Machtverlust und Ohnmacht sowie der abwehrende Neid auf die Jüngeren deutlich hervortreten kann.

Letztlich sind all die hier aufgezeigten Affektlagen nachvollziehbare Ergebnisse von Biographien, als Abwehr, Kompromissbildungen und regressive Versuche, Selbstachtung und Identität zu erhalten.

Neben diesen lebensgeschichtlich erklärbaren Affekten werden im Alter auch Urängste der Menschheit wieder virulent, wenn die im Leben erworbenen Steuerungsmechanismen nicht mehr gut kontrolliert werden können.
Dem Außenstehenden erscheinen die heftigen Affektentladungen als unangemessen, zumal die Affekte rasch wechseln können, wie bei Kindern.
Das kann so weit gehen, dass sich die der Familie vertraute Persönlichkeit verändert und Züge zum Vorschein kommen, die zuvor völlig unbekannt waren.
Das können depressiv-mürrische Verstimmungen sein, Abstumpfung, Gleichgültigkeit, unangemessene Angst und Gefühle von Bedrohtsein bis Panik, Weglaufen, sehr aggressives Verhalten gegen Pflegende oder Suizid.
Insbesondere Depressionen sind von negativen, pessimistischen, kommunikations- und lebensfeindlichen Affekten begleitet.
                    So kann der Affekt von Hilf- und Hoffnungslosigkeit, der oft Suiziden, Krebsausbrüchen und
                    dem Sterben vorausgeht, Resultat einer nachvollziehbar ausweglosen finalen Situation sein,
                                       die Sterbehilfe nahelegt. Alle Entscheider kommen da selbst in eine prekäre Lage.

Wenn Geduld und andere Möglichkeiten der Bewältigung von Affekten nicht mehr verfügbar sind, können Wünsche, Zorn und Ärger so heftig sein, dass sie sofort befriedigt werden müssen. Für die Betroffenen fühlt sich die entstehende innere Spannung wie unerträglich an!
Schnell kann es da (auch bei Unterstützern) zu Freund-Feind-Polarisierungen kommen; insbesondere, wenn die Demenz zunimmt, kann wahnhaftes wie ganz real erlebt werden.  (z.B. gesteigerte Eifersucht durch Alkoholismus)

Zum Teil sind solche Zustände des „außer sich Seins“ auch durch Austrocknung, durch Schlafmangel oder durch Medikamente ausgelöst.
                   (Durstempfinden lässt im Alter nach, Durst weist da bereits auf eine echte Dehydration hin)
            (Überdosierung, übersehene toxische Risiken, Selbstmedikation unverträglicher Kombinationen
                                                                    oder auch fehlende Einnahme von notwendigen Medikamenten)

Multimorbidität stellt ein generalisierte „somatisches Entgegenkommen“ dar, sodass Affekte und Emotionen nicht mehr wie bei jungen Menschen elastisch abgefedert und kompensiert werden können, sondern überall im Körper ihre Prädilektionsstellen* vorfinden, an denen bei entsprechender Belastung und Auslösung die Dekompensation ins Organversagen führen.
*(Körperorte, an der eine bestimmte Erkrankung bzw. Krankheitserscheinung bevorzugt auftreten)

Damit hat der Umgang mit Gefühlen einen erheblichen Einfluss auf den Verlauf von Krankheiten und Lebensdauer.
Daher gilt es das körperliche Entgegenkommen, das Umschlagen von funktionellen Veränderungen,
die z.B. über Affekte, Erregungszustände oder Anspannungen ausgelöst sind,
in manifeste Schädigungen im Körper, so gering zu halten, wie möglich zu halten –
durch Vermeidung von Risikofaktoren, Bewegung, und indem man sich Menschen anvertraut, denen man vertrauen kann, die einen guten Resonanzboden bietet, auf dem Affekte ausschwingen können. Auch Altersmilde, die mit Versöhnungsbereitschaft, emotionalem Abstand und Toleranz einhergeht, ist eine Bedingung zu Risikominderung.

Der nicht gemeisterte Affekt der Angst hingegen bewirkt Unterwerfung, Selbstaufgabe und Resignation.

  • Vorteile des Alterns

Ein Drittel der Ruheständler fällt in „ein Loch“.
Je höher das Ansehen des Berufs und die persönliche Reputation waren, desto mehr Befriedigung und Gratifikation hatte er gewährt, so dass beim Verlust von Status und Rolle zugleich ein Verlust an narzisstischer Zufuhr und Bestätigung eintritt.

Ist man zu stark mit dem Beruf (oder auch einem Ehepartner) identifiziert, dass man über den Abschied* hinaus daran festhält, ist da kein Raum mehr für Veränderung – eine neue Identität ist nicht vorstellbar; was den Alterungsprozess fördert.
*(sei es der Auszug der Kinder, der Ruhestand, eine Scheidung oder der Tod eines geliebten Menschen)
Besser scheint es, wenn die Persönlichkeit mehr ist als das Amt oder die Rolle.

Konsequenterweise führt diese Erkenntnis zu einem frühen Aufbau von Hobbies und Freundschaften. Man lebt in der Gegenwart, übt sich als Lebenskünstler, statt, wie depressive Menschen gedanklich in der Vergangenheit zu verharren oder bei ungelebten Träumen und unerreichten Zielen festzuhängen. Man freut sich an dem was man hat, statt sich über das zu beklagen, was man nicht hat und gerne hätte.

Zenit des Erfolges wäre es also, unbesiegt abzutreten, einen würdigen Übergang bewusst und ohne Not zu gestalten.

Doch solange solche differenzierten Reifungsschritte als innere Prozesse nicht durchlaufen sind, ist ein befriedigendes Loslassen nicht möglich; es bleibt eine ungelöste, vergangenheits-fixierte Bindung mit Gefühlen von Kränkung, Entwertung und Bitterkeit.

Es braucht also Aktivitäten, die den Körper und den Geist üben, an denen man Freude hat.

Die traditionelle Vorstellung vom Alter als nur biologischem Abbau ist ein nicht mehr haltbares Klischee.
Altern ist eben nicht nur mit Nachteilen, Verlusten und Defiziten, sondern auch mit enormen Vorteilen, Gewinnen und Progressionen verbunden.

Selbst die altersbedingten Defizite, wie Einschränkung des Bewegungsradius, können ebenso als Vorteil gedeutet werden, weil sie die Hinwendung nach innen, Zeit für Reflexionen mit neuen Einsichten und Entdeckungen erlauben.
Der bei manchen nachlassende Triebdruck gibt emotionalen Abstand, sodass man ausgeglichener und nüchterner urteilen kann.
Auch das Nachlassen kognitiver Fähigkeiten kann zur Konzentration auf das Wesentliche gesehen werden, was zu besseren Problemlösungen führen kann.
                                                                       (Wie man in der modernen Hirnforschung herausgefunden hat,
               gleicht das Limbische System permanent die Gegenwart mit früheren analogen Situationen ab
                       und aktiviert dabei die emotional Erinnerungen warnendenden oder belohnenden Inhalts,
                                                             sodass ein gut fundiertes, erfahrungsgeleitetes Verhalten resultiert
.)
So kann Demenz z.B. die Heilung belastender Affekte bedeuten.

Betrachtet man das Leben als identitätsstiftendes Theaterstück, sind wir darin unausweichlich aktive Mitspieler, Mitbetroffene und Zuschauer. In diesem Theater ist das Leben ein ständiger Fluss von Szenen und Akten im Beziehungsnetz.
Untereinander sind wir vielfach identifiziert und mit starken Kräften gebunden … und wir tun überwiegend, das was alle tun.

Denn eine Hauptbedingung für Lebenszufriedenheit ist ein gutes Beziehungsnetz.

Nur in der Szene ist das Leben dicht und prall erfahrbar, nur die Szene macht alles lebendig und verständlich. Daher ist es notwendig, seine Rolle anzunehmen, um nicht nur Individuum zu sein und getrennt. Viele kommunikative Trieb- und narzisstische Bedürfnisse lassen sich durch identifikatorische Teilhabe virtuell befriedigen. Zugleich ermöglicht das Schauspiel, sich auch in andere Rollen einzufühlen, Phantasien und Wünsche ohne Scham und Angst vor Verurteilung auszuprobieren, das Erlebte aus der Rolle des Beobachters zu betrachten und darüber zu reflektieren – insbesondere auch, welche Rolle man selbst und die nahen Beziehungspersonen im Spiel des eigenen Lebens haben und welches Stück da eigentlich aufgeführt wird.

Entwicklungskrisen können in jedem Lebensabschnitt, in jeder Szene, aufgetaucht sein, von der frühkindlichen Traumatisierung über Pubertät, Adoleszenz, Berufseintritt, Familiengründung, Midlife-Crisis, Klimakterium, Auszug der Kinder, Ruhestand, bis ins hohe Alter; meist eben an grenzüberschreitenden Stellen, an denen Veränderung neue passende Umgangsweisen erforderten.

Dabei werden aktuelle Konfliktsituationen erst dann erkennbar, transparent und zum Teil auch behandelbar, wenn erkannt werden kann, auf welchen umschriebenen, verborgenen Erlebnissen aus der Vergangenheit sie basieren.
Es zu bemerken ist überhaupt der erste mögliche Zeitpunkt, an dem bewusst etwas verändert werden kann; zuvor musste man es nehmen wie es kam, da man es ja nicht wusste, da es unbewusst war.
Vielfach sind frühere Entwicklungsschritte, die bereits gemeistert wurden gute Vorbilder,
wie aktuell, spielerisch, ausprobierend, neue Wege gefunden werden können.

Im Lebensrückblick kann der ältere Mensch auf die Zeiten in seinem sozialen und politischen Umfeld zurückschauen, kann besser vergleichen und vorher scheinbar Unvereinbares integrieren. Hierher gehört auch die Fähigkeit, seine Herkunft zu bedenken, nach seiner eigentlichen Identität zu suchen, sich mit sich und anderen, wie auch mit eigener Schuld auseinanderzusetzen und Wiedergutmachung zu leisten.

Ein wesentlicher Bestandteil ist hier die Überprüfung und Regulierung der vergangenen und gegenwärtigen (inneren Objekt)Beziehungen, um sich aus der diesbezüglichen Ambivalenz zu lösen.
Das hat viel zu tun mit Einsicht in die eigenen Grenzen, mit Anerkennung und Annehmen, auch von Selbstkritik, und dem eingestehen von bisher nicht erreichten Zielen und nicht realisierten, nicht mehr realisierbaren Wünschen.
Im günstigen Fall führt das zu Demut und Bescheidenheit: „Ich weiß, dass ich nichts weiß.“ Dabei ist die Fähigkeit zu trauern und die Annahme der Vergänglichkeit unerlässlich, um einen Zustand der Weisheit zu erreichen.

Der deutsche Psychologe Paul B. Baltes (1939 – 2006) formulierte als Kriterien der Weisheit:
– reiches Wissen von Fakten zur Pragmatik des Lebens
– Erfahrung im Umgang mit Emotionen und Lebenssituationen
– Fähigkeit, die Dinge im Zusammenhang des Lebensverlaufs zu sehen und mit Ungewissheiten umzugehen
– Erkenntnis menschlicher Fehlbarkeit sowie nicht an starren Werten zu hängen

Sind diese Kriterien erfüllt, geht damit die Fähigkeit zu ausgewogenen Urteilen und zum Lösen von Problemen einher.

So gelten Gelassenheit, Geduld, sich Zeit lassen und Dinge ausreifen lassen, eine Haltung von Besonnenheit, Humanität, Toleranz und die Neigung zum Ausgleich als Zeichen der Reife.

Dennoch, im Vergleich neigen Männern (nach altem Rollenklischee) dazu, ihre Defizite zu verleugnen und zu verbergen oder begegnen ihnen aktiv. (Viele beginnen im Alter z.B. das Walken, Joggen oder Radfahren.)
Frauen möchten tendenziell mit Hilfe von Frisuren, Kosmetik und Schönheitschirurgen ihre jugendliche Erscheinung bewahren. Sie suchen häufig Verständnis und Hilfe bei anderen und teilen ihre Ängste und Phantasien verbal, mittels Körpersprache, Gestik und szenischer Darstellung mit.

–           Soziales Engagement – von Nutzen der Alten

Die alarmierenden demographischen Verschiebungen der Altersstruktur hierzulande stellen unsere Gesellschaft in den kommenden Zeiten vor neue, große Herausforderungen; ebenso wie der wirtschaftliche Strukturwandel und der menschengemachte, schnell voranschreitende weltweite Klimawandel und der hybride Krieg der politischen Systeme.

Reaktiv geht es schon jetzt auf politischer Ebene um Fremdenfeindlichkeit, Islamismus, Terrorismus und Russlandversteher und – eher heimlich – um Geldmarktprobleme; sowie auf privater Ebene um Rente, Pflege, Vollmachten, Patientenverfügung und Erbfragen; aber auch um die neue, selbstverwaltete Freizeit, oft im Ehrenamt.

Gerade nach dem Auszug der Kinder oder dem Ausscheiden aus dem Beruf zeigt sich der Verlust einer lange gepflegten Identität.

Danach gibt es einerseits den Sog in die Privatheit, in die Geborgenheit der Familie und die Freiheit der Lebensgestaltung; andererseits lässt sich über eine Funktion im öffentlichen Leben weiterhin Sinn generieren. Im ehrenamtlichen Engagement hat man Gelegenheit, seine Erfahrungen einzubringen und dem passiven Altsein entgegenzuwirken und das gefühlte Altern scheinbar aufzuschieben, zumal die soziale Einbindung auch gesundheits-förderliche Aspekte hat.

Gesellschaftlich sind die jüngeren Alten so oft Motor für Innovationen, vor allem aber ein wichtiger Garant für Zusammenhalt und Solidarität der Generationen.

  • Der Abschied

In der letzten Lebensphase spürt man, wann es Zeit ist zu sterben, und ist bei der Bestimmung des Zeitpunktes mitbeteiligt.
Würdiges menschliches Sterben ist ein sehr persönlicher Prozess, der sich unter individuell sehr unterschiedlichen Aspekten und meist nach den vom Körper diktierten Abläufen vollzieht.
Am Ende stirbt jeder seinen eigenen Tod und findet seine persönlichen humanen Antworten.

Auf die Frage, was kommt danach, gibt es eine Skala von extrem widersprüchlichen Antworten, die vom absoluten Nichts bis zum unveränderten körperlichen Weiterleben im Jenseits reichen.
Da niemand es wissen kann, darf jeder das glauben, was ihm liegt.
Der Tröstungen, die jeder braucht, kann man in vielen Formen finden.
Viele der Erwartungen in Bezug auf die Zeit nach dem Tod zeigen offen oder unterschwellig bei vielen Menschen einen Bezug zu den in der Kindheit erlernten religiösen, traditionellen Inhalten. Vieles davon dürfte illusionär sein, außer wenn Gott, als das unbewegt Bewegende und das Wort nicht mehr als Gegensatz gelten, zu Natur und Universum als bewegtes, sich veränderndes. Selbst die Physik zeigte, dass Masse und Energie nicht getrenntes sind.
Nur die ungeheuren Zeiträume machen es unserem Geist schwer, die Zusammenhänge zu seinen, in denen alles immerzu fließt und sich „ledigleich“ in seinen Erscheinungsformen verändert.

Zu wünschen ist jedem, dass er seine Lebenszeit auskosten und es mit sich und anderen versöhnt abschließen konnte, um lebenssatt zu gehen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert