Foto aus der Powerpoint-Präsentation „Schmerz gegen den Schmerz“ von Prof. Dr. Sabina Misoch, Uni Mannheim. Bitte anklicken!
In Deutschland probieren 25-35 % aller Jugendlichen mindestens einmal im Leben selbstverletzendes Verhalten. Etwa 15 % der 15jährigen verletzen sich laut Stichproben häufiger.
Dieses Verhalten kann Ausdruck einer anderen Erkrankung wie Depression, Persönlichkeits- oder Angststörung sein.
In jedem Fall zeigt dieses Verhalten eine große Verzweiflung, eigentlich auch Ratlosigkeit und ist doch auch einen kreativen Ausweg aus unerträglichen Spannungen und der Versuch mit schwierigen Gefühlen oder Situationen fertig zu werden … und es ist ein sehr potentes, schnell wirkendes Mittel zurück in´s Hier und Jetzt. Etwas selbst tun zu können verschafft Erleichterung, nimmt vorübergehende den Druck, verdrängt negative Gefühle und bedient vorgestellte, „verdiente“ Strafbedürfnisse oder verschafft ein Spüren, wo zuvor nichts gespürt wurde. Mit dem Blut wird das Lebendige sichtbar.
Blessuren, Narben, viel Zeit im Bad verbringen, gefundene Rasierklingen, lange Kleidung trotz Hitze usw. können Warnsignale für selbstverletzendes Verhalten von Jugendlichen u.a. sein – wobei zwischen suizidalem und nicht suizidalem Verhalten unterschieden wird.
Sind empfundene Probleme für jemanden so stark, dass eine Selbsttötung als erlösender Ausweg erscheint, so sollte das unbedingt angesprochen werden! Zusammen lassen sich Alternativen entdecken, die Funktion und Gründe der belastenden Gedanken besprechen und evtl. eine Klinikeinweisung erreichen, die Distanz und Zeit schafft, um andere Auswege sehen zu lernen.
Tun sich die Betroffenen „nur“ weh, wollen aber nicht sterben, sieht man z.B. Ritzen, Schneiden, Verbrennen, sich schlagen oder den Kopf anhauen. Das kann laut Prof. Misoch folgende Funktion haben:
Als Eltern sollte man unbedingt ruhig bleiben, ein verlässlicher Ansprechpartner sein; es gilt, nicht in Panik zu verfallen, keinen Druck aufbauen oder Vorwürfe machen, sondern vorsichtig interessiert nachzufragen und zuzuhören! Sonst kann sich die Situation noch verschlimmern. Es ist sogar zu akzeptieren, wenn Jugendlichen nicht darüber sprechen wollen. Vielleicht gibt es ja eine andere Vertrauensperson, mit der das vorstellbar ist.
Es gibt viele Anlaufstellen, an die Betroffene und deren Angehörige sich wenden können, wie den sozialpsychiatrischen Dienst in Gießen oder Wetzlar, niedergelassene Psychotherapeut/innen, psychiatrische Ambulanzen von Krankenhäusern: Vitos Klinik Gießen/Marburg oder Herborn, örtliche Beratungsstellen für Kinder-, Jugendliche und Familien in Gießen bzw. im Lahn-Dill-Kreis, Suchtberatungsstellen in Gießen oder Wetzlar, Telefonseelsorge oder die Nummer gegen Kummer: 0202 2590590.
Quelle: Gloria Fischer-Waldschmidt, leitende Psychologin an der Klinik für Kinder- und Jugendlichenpsychiatrie am Psychosozialen Zentrum des Uniklinikums Heidelberg, Gießener Allgemeine, 20.09.2023