theoretische Überlegungen
Am 16. April 2020 Von Dr. Alfons Lindemann In Allgemein
Im Zuge der Diskussionen mit unserer Landrätin Schneider, wie auch in der Diskussion um „New Work“ (Inwerk, Multispace LAB-3) ist mir noch einmal ganz deutlich geworden, dass sowohl in staatlichen Organisation wie in Firmen immer noch die überkommene Vorstellung wirkt: als Chef müsse man Organisator und Ordnungsmacht sein … und bleiben.
Da werden Pläne geschmiedet und vorgegeben, so dass Mitarbeiter oder Bürger zu Wasserträgern beim Umsetzen der Vorstellungen ihrer (gewählten oder unternehmerischen) Vorgesetzten werden.
Gerade in der Corona-Krise ist noch einmal deutlich geworden, wie schwierig es für die Entscheidungsträger ist, aber auch wie groß die Einflüsse von Beratern und Lobbyisten sind. Da kommt es schon darauf an, wer mit welchem Interesse wie berät und ob Zeit für die Diskussion widersprüchlicher Ansichten genommen wird / werden kann. Denn, um alle mitzunehmen, dauert die Diskussion länger und erfordert einen intensiven Austausch, immer wieder.
Auch bei einer repräsentativen Demokratie besteht die Gefahr der Abgehobenheit auf der einen Seite und der großen Bereitschaft zu gläubigem Gehorsam und dem Wunsch „den Oberen“ nahe zu sein, am anderen Spektrum des Geschehens – zumindest immer dann, wenn es am kommunikativen Austausch und an erlebter Teilhabe fehlt. Dabei gehen die Vorstellungen vom rechten Maß gerne auseinander – vor allem wenn es um die Handlungsfähigkeit der Führungsebene geht.
Prinzipiell stehen sich hier obrigkeitliche „top down“ (von oben nach unten) und andererseits unorthodoxe „bottom up“ (von unten nach oben) Systeme gegenüber.
Tiefenpsychologisch gedeutet also die quasi elterlich oder herrschaftlichen und die rebellisch-emanzipativen jugendlichen Selbstveraltungsmodelle.
Beide Formen entsprechen menschlicher Lebenserfahrung und auch echten Bedürfnissen,
z.B. nach Führung, Geborgenheit, starken, wissenden, unterstützenden Eltern und Zugehörigkeit,
wie auch die nach Freiheit, Selbständigkeit und Eigenverantwortung.
Auf der Seite der quasi elterlichen Modelle gibt es die fürsorglichen wie die autoritär-anweisenden Führungsstile, auf die ich hier nicht näher eingehen möchte.
Auf der anderen Seite stehen die in Richtung Selbstverantwortung und Demokratie orientierten Modelle, von denen ich nicht behaupten möchte, die seien prinzipiell besser.
Schließlich kommt es immer darauf an, wie man seine Macht und Möglichkeiten einsetzt – prinzipielle egozentrisch*) oder altruistisch*).
*) Egozentrik (latein: ego „ich“ und centrum „Mittelpunkt“) bezeichnet übertriebene Selbstbezogenheit und die Neigung, andere Menschen und Dinge beständig an sich selbst und der eigenen Perspektive zu messen. (nicht zu verwechseln mit Egoismus)
*) Altruismus (latein: alter „der Andere“) meint „Uneigennützigkeit, Selbstlosigkeit, durch Rücksicht auf andere gekennzeichnete
Denk- und Handlungsweise“
„New Work“ *), ernst genommen, ist ein ergebnisoffener Prozess und in der Gestaltwerdung des Produktes ohne vorgefertigtes Bild (Vorurteil).
*) Englisch: „New Work“ – deutsch: „neue Arbeit“ ist ein Begrifflichkeit, den der Sozialphilosoph Frithjof Bergmann entwickelte. Er geht in seiner Forschung nach dem Freiheitsbegriff von der Annahme aus, dass das bisherige Arbeitssystem veraltet sei. Die Bezeichnung ergibt sich daher als Konsequenz aus der heutigen Globalisierung und Digitalisierung, die Auswirkungen auf die Arbeitswelt haben. „New Work“ meint also die Gesamtheit der modernen und flexiblen Formen der [Büro]arbeit bzw. der Arbeitsorganisation (z.B. Telearbeit).
Alles wird durch die Teilnehmer am Prozess im Prozess – zum Beispiel im Biebertaler-Bilderbogen –selbst entwickelt.
Diese Projekte basieren grundsätzlich in Selbstorganisation, Freiwilligkeit, in der Freude am Tun und Lernen, wie auf Vertrauen in die Mitstreiter und in das grundsätzlich vorhandene Engagement der Beteiligten für die eigene und gemeinsame Sache – auch wenn sie sich ungleich einbringen. Denn grundsätzlich sind die einzelnen Teile (auch Menschen) für den Gesamtprozess austauschbar.
Die Grundhaltung ist Wohlwollen und ein Haltung von sich frei ergänzendem (kooperativem) Miteinander und Feedback (Rückmeldungen), so dass Ergebnisse ein Produkt von Wechselwirkungen ist.
(Das würde man im App- und TV-Projekt (in Teil 1 angesprochen) sicher auch für sich reklamieren; nur, da die strukturelle Gestaltung nicht den Bürgern obliegt, sondern in der Hand von Externen ist, stellen sich diese Produkte am Ende eben doch nicht in gleicher Weise als frei gestaltet dar; verbleiben abhängig.)
Im Idealfall stellen der/die Unternehmer oder die Politik einen Rahmen zur Verfügung, unterstützen.
Im Projekt werden regelmäßige Prozessanalysen der Teams organisiert, um zu sehen, ob man noch wirtschaftlich arbeitet und in passende, gewünschte Aufgaben investiert. Dabei wäre das Gewünschte hier das Ergebnis einer Diskussion, nicht einer Vorgabe – weder in Form noch Inhalt.
Man könnte das als organisierte Selbstorganisation beschreiben.
Derartige Foren (Markt- oder Diskussionsort, wie z.B. das Bilderbogen-Café, sind auch in non-profit-Projekten (Projekte ohne Gewinnstreben) notwendig, wobei – je größer der Kreis, umso mehr muss mit sich wechselseitig informierenden Untergruppen und im Gesamtplenum gearbeitet werden.
Um Verwaltungsprozesse kommt man also nicht herum, auch wenn das im Stadium des innovativen „Garagenbetriebs“, wo alles auf kurzen Wegen mit „Zuruf“ arbeitet, durchaus zunächst funktioniert.
Aber die neuen Freiheiten an Selbstverantwortung bedeuten zugleich Team- und Produktverantwortung.
Derartige Verantwortungsübernahme ist natürlich nicht einfach oder bei allen da, nur weil man die Dinge und Prozesse jetzt mit Anglizismen benennt: die Cafeteria heißt jetzt Work-Café oder Food-Corner (Essecke); die aufgestellten Sitzgruppen oder der Kicker werden nun Playground (Spielplatz) genannt und die Wände (walls) und Schreibtische (desks) werden mobil umherschiebbar und die Arbeitsplätze Workplaces an denen Facetime gearbeitet wird (deutsch sinngemäß „Zeit für ein persönliches Gespräch / Treffen„) im Chat-Room, vielleicht im homeoffice (Büro daheim).
Das andere Label, deutsch Etikett, lässt zwar andere Assoziationen aus, aber zunächst sind alte, vertraute Strukturen dennoch wirkmächtiger.
Daher bedarf es einer permanenten Diskussion und Reflektion des eigenen Tuns und des Gesamtprozesses.
Das kostet Zeit. Die ist dennoch am Ende gut investiert, da sich alle mit dem gewählten Vorgehen identifizieren können. Arbeit macht auf einmal wieder Freude, da jeder gehört und ernst genommen wird, sich jeder selbst verwirklichen kann und aufgabenorientiert, über den Tellerrand hinausblickend mit anderen flexibel zusammenarbeiten kann.
Das muss gelernt werden – oft auch moderiert, da die alten Gewohnheiten und auch Verantwortungslosigkeiten eingeübt und vielfach gar automatisiert sind. Nun aber muss man selbst tun und verantworten.
Es ist aber doch so schön bequem, zu sagen: Gott oder der Chef oder ein anderer wird´s wohl machen. Zudem macht Neues oft erst einmal Angst bzw. wird mit großer Vorsicht betrachtet. In jedem Fall kosten innovative Prozesse erst einmal mehr Energie, als die automatisierten.
Schon deshalb tendieren die Systeme zurück zu den alten Mustern.
Da ist dann Supervision wichtig, um diese Entwicklungen immer wieder transparent zu machen und in eine neue Rückmeldungsschleifen einzuspeisen. Im besten Sinne ist das ein beständiger, wenn gelebter, Qualtätsmanagementprozess: plan – do – check – act – feed back – discus again … , also Planen, Machen, Prüfen, Handeln, Rückmeldung geben, noch mal Diskutieren, usw.
Im Gefüge von verkaufter Arbeitskraft und selbständigem Unternehmertum kommt es so zu Annäherungen, wenn beide Seiten verstanden haben, dass es im Miteinander und Füreinander allen besser geht, dass sich die Prozesse ergänzen, statt dass sie in ängstlicher Konkurrenz miteinander wetteifern.
Ich bin mir sicher, dass Menschen sinnvolles arbeiten wollen, dass sie Struktur und kollegialen Austausch, Zugehörigkeit und auch Phasen stillen, konzentrierten Arbeitens brauchen und keine unendliche Vielfalt an Möglichkeiten.
„Elterliche“ / Unternehmerische / Staatliche Fürsorge betrifft also den haltenden, normativen Rahmen und den „liebevoll zutrauenden“ Blick auf die Entwicklung und Entfaltung, nicht detaillierte, konkrete Handlungsanweisungen.
Damit kann aus Abhängigkeit entlassen werden. Das macht aber oft Angst, da Kontrolle verloren geht. Das kann nur durch Zutrauen und angemessenes Nachfragen bzw. Selbstkontrolle ersetzt werden.
„Jugendliche“ Freiheit und Selbständigkeit bedeuten ebenfalls nicht, dass man tun und lassen kann, was man will.
Es gibt (politisch) diskutierte Ziel, an denen man mitarbeiten kann und sollte, damit sich die eigenen Vorstellungen darin wiederfinden. Zugleich lernt man, mit Kompromissen zu leben, die ein wesentliches Element gelebter Demokratie sind.
Kann man bestimmten Entwicklungen „im Unternehmen“ nicht mittragen, solle man die Konsequenzen ziehen und das Unternehmen wechseln. Glücklicherweise ist die Welt bunt und für jeden wird sich ein Feld bieten, das er bestellen kann.
Um diese Felder zu finden, ist Information notwendig.
Dabei sind Unabhängigkeit und Staatsferne der Medien kein Selbstzweck.
Das zeigen die Erfahrungen aus der Zeit des Nationalsozialismus, in dem alle Medien gleichgeschaltet und dem staatlichen Propaganda-Apparat untergeordnet waren, ebenso. wie aktuelle Beispiele, in denen herrschende Gruppen auf Kosten Vieler einen Unterdrückungsapparat installiert haben, Meinung manipulieren und Reibach machen.
Um staatliche Instrumentalisierung von Medien in der Zukunft zu vermeiden, sollen, so die Gründermütter und -väter unseres Grundgesetzes, für die Meinungsbildung der demokratischen Öffentlichkeit unabhängige Medien die Aufgabe der Information der Bevölkerung übernehmen.
Denn nur Unabhängige sind in der Lage normative Vorgaben in Frage zu stellen.
Medien, wie wir sie hier diskutieren, sind prägend für die Gestaltung öffentlicher Kommunikation. Sie sorgen für verschiedenartige Informationen und Hintergrundinformationen. Sie stellen den Bürgern ihre Beobachtungen zur Verfügung, auf deren Grundlage diese ihre eigene Meinung bilden können.
Sie verleihen den Mächtigen oder den Vielen eine Stimme.
Durch machtpolitisch oder wirtschaftlich motivierte Einflussnahme auf Medien lässt sich der Prozess der öffentlichen Meinungsbildung einschränken sowie das öffentliche Interesse den Gruppeninteressen unterordnen. Somit führt politische wie wirtschaftliche Einflussnahme zu einer, oftmals gewollten Verzerrung der medial vermittelten, öffentlichen Meinungsbildung.
Je unvoreingenommener und vielfältiger die Beobachtungen der Medien sind, desto demokratischer ist der Prozess der Meinungsbildung.
Die Vielen aber brauchen eine Stimme, um gegen die wenigen, die Geld und Macht innehaben, zu bestehen.
Das Internet ist – wie wir z.B. im arabischen Frühling gesehen haben – ein mächtiges Instrument … auch wenn nach der Mobilmachung der Prozess der Konsolidierung ein deutlich schwierigerer ist. Andererseits werden z.B. in Tunesien gerade Tausende von Schutzmasken für Ärzte und Pfleger mit 3-D-Druckern gefertigt, da die Informationen dazu im Internet frei geteilt wurde („shared knowledge“ – geteiltes Wissen).
Mit all diesen Prozessen sind wir noch sehr unvertraut, wie sich bei den Versuchen eines „New work“ oder bei politischen oder unternehmerischen Umstrukturierungen sehen kann. Aber Anfänge sind da.
Hoffen wir auf eine sich frei und kreativ entwickelnde Szene, wie das in den Anfängen des Internet erhofft werden konnte, eingegrenzt durch Vetomöglichkeiten der Nutzer, um Missbauch und Kriminalität entgegenzutreten.