„Angst, Dein Freund und Helfer“ (1)

Ein Vortrag zu einer Veranstaltung der Kulturinitiative Biebertal, der so vermutlich nie gehalten werden wird, da er einen ersten Gedankenfluss zum Thema abbildet, der in Vorbereitung der Veranstaltung im Jahr 2022 entstanden ist.

Guten Abend,

als Veranstaltung der Kulturinitiative Biebertal möchte ich die Zeit heute Abend nutzen, mit Ihnen ein paar Bilder zu entwerfen.
Sie sehen, ich habe dazu meine imaginäre Leinwand mitgebracht und möchte Sie bitten, Ihre eigenen Bilder auf dieser oder ihrer eigenen inneren Leinwand entstehen zu lassen.

Beginnen wir damit, dass ich die meiste Zeit meines Lebens als ärztlicher Psychotherapeut verbracht habe.
Damit bin ich mit dem Thema „Angst“ immer wieder konfrontiert worden und viele Bürgerinnen und Bürger – auch aus Biebertal – haben dabei an meiner Weiterbildung mitgeholfen. Dafür vielen Dank.

Kommen wir zu den ersten Bildern, zu ersten zwei Fragen:
Was erscheint auf Ihrer inneren Leinwand, wenn Sie an „Arzt“ denken? 
Und was sehen Sie vor Ihrem inneren Auge, wenn Sie an „Psychologe“ denken?  

Ärzte beschäftigen sich mit dem Körper, Psychologen mit dem Seelischen, der Psyche. Wir denken das heutzutage ganz selbstverständlich als Dualismus, als gespalten und getrennt voneinander, statt integriert und als Einheit. Dabei ist der Mensch eine Ganzheit, in sich selbst wie auch nie von seinem Umfeld getrennt.
Statt von der erlebten, begriffenen Erfahrung aus, die oft unaussprechlich erscheint, beginnen wir mit Wörtern.
Letztlich rührt das daher, dass sich früher niemand vorstellen konnte, dass unbelebte und belebte Natur aus dem gleichen Stoff sind – in verschiedenen Erscheinungsformen.
Man dachte, das Lebendige, muss der Materie von etwas Okkultem; etwas übersinnlichen, verborgenen, geheimen; einem Geist eingehaucht werden.

Noch eine dritte Frage:
Wer von Ihnen hat heute nur seinen Körper hierher mitgebracht;
z.B. weil seine Seele oder der Verstand lieber daheimbleiben wollte?  

Niemand?
Das dürfte daran liegen, dass wir Individuen, also Unteilbar, sind.
Diese Vorstellung stimmt angesichts moderner Operationsverfahren zwar nicht mehr zu 100 %, ist im Prinzip aber immer noch richtig: Die Aufspaltung in Körper und Geist ist eine künstliche, um die verschiedenen Erscheinungsformen besser beschreiben und in Worte fassen zu können.
Ähnlich gehen Physiker mit dem Welle-Teilchen-Dualismus um und beschreiben, dass physikalische Teilchen bei der Ausbreitung Welleneigenschaften, bei der Wechselwirkung mit Materie jedoch Teilcheneigenschaften zeigen. Daher nutzen sie bei der Beschreibung mal die und mal die andere Form, um einen Sachverhalt verstehbar auszudrücken.

In dem Versuch, die unterschiedlichen Aspekte „notdürftig“ wieder zusammenzufügen, spricht man heute von „Psychosomatik“ oder von „Somato-Psycho-Neuro-Endokrino-Immunologie“. Damit beschreibt man das Zusammenwirken von körperlichen Aktivitäten, psychologisch-gefühlsmäßigen Einflüssen, die über Nerven-, Hormondrüsen- und das Immunsystem vermittelt werden. Das Ganze ist also kompliziert.

Gehen wir also, um Angst zu verstehen, weit, sehr weit – hunderttausende von Jahren – in unsere Entwicklungsgeschichte zurück. Da lagen die Dinge noch „einfacher“.

Die ersten Einzeller, wie auch heutige Bakterien, reagierten auf angenehme, attraktive Reize, z.B. eine Nahrungsquelle mit Zuwendung und auf unangenehme bis schmerzhafte, aversive Eindrücke mit Abwenden, mit Flucht – oder wenn das scheinbar nicht geht, mit Aggression oder Totstellen, „Einfrieren“, „aufgeben von Teilfunktionen“, z.B. nicht mehr spüren.

Kleines Experiment, bei dem Sie zwei neue Bilder entwerfen werden;
Bitte stellen Sie sich zum einen z.B. ein Stück Kuchen oder ein Schnitzel vor.
Welche körperlichen Reaktionen und Gefühle löst das bei Ihnen aus?

Und dann stellen Sie sich zum anderen vor, Sie sehen gerade wieder eine der aktuellen Sondersendungen zum Thema Corona oder Krieg in Europa. 
Welche Empfindungen löst das bei Ihnen aus?  

Ja, wir funktionieren immer noch nach den gleichen Prinzipien, wie unsere ganz frühen Vorfahren.
Die grundlegenden Bewegungen von Hin- oder Abwenden hat das Lebendige über alle Zeiten beibehalten.

Nun haben sich die Einzeller im Laufe der Zeit spezialisiert und zu Vielzellern zusammengefunden.
Dementsprechend zeigen sie inzwischen weit komplexere Reaktionsweisen und bewältigen erstaunliche Aufgaben:
z.B. reicht es inzwischen, sich das Essen vorzustellen, um erlernte Reaktionen, wie „das Wasser läuft mir im Mund zusammen“ hervorzurufen. Denn der Speichel ist für die ersten Schritte der Verdauung sehr wichtig; … nicht nur auf der Erde, auch im Weltraum, wo z.B. Russen und Amerikaner friedlich in der ISS-Raumstation zusammenleben.
Denn ganz im Gegenteil zu früheren Behauptungen (z.B. vom Philosophen Thomas Hobbes (1588–1679), dass der Mensch sich jederzeit in ein schreckliches Monster verwandeln kann, überwiegen heute die Forschungsergebnisse, die Kooperation und Altruismus, die Einstellung, dass man die Belange und das Wohlergehen anderer Menschen für wichtig erachtet, viel natürlicher und verbreiteter sind – wie Jean-Jacque Rouseau (1712-177) das Vorgedacht hat.
Anders wären viele Leistungen der Menschheit auch nicht zu erklären. Zudem gibt es eine, nur schwer zu überwindende Hemmung, Gewalt gegen sich oder andere auszuüben; es sei denn, sehr besondere Umstände liegen vor oder ein intensives Training der Abstumpfung wird zuvor durchlaufen, wie es Rutger Bregman (*1988) in seinem lesenswerten Buch „Im Grunde Gut“ einleuchtend deutlich macht.

Ganz ganz Früher jedoch, als es bei unseren frühen Vorfahren noch weidlich um Fressen oder Gefressen werden ging, lernten unsere tierischen Vorfahren von unangenehmen und schmerzhaften Erfahrungen besonders leicht und gern, um Wiederholungen zu vermeiden und um zu überleben.
Aus Eindrücken wurden Erinnerungen, die gefühlsbesetzt leichter erinnerbar waren, so dass über vorbeugende Erwartungen ein effektives Warnsystem entstehen konnte, das half schmerzhafte Situationen zu vermeiden.

Dabei entwickelt sich unser Gehirn in seinen Vernetzungen und Reaktionsmustern eben aus diesen Erfahrungen und in Anpassung an eine gegebene Umwelt – sei es Familie, Klima, Landschaftsbeschaffenheit oder Region.
Dabei entstehen jeweils innere Bilder und Vorstellungen von der Welt, an der wir uns orientieren.
Denn Energiesparen ist ein wichtiges Grundgesetzt, nach dem unser Gehirn funktioniert. Denn unser Gehirn ist einer der großen Energieverbraucher unseres Körpers und Energie war früher nicht allzeit verfügbar, so wie heute bei uns.
Daher bemüht es sich immerzu Kohärenz zu erzeugen, also irgendeine Form von „Zusammenpassen“ zu organisieren, um das Gefühl von Unsicherheit zu vermeiden. Dafür erzeugt das Gehirn aus den Erfahrungen der Vergangenheit Wahrsagungen für die Zukunft. Passen die Vorhersagen, funktionieren wir gut in der Welt und bewältigen unsere Aufgaben; passen die Annahmen nicht, müssen wir nachjustieren oder wir scheitern.

Damit sind wir bei Reizen, die uns reizen; die Wirklichkeiten erzeugen und wirken.

Eindrücke, Reize, Stimuli, Wahrnehmungen müssen immerzu vorsorglich als bedrohlich oder freundlich eingeschätzt werden und entsprechende Reaktionen auslösen, um – auch heute noch – z.B. im Straßenverkehr – unser Überleben zu sichern.

Derartige Reaktionen erfolgen binnen Millisekunden; also sehr schnell, aber leider auch sehr unspezifisch; was sich jedoch zur Lebensrettung sehr oft als sehr hilfreich erwiesen hat.  … So waren alle unsere Vorfahren „Schisser“:

Neus Bild:
Stellen Sie sich einmal Tiere am Wasserloch in Afrika vor, da wo unser aller Vorfahren herkamen:
Für wie wahrscheinlich halten Sie ein hohes Risiko für die Tiere, die sich nur sehr zögerlich dem Wasserloch näherten?
Wie wahrscheinlich war ein hohes Risiko für die, die sich allzu unbedarft ans Wasserloch getraut haben?

Vermutlich wurden Letztere häufiger gefressen, noch bevor sie in ein Alter kamen, um sich Fortzupflanzen.
Die Vorsichtigen konnten meist in Ruhe trinken, wenn die Löwen bereists satt waren.

Das Risiko des Verdurstens steht dem Risiko des Gefressen Werdens gegenüber und muss immer wieder abgewogen werden. Dabei spielen das persönliche Naturell und die Lebenserfahrung eine große Rolle.

Aus derartigen Eindrücken werden Lernprozesse, die in der Lebensgeschichte, von früh auf beginnend, gespeichert und an die nachfolgenden Generationen weitergegeben werden.
Dafür laufen in unserem Gehirn mit 150 Milliarden Nervenzellen pro Sekunde etwa 10 Billiarden Aktionen ab, bei dem pro Stunde etwa 20-25 Watt Energie verbraucht werden.

Nun enthält die reale Umwelt viel zu viele Daten, als dass unser Gehirn die alle verarbeiten könnte.
Daher wird aus dem Erfahrungsschatz ein inneres Navigationssystem angelegt, an dem wir uns nachfolgend orientieren. Dieses „Fahren nach Karte“ ist für uns hinreichend, um das übliche Tagesgeschäft zu bewältigen.
Diese Abbildung in uns von der Welt, von Familie, von Regeln, Handlungen, Bedeutungen usw. enthält Einträgen zu allem, was wir als wichtig erachten, aber längst nicht alle Fakten.
Es ist eine eigen zweite, innere, ganz persönliche – für jeden unterschiedliche – Welt.

Ein Beispiel; Sie werden das kennen:
Eine Frau kommt vom Friseur Heim, ihr Mann schaut auf, erkennt sehr schnell: „die kenne ich, keine Gefahr“. Dann macht er mit dem weiter, was er gerade so macht.
Nach einer Weile fragt die Frau, ob ihm nichts auffällt.
Der Mann antwortet wahrheitsgemäß „Nein“, denn er hat sie ja in seinem inneren Bild von seiner Frau die ihm bekannte Frau wiedererkannt und sich beruhigt. Allerdings, durch die Frage erneut aufgeschreckt, schaut er nun vielleicht auch auf seine reale, außen existierende Frau, wobei ihm der Unterschied zwischen seinem inneren Bild und der vor ihm stehenden Frau auffällt. Das quittiert er mit der Frage: „Warst Du beim Friseur?“
Anschließend darf er seiner Frau Blumen mitbringen, um die beigebrachte Kränkung, sie nicht wirklich gesehen zu haben, wieder gut zu machen.

Heute wissen wir, dass seelischer Schmerz über die gleichen Schmerzfasern im Nervensystem geleitet wird, wie alle anderen körperlich schmerzlichen Eindrücke auch; wie z.B. sich die Finger am Herd verbrennen oder mit dem Hammer auf den Daumen hauen oder traurig sein oder chronische, also nicht akut begründete, Angst haben.

Das Warnsystem funktioniert immer, auch wenn unser Gehirn auf Autopilot-Modus arbeitet, was es übrigens am Tag etwa zu 99 % der Zeit tut. d.h.: Die meisten unserer ca. 20.000 Entscheidungen pro Tag sind nicht bewusst getroffen.

In einer Welt, in der beständig die Gefahr droht, vernichtet zu werden, macht es Sinn, die viel genaueren, aber langsamen bewussten Denkprozesse, die zudem noch viel mehr Energie verbrauchen, nicht so häufig stattfinden zu lassen und für Wichtiges aufzusparen.
Energieverbrauch, ein wichtiges Thema – insbesondere, wenn die Nahrungsquellen knapp oder beschwerlich zu beschaffen sind. Da gilt es Hauszuhalten; aber auch Energiereserven schnell verfügbar zu machen, wenn Gefahr droht und der Körper in Stress gerät.

Das Stress-Angst-System hilft Gefahrensituationen zu minimieren bzw. Herausforderungen möglichst zu bewältigen.

Sie malen bitte innerlich noch einmal mit, indem Sie sich folgendes vorstellen:
Ein wahrgenommener Reiz wird als Gefahr gedeutet.
In unserem psychischen Beschreibungssystemerleben wir Angst, die sich bis zur Panik oder gar völliger Erstarrung steigern kann.
Denn körperlich spannen wir die Muskeln an, ziehen uns zusammen, werden eng; wir machen uns rund, um möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten;
spüren daher Beklemmungsgefühle, aber auch Herzklopfen, Lufthunger, Schweißausbrüche, Zittern, Schwindel, Übelkeit bis zum Erbrechen oder sogar Todesangst und haben die Hosen voll.

Da ist es schön, wenn man sich diese Symptome als Mediziner erklären kann und als Psychologe verstehen kann, was da in und mit uns passiert. Denn es hilft, der Angst mit Vernunft entgegenzutreten – auch wenn die Einflussmöglichkeiten auf die vegetativen (autonom gesteuerten) und hormonellen Reaktionen begrenzt sind.
Dennoch hilft Wissen in vielen Fällen
a) beim Differenzieren: akute Bedrohung oder Erinnerung bzw. Vorahnung einer Bedrohung
b) beim Lösen der Problemstellung bzw. beim Dämpfen der Aktivierung, wenn nicht wirklich notwendig
und vor allem: beim Dämpfen der Angst vor der Angst und dem Aufschaukeln der gedankengemachten Eskalation.
c) bei der Integration der Erfahrung hin zu verbesserten Reaktionsmustern.

Hilfreich zu wissen ist auch, dass es beim Angstsystem Wissen nur bedingt akut hilft, da die schnellen, für die Lebensrettung zuständigen Systeme im Mittelhirn, deutliche Vorrangrechte gegenüber den langsamen, rationalen Überlegungen des viel jüngeren Großhirns haben.
Zudem laufen alle Informationen der Sinnesorgane Sehen, Hören, Riechen, Schmecken auf der Mittelhirnebene des Kopfes ein und die anderen Eindrücke kommen über das Rückenmark eben zunächst auch dorthin. Auf dieser noch irrationalen (vor der rationalen, bewussten) Ebene, in der es entwicklungsgeschichtlich noch kein oder nur wenig Großhirn gab, wird entschieden, welche Reaktion erfolgt.
Daher haben die Leute recht, die argumentieren: „so leicht ist das aber nicht, die Angst in den Griff zu bekommen“.

Schauen wir uns einmal genauer an, was im Nervensystem und im Körper passiert, wenn eine Notfallreaktion aufgerufen wird:

Der Einstieg ist ein Aspekt im außen oder innen ein Gedanke, ein Gefühl, eine körperliche Veränderung =>
die wahrgenommen und für hinreichend beeindruckend genommen wird, um den Fokus darauf zu wenden =>
Es erfolgt ein Durchspielen der kulturübergreifend überall vorkommenden sieben Basisemotionen:
Freude, Überraschung, Angst, Wut, Ekel, Trauer und Verachtung
und eine Bewertung „GEFAHR“ oder nicht =>
Bei GEFAHR wird der Affekt ANGST in den Vordergrund gestellt, der dafür sorgt, dass
a) körperliche Veränderungen vor sich gehen (die wir gleich näher ansehen),
was wiederum selbst Wahrnehmungen hervorrufen kann, weil nicht zu deutende oder falsch gedeutete oder neu beunruhigende körperlichen Symptome neuerliche Bewertungen und Angstverstärkungen hervorrufen – oder –
b) einen Ausstieg aus dem Teufelskreis der Angst ermöglichen, indem die Situation bewältigt wird, indem Flucht erfolgreich gelingt oder eine Auseinandersetzung gewonnen oder später die Vermeidung ähnlicher Situationen etabliert wird – was sinnvoll sein kann oder auch nicht.

Die dadurch ausgelösten Reaktionen führen nun zu körperlichen Veränderungen:

Ziel: Energie mobilisieren, um einer bedrohlichen Situation zu entkommen (Flucht) oder eine Herausforderung zu meistern oder sich einem Gegner zu stellen, dem man nicht ausweichen kann (Kampf) oder sich tot stellen, in der Hoffnung, dass das Interesse des Gegenübers nachlässt, wenn es nichts mehr zu jagen oder spielen oder verfolgen gibt und auch in der Absicht, selbst weniger zu spüren von dem was nun kommt.
Dazu werden über Nervenimpulse und über Stresshormone, die mit dem Blut im Körper verteilt werden, alle Systeme, die für die Energieproduktion notwendig sind hochgefahren, andere Systeme gedrosselt – z.B. Verdauung (Gefühl der Übelkeit bis zum Erbrechen und vor Aufregung auch Durchfall) und manche Gehirnaktivitäten (Tunnelblick, eingeschränktes kreatives Denken, Schwindelgefühl, manchmal Deralisationsgefühle, Konzentrationsprobleme), da dies hohe energieverbrauchende Systeme sind.
… Es ist z.B. nicht notwendig zu wissen, wie viele Streifen ein Tiger hat, der einen Fressen will oder das Brötchen noch vorzuverdauen, damit der Tiger es leichter hat. … Besser wäre es dem Tiger zu entkommen, wozu viel Kraft in den Muskeln günstig wäre. Zählen kann man ja noch, wenn man auf dem Baum sitzt und einem langweilig wird.
Um die Muskulatur mit Energie zu versorgen, wird Insulin ausgeschüttet, um schnell verfügbare Zucker in die Zellen zu bringen.
Damit dort aus dem Zucker Energie wird, muss ein chemischer Verbrennungsprozess im Körper stattfinden. Dazu braucht es Sauerstoff
(Gefühl der Atemnot).
Um mehr Sauerstoff zu generieren geht der Atem schnell. 
Beim Joggen würde das niemanden aufregen, es gäbe eine Erklärung.
Atmet man dann vor Aufregung nicht nur schnell, sondern auch noch flach, kann es zu Hyperventilationssympotmen kommen, bei denen der Körper kribbelt oder an manchen Stellen einsteift
(Pfötchenstellung z.B.).
Damit Sauerstoff zu den Zellen und Energie rasch zu den Muskeln transportiert wird, schlägt das Herz schneller und kräftig,
wie beim Joggen (Eindruck: Herzrasen).
Aus dem gleichen Grund steigt der Blutdruck.
Weil durch die angeheizte Verbrennung die Körpertemperatur steigt, beginnt man als Gegenregulation zu schwitzen und über Verdunstungskälte zu kühlen
(kalter Schweiß auf der Haut).
Wenn die Energie nicht schnell genug verbraucht wird, z.B. durch Rennen oder Kämpfen, kann man vor Erregung zittern
(sich innerlich nervös fühlen), denn auch kleines Muskelfibillieren ist Arbeit (= Kraft x Weg) und verbraucht Energie. Da die im Energieträger der Zellen, dem ATP (Adenosintriephosphat), nicht lange gespeichert werden kann, muss sie verbraucht werden. (Gefühl der Erschöpfung – in der Endstrecke bei chronischer Anstrengung und Erschöpfung auch als Depression wahrgenommen)

Ergo sind all die Symptome der Angst Ausdruck körperlicher Kompetenz und seine Fähigkeit, alles zur Verfügung zu stellen, um einer gefährlichen Situation zu entkommen.
Alles was Sie im Zustand der Angst spüren ist Kraft und Lösungskompetenz … was aber in der Situation meist nicht so gedeutet wird.

Da all diese Reaktionen unbewusst, reflexartig und sehr sehr schnell ablaufen, gibt es oft kaum eine Lücke, in der bewusstes Eingreifen Raum hätte, wirksam zu werden. Daher ist es immens wichtig, tief durchzuatmen, sich Bedenkzeit zu verschaffen.

So kann es gelingen, Einfluss auf die körperlichen Reaktionen zu nehmen.
z.B. wenn Situationen immer wieder auftreten, lassen sich allmählich frühzeitig Muster erkennen, so dass ein Eingreifen stattfinden kann, bevor die im Körper ausgelöste Erregungswelle alle Vernunft hinwegschwemmt.
So lässt sich allmählich auch auf die eigenen typischen Deutungen Einfluss gewinnen (Selbstwirksamkeit und Selbstfürsorge); schließlich sind es meine eigenen Gedanken und Erinnerungen, die die Basis für meine Annahmen und Zukunftsprognosen sind.

Einfluss auf das eigene Verhalten lässt sich also nur gewinnen, wenn man ganz bewusst ist und aktiv steuernd eingreift, sich innerlich kurz distanziert und Zeit zum Unterscheiden, einen Unterschied machen, schafft:
z.B. in dem man ruhig und tief durchatmet oder am Telefon fragt, ob man zurückrufen kann oder oder
vor allem aber dadurch, dass man für sich klärt:
Ist dies eine reale Bedrohungssituation?
z.B. jemand bedroht mich mit einem Knüppel. Dann ist das eine Realangst.
Oder ist dies eine virtuelle, also mögliche, vorgestellte, vielleicht zukünftige Bedrohung?
z.B. ich denke, jemand könnte mich mit einem Knüppel bedrohen oder die Angst könnte wieder kommen und sich so schlimm anfühlen, wie gestern (Angst vor der Angst)
All das nennt man dann eine neurotische Angst, eine “Angst vor einer Gefahr, die wir nicht kennen”, die von einem lebensgeschichtlich frühen, ins Unbewusste verdrängten Trauma herrührt, das aktuell keinen Realitätsbezug hat, das sich sogar auf Erfahrungen früherer Generationen beziehen kann, die weitergegeben wurden.
Wichtig in beiden Fällen, zu klären: Was kann ich jetzt tun? Was will ich? Wo bzw. Was sind meine Möglichkeiten?

Die Kehrseite der Angst ist ja Hoffnung – der Wille zu leben.

Derartige Unterscheidungen sind so wichtig, dass sie lebensgeschichtlich zu den ersten Aufgaben gehören, die ein Menschenkind zu bewältigen hat,
z.B. Tag – Nacht, Freundlich – Feindlich, Ich – Nicht-Ich, usw.

gefolgt von der Fähigkeit zu integrieren, einzuordnen, Strukturen zu schaffen und Unklarheiten auszuhalten.
z.B. die gute Mama und die versagende Mama sind eine Person, die unterschiedlichen Formen von Sitzgelegenheiten usw.

und, sehr wichtig, die Fähigkeit zu regulieren, um Systemgleichgewichte wieder herzustellen; das geschieht anfangs in Ko-Regulation mit nahen Bezugspersonen und ist später bei der Angstbewältigung wieder Thema.
Hier geht es darum Erregungszustände frühzeitig einzudämmen, bevor sie in die Eskalationsspirale eintreten.
Denn wenn ein bestimmter Schwellenwert überschritten ist, wird die oben beschriebene Reaktionskette ausgelöst, die erst endet, wenn die verfügbar gemachte Energie verbraucht ist.

Ein Beispiel – zum Mitmalen:
Einmal sah ich auf dem Feld einen flüchtenden Hasen früher als mein Hund, da ich ja von höherem Standpunkt aus sehe, als er. Irrigerweise war ich beruhigt, da er Hase aus meiner Sicht nun keine Gefahr für ein Rennspiel mit meinem Hund darstellte. Er war ja weg. Nicht auf dem Schirm hatte ich, dass mein Hund viel besser riecht, als ich. So nahm er die Spur auf und legte mit seinem Renn- und Suchspiel los – noch bevor ich angemessen reagiert.
Ich hatte verpasst, ihn im ansprechbaren Stadium, bevor er in eine hohe Erregung geriet, anzuleinen oder bei Fuß gehen zu lassen.
So musste ich geduldig waren, da im Zustand des Tunnelblicks keinerlei Ansprechbarkeit für Außenreize da ist. Mein Rufen konnte ich mir also sparen.
Es half nichts, bis mein Hund von selbst wieder kam – ohne Hasen, aber wohlig erschöpft, so dass er – für sein Wiederkommen gelobt – brav freiwillig bei Fuß ging.

Es wäre hier gundfalsch in solch einer Situation den Hund zu bestrafen. Er folgt, wie ein Kind, lediglich seiner Lust und hat aus seiner Sicht alles richtig gemacht.
Aber auch gegen mich selbst vorzugehen wäre völlig unangebracht. Denn wiederholen auch ich will eher Situationen, die Freude, Lust und Anerkennung bringen.
Für zukünftige Situationen gilt es Aufmerksam zu sein und frühzeitig merken und regulieren; das wäre eine angemessene Antwort auf diese Erfahrung. Denn damit könnte ich wahrscheinlich weitgehend vermeiden, dass solche, zuvor als unangenehm oder gefährlich erfahrenen Situationen sich wiederholen.
Hüten muss ich mich aber auch vor übertriebenen Vermeidungsaktionen;
z.B. den Hund nur noch an der Leine führen und ihn in übertriebener Weise als potentiell gefährlich denken.

Genau da liegt bei der Stress-Angst-Situation die größte Problematik:
richtig einzuschätzen, was noch im angemessenen Mittelbereich meiner Toleranzgrenzen oder der vom Gegenüber liegt. Denn in den mittleren Bereichen fühlt sich unser Körper meist sehr wohl und funktioniert gut.
Also auf Erfahrungswissen beruhendes Erkennen bzw. passendes Einschätzen, wann eine Situation real extrem und gefährlich ist und wann es sich um eine Erinnerung oder Befürchtung handelt, die außerhalb des Hier und Jetzt der aktuellen Realität sind (typisch für neurotische Ängste) ist wesentlich, um angemessen oder gar frühzeitig zu Reagieren.

Angst, Flucht und Vermeidung von Unangenehmem haben also allen Lebewesen durch die vielen Jahrtausende als sehr erfolgreiches und sinnvolles hilfreiches Muster beibehalten.
Ebenso das Muster der Flucht nach vorn, die kämpferische Aggression, wenn sich jemand in die Enge getrieben fühlt und keinen Ausweg sieht, weil da keiner ist oder weil gerade alle kreativen Denksysteme vor Schreck völlig blockiert sind.
Das gilt im Großen, wie im Kleinen, wenn
z.B. Eltern überfordert sind, weil Kinder Dinge tun, die sie selbst auch gerne tun würden, sich aber nicht trauen, weil ein strafendes verinnerlichtes Elternteil es verbietet …. oder oder

Zum Schluss noch eine letztes Gedankenspiel Ihren mit eigenen Ängsten:
Was könnte das Gute an Ihrer Angst sein? (Pro-Position)
Was ist für Sie schlimm an der Angst? (Kontra-Position)
Was würden Sie tun, wenn Sie diese Angst nicht hätten? (Möglichkeitsposition)
Was wäre, wenn Sie sich um ganz andere, interessante Themen kümmern würden? (Lösungs-Position)

Foto: Stillger

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