„Angst, Dein Freund und Helfer“ (2)

Ein Vortrag zu einer Veranstaltung der Kulturinitiative Biebertal, der so vermutlich nie gehalten werden wird.
Auch dieser zweite Text bildet einen weiteren Gedankenfluss ab, der in Vorbereitung der Veranstaltung im Jahr 2022 entstanden ist. Solche Schreiberei dient mir zur Klärung der eigenen Vorstellungen … und ich finde es gut, die Leser an solchen Prozessen teilhaben zu lassen. Es gibt ja – objektiv gesehen – kein Richtig, nur Ansichten … und – bis zum Beweis des Gegenteils – wissenschaftlich gültiges.

Guten Abend,

Vertrauen – schon als Säuglinge sind Menschen als physiologischen Frühgeburten darauf angewiesen, gut versorgt zu werden.
Meist gelingt dies ganz gut; es gibt aber immer auch negative Erfahrungen, die machen Angst und Befürchtungen.

Angst ist also, nach der Neugier, ein sekundäres Gefühl, das aus Schmerz oder Bedrohungserleben entsteht.

Das schlimmste aber, so wird es von vielen empfunden, ist die Angst vor der Angst, da sie das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und in mögliche zukünftige Entwicklungen als negativ prognostiziert und dafür sorgt, dass – aus falsch verstandenem, übertriebenem Sicherheitsbestreben – auf die Teilnahme am Leben, also an immer wieder neuen Eindrücken, verzichtet wird.

Entsprechend ist die Entwicklung von „Ur-Vertrauen„, dem sichernden Gefühl gewollt und geliebt zu sein, da sein zu dürfen in der Welt und dazuzugehören, das wir im „leuchten in den Augen“ unseres Gegenübers sehen, schon zu Beginn unseres Lebens ungeheuer wichtig.
Verunsicherungen aber führen zu Bemühungen um Kontrolle und letztlich in ein paranoides (unter Verfolgungsideen leidend) Misstrauen gegenüber jedem und allem:
„Keiner mag mich; die Bäckersfrau redet bestimmt schlecht über mich; von Kollegen werde ich gemobbt und selbst der Automechaniker ist mir bestimmt nicht gut gesinnt, usw.“
Und, paradoxerweise, je sicherer wir uns in einer Umwelt fühlen … und uns daran gewöhnen, um so bedeutungsvoller werden Störungen (auch kleine) als große Katastrophen gedeutet und um so größer wird die Angst und die Sorge, den Status bzw. die Illusion der Sicherheit und andere (zeitweilige) Besitztümer zu verlieren.

Gefühle sind manchmal wirklich sehr schön, zeitweilig sogar beglückend und auch hilfreich,
manchmal aber erscheinen sie auch gruselig und behindern uns, legen uns manchmal sogar lahm.
Gefühle entstehen sozusagen als Reibungsprodukte während der pulsierenden Bewegungen des Lebendigen, bestehend aus Anziehung und Abstoßung oder Trennung.

Wie auch immer, alle Symptome oder Äußerungen unseres Organismus sind irgendwie sinnvoll (auch wenn wir den Sinn nicht (immer gleich) erkennen, da er in unbewussten Beweggründen liegen kann). Oft muss der Sinn erst entschlüsselt werden, um wirklich zu begreifen.
Denn oft sind Symptome hilfreiche, freundliche Rückmeldungen unseres Organismus, dass wichtige Bedürfnisse (noch) nicht erfüllt sind.
Schmerz z.B. kann uns freundlicherweise darauf hinweisen, dass wir mit dem Küchenmesser besser bei der Gurke bleiben sollten, statt tiefer in unserem Finger zu schneiden … und die Angst lässt uns dann das nächste Mal achtsamer sein. Wirksam bei alledem ist die Hoffnung und der Wunsch körperlicher Unversehrtheit und Leben.

Andererseits kann das Gefühl >Angst< manchmal einer der großen Liebeskiller sein oder ein Faktor großer Unsicherheit:
z.B. „Ich habe Angst, dass mir der andere weh tut. – Ich hab Angst mich nackt zu zeigen. – Ich hab Angst, dass der andere ein Idiot ist oder dass ich mich idiotisch anstelle, langweilig bin oder, weil ich unerfahren bin. – Ich fürchte, belächelt oder gar ausgelacht oder gemobbt zu werde. – Ich habe Angst vor Nähe oder vom anderen erdrückt oder verlassen zu werden. – usw. – Oder: Ich bin verunsichert, ob ich meinen Job behalte, den Aufstieg verkrafte, meiner Familie gerecht werde, meinen Kredit abbezahlen kann, Corona mich schwer erwischt, der Krieg in der Ukraine zu uns herüberschwappt, die Preissteigerungen meinen Lohn auffressen, ich am Ende sicherlich unter der Brücke ende, usw.“

Es gilt also zu ergründen, was mein Körper oder mein Gefühl, meine Stimmung, das Symptom mir wichtiges mitzuteilen hat. „Warum leuchtet dieses Warnblinklicht, dieses Symptom jetzt auf?“

Vor vielen Jahren gab es in Indien den Tempel der tausend Spiegel. Er lag hoch oben auf einem Berg und sein Anblick war gewaltig. Eines Tages erklomm ein Hund den Berg, stieg die Stufen des Tempels hinauf und betrat den Tempel der tausend Spiegel. Als er in den Saal der tausend Spiegel kam, sah er tausend Hunde.
Er erschrak, knurrte furchtbar und fletschte die Zähne. Und auch die tausend Hunde knurrten furchtbar und fletschten ihre Zähne. Voller Panik rannte der Hund aus dem Tempel und glaubte von nun an, dass die ganze Welt aus knurrenden, gefährlichen und bedrohlichen Hunden bestehe.
Einige Zeit später kam ein anderer Hund in den Tempel. Auch er kam in den Saal mit den tausend Spiegeln, und auch er sah tausend andere Hunde.
Er aber freute sich. Er wedelte mit dem Schwanz, sprang fröhlich hin und her und forderte die Hunde zum Spielen auf. Dieser Hund verließ den Tempel in der Überzeugung, dass die ganze Welt aus netten, freundlichen Hunden bestehe, die ihm wohlgesonnen sind.

Von den angenehmen Gefühlen hoffen wir, dass sei bleiben; von den anderen wollen wir in der Regel spontan, dass sie aufhören, dass das unangenehme Gefühl weg sein soll. Letzteres ist eines der schlechtesten Wünsche:
Würden Sie in ihrem Auto z.B. das Warnsignal Ihrer Tankanzeige ignorieren?
Natürlich geht das, nur sind die unangenehmen Folgen meist schlimmer, als wenn Sie angemessen reagiert hätten.
Mit unserem Körper ist das nicht anders. Das gilt auch für sinnvolle regelmäßige Inspektionen = Vorsorgeuntersuchungen.

Spätestens wenn Symptome – hier Angst – auftauchen, sollten also schon mal einige wichtige Fragen stellen:

„Bin ich akut (Hier und Jetzt) in einer realen Gefahr – oder spielen hier Erinnerungen, Erwartungen und Wünsche die Hauptrolle?
Auf welches Bedürfnis – auf welchen Mangel, welche Sehnsucht, Hoffnung oder Störung- macht mich meine Angst aufmerksam? Was ist mir so wichtig, dass ich fürchte es zu verlieren oder nicht zu bekommen?
Wie genau stelle ich diese Situation gerade her? – Was tue ich gerade? (genau beschreiben)
Warum geht es mir gerade so? – Was könnte der Vorteil gerade dieser Reaktionsweise sein?
Wozu stelle ich diese Situation gerade her? – Was vermeide ich?
Welches Bedürfnis könnte unerfüllt oder welche Bewegung unerledigt sein?
Was fehlt mir? – Welchen Wunsch äußere ich nicht?
Warum zeigt meine Verfassung gerade jetzt an, dass ich mich um dieses Thema kümmern sollte? … dass ich vielleicht gerade jetzt stark genug dazu bin, dieses Thema zu (er)lösen?
Für wen mache ich das hier möglicherweise? – In welcher meiner Lebensphasen könnte ich versäumt haben, diesen Impuls zu befriedigen?
Kann ich an der Situation etwas ändern?
Wenn ja, gilt „take it, change it or leave it“, also wirkliche Akzeptanz oder – wenn möglich – die Situation verändern bzw. verlassen.
Damit wird klar, dass, lösungsorientiert gedacht, nicht die Beschäftigung mit der Angst weiterbringt, sondern eine Entlastung und Entspannung der Situation nur dann möglich wird, wenn ich die Aufmerksamkeit auf das eigentliche, das zugrundeliegende Thema richte und mich auf den Weg zur Befriedigung des Bedürfnisses mache.

Woher kommen die Gefühle und die Gedanken, die Angst wie auch andere Gefühle machen?

Wo wohnen die Gefühle in unserem Gehirn?
Letztlich ist unser ganzes Gehirn an Gefühls-Prozessen beteiligt, da auch gedankliche Anteile, vor allem früher gemachte Erfahrungen, mit hineinspielen. Zunächst aber laufen alle Informationen der Sinnesorgane zum entwicklungsgeschichtlich recht alten Mittelhirn. Dort wird, noch vor allem bewussten Denken, über deren weiteres Schicksal entschieden, wobei das Limbischen System, was die Amygdala (Angstzentrum) umschließt, die viel mit Gefühlen zu tun hat, eine entscheidende Rolle spielt.

Was passiert da vom „Ich erlebe etwas“ zum „Ich fühle etwas“? und „Ich reagiere / handele.“

Schauen wir uns dazu ein Beispiel an:
Da schlängelt sich z.B. ein Blindschleiche über unseren Weg.
(Aber Achtung: Wahrgenommenes ist nicht immer gleich mit faktisch Vorhandenem, denn auch Vorstellungsbilder können die gleichen Effekte auslösen.)
Wahrgenommen wird nun auf schnellem Reaktionsweg reflexartig das Limbische System, insbesondere die Amygdala aktiviert, wo der Reiz von außen mit inneren Schablonen aus Vorerfahrungen verglichen wird.
Bei manchen Menschen wird dann ihr Alarmsystem aktiviert. Denn entwicklungsgeschichtlich ist die Erinnerung im Körper eingespeichert, dass Schlangen eine echte Gefahr darstellen können.
Flucht oder Verteidigung wären also sinnvolle Reaktionsweisen. (Sind es heute aber möglicherweise nicht mehr.)
Zudem prüft auch das langsamere, aber spezifischere Denken im Großhirn den Eindruck und kommt zu dem Schluss, dass eine Blindschleiche keine Schlange ist, sondern eine harmlose Echse.
Daraufhin werden Impulse in den Körper geschickt, die die Alarmreaktion dämpfen – allerdings sind die vom Großhirn absteigenden Nervenbahnen zum Mittelhirn nicht sehr ausgeprägt vorhanden, so dass das mit dem Herunterregeln der Emotionen oft nicht so wie gewünscht funktioniert – das auch, da nicht nur Nervenimpulse an die Zellen geschickt werden, sondern auch ein Cocktail an Botenstoffen ist Blut abgegeben wird, so dass der Abbau der chemischen Substanzen eine Weile in Anspruch nimmt. Der Organismus will ja in jedem Fall sicherstellen, dass hinreichend Energie zur Lösung des Problems vorhanden ist.
Wird die generierte Energie nun aber nicht, z.B. durch Wegrennen, verbraucht, da wir vor der Blindschleiche nicht fliehen müssen, muss anderweitig Arbeit geleistet werden, da die chemischen energiereichen Verbindungen nicht gut speicherbar sind. Werden dann Anspannung (energieverbrauchende Haltearbeit) oder Nervosität als Muskelzittern (Bewegungsarbeit) gespürt, die aber – weil angesichts der Blindschleiche ja unsinnig erscheinend – nicht passend eingeordnet wird, werden diese körperlichen Empfindungen zu neuerlichen Angstmachern, da solche Reaktionen ja typischerweise auftreten, wenn Gefahren da sind. Das kann sich zu einem Teufelskreis aufschaukeln, der immer weiter in Richtung einer Eskalation (z.B. Panik, Hyperventilation usw.) führt.

Was trage ich dazu bei? … Oder: Sind die anderen Schuld?

Die Anderen oder überhaupt außen hat allerlei im Angebot (z.B. Blindschleiche), worauf wir unsere Aufmerksamkeit richten können – oder auch nicht.
Ja da im außen ist allerlei – angenehmes wie unangenehmes (wobei das schon wieder meine Wertungen sind).
Kann man aber sagen, dass die Welt Schuld daran ist, dass ich mir bestimmte Aspekte aus dem Spektrum des Da-seienden aussuche und darauf fokussiere? … etwas zu Vordergrund und Hintergrund mache?
Wohl kaum!
Welche Einladungen jeder annimmt, um darauf zu reagieren, hat vor allem mit dem Empfänger einer Botschaft zu tun. Jeder bestimmt die Art seiner Antwort letztlich selbst – selbst in Situationen die äußerlich zwingend sind.
Zum anderen spielen Erlerntes, Konventionen, Motive und Ziele eine wichtige Rolle dabei, was in meiner Welt- sicht und -Konstruktion für wichtig und wahr genommen wird.

Lassen sich Gedanken und Gefühle steuern und trainieren?
Wie ist das überhaupt mit der Angst und der Selbstwirksamkeit? – also der Erfahrung, selbst etwas bewirken zu können.

Das beginnt schon als Baby, wenn es erfährt, dass die Mutter auf seine Bedürfnisse, sein Schreien z.B. adäquat eingeht oder Erwachsene zurücklächeln, wenn das Baby lächelt. Das zeigt sich aber auch im Erwachsenenleben, wenn Sie tief durchatmen und nach einer Weile spüren, wie Sie ruhiger werden, sich kraftvoller fühlen und besser konzentrieren können.
Worauf auch immer wir unsere Aufmerksamkeit lenken, es wird der Inhalt unseres Erlebens sein und in der Summe: unser bewusst erlebtes Leben.
Unser Gehirn, unser Denken, wie auch unser Umgang mit Gefühlen, muss, wie ein Muskel, trainiert werden, wenn bestimmte Ergebnisse erreicht werden sollen. Das erfordert Disziplin.
Nach zwei Sitzungen im Sportstudio macht es keinen Sinn, den Muskelumfang auf Vergrößerung zu messen.
Ähnlich bauen sich auch unsere Denkmuster nicht schnell um, und vor allem nicht, wenn das gewünschte Verhalten nicht anhaltend trainiert wird.
Sowohl Muskeln wie synaptische Verbindungen unserer Nervenzellen werden bei Nicht-Gebrauch abgebaut.
Es macht also für jeden persönlich am Ende einen Unterschied, ob Sie sich z.B. auf Angst und Sorgen oder auf Liebe oder Schönes konzentriert wird
– was z.B. in einem Sorgen-/schlimme Erfahrungen oder GlücksTagebuch täglich notiert werden könnte.
Klar kommt man sich dabei am Anfang wie ein Lügner vor oder fühlt sich blöd dabei, aber jeden Tag lassen sich schöne Momente finden, für die man dankbar sein kann: z.B. „Heute habe ich laut gelacht; ich habe ein warmes Bett, zuverlässige Freunde, ein Handy, Arbeit, einen Grünsprecht gesehen, usw.“

Hilfreich ist es auch, zu erleben, wie man es über ausdauerndes Autogenes Training oder Progressive Muskelentspannung oder Meditation oder Yoga oder oder allmählich schafft, sich selbst zu regulieren, zu entspannen, sich selbst effektiv zu trainieren.

Eine unserer größten Errungenschaften ist es, dass unser Gehirn die Fähigkeit entwickelte, Reaktionen zu verzögern und somit instinktives Verhalten zu dämpfen und ermöglichte, frühere Erfahrungen zu berücksichtigen.
Denn Abstand (auch innerer) hilft, besseren Überblick zu bekommen und Distanz zum Bedrohlichen zu schaffen. Dabei helfen selbst Vorstellungsbilder die eine andere Perspektive oder Haltung erlauben.
Dazu gehört auch das Sprechen über die innere Situation und Erlebensweise; die ein anderes Erleben generiert als das Sprechen in der ersten Person Präsenz: „ich erlebe jetzt … „.
Statt sich hinter einer Fassade zu verstecken. wirkt der Austausch mit anderen Menschen in der Regel sehr entlastend und andere steuern zudem meist gerne neue/andere Informationen bei.

Foto: pixabay

Warum hier nun das Bild von Verkehrsampeln? Was haben die nun wieder mit Selbstwirksamkeit zu tun?

Wollen wir Einfluss auf unser Denken, Fühlen, Tun nehmen, sind Bilder oft hilfreich.
Die Ampel ist ein bekanntes Symbol aus dem Alltag, das im außen häufig vorkommt und uns so als Erinnerungshilfe dienen kann, um bewusst Einfluss auf unser Erleben, Fühlen, Tun zu nehmen.
Bewusst ist hier ein wichtiges Wort, da Umstellungsprozesse immer einen aktiven Anstoß brauchen, um aus dem gewohnten Muster herausgeworfen zu werden – gerne auch in einem als sicher empfundenen Rahmen, wie einer therapeutischen Situation.
Die vertrauten und damit komfortablen, bekannten und damit wenig energieaufwendigen Strukturen werden vom Organismus gern wiederholt; u.a. weil das – passend oder nicht – ein Sicherheitsempfinden auslöst.
Das Bild der Ampeln kann als Modell helfen Erregungszustände mehr oder weniger gut zu kontrollieren.
Denn situativ sind meist leichte, manchmal aber auch heftige Erregungszustände, sehr angenehm, meist aber wird Übererregung als unangenehm erlebt.
Ist man erst einmal über den „Point of no return“ hinaus, schießt die Erregungswelle rasch empor; zumindest in der Phantasie (Befürchtung) bis ins Unendliche. In der Realität (Konfrontation) ist die Energie allerdings irgendwann verbraucht und die Erregung flaut ab.
Prophylaktisch wird später versucht, nicht erst in die nähe des „Punktes der Nimmerwiederkehr“ (also Todesfurcht) zu kommen (Vermeidung – oder eben rechtzeitige Regulation).

Steht die Ampel also auf Gelb heißt das Achtung, langsamer werden, sich orientieren, durchatmen, den nächsten Schritt überlegen.
Bei Grün: bitte weitermachen und sich wohl fühlen.
Bei Gelb-Rot ist höchste Aufmerksamkeit geboten, hier wird das Angst-Stress-System aktiviert, um (kurzfristig) Schlimmes zu vermeiden. (Langfristige Aktivierung – heutzutage häufig – erschöpft letztlich, statt zu lösen.)
Steht die Ampel auf Rot, sollen wir mit dem was wir gerade tun, unbedingt nicht weitermachen.

Nun aber mal endlich zum Titel dieses Abends: „Angst, unser Freund und Helfer“

Ist so eine Behauptung nicht Quatsch?
Angst ist doch ein unangenehmes, negatives, quälendes Gefühl, das niemand haben will!
Wenn man Angst hat, ist der ganze Körper aktiviert, die Muskeln spannen sich an, das Herz rast und vieles Erschreckende mehr! Das will doch niemand … schon gar nicht, wenn so etwas länger anhält!
Das macht einen doch fertig!

Ja, so kann man das sehen.

Wie schon gesagt, führt Weghaben wollen immer zu Widerstand und zu einer Verstärkung des Phänomens, das man nicht haben will – schon weil man sich ganz darauf konzentrieren muss, das Unerwünschte nicht in den Blick zu bekommen, statt es zuzulassen und damit umzugehen. Schließlich sind die Symptome – auch z.B. als Gefühle – körperliche Rückmeldungen, die systemisch gesehen wichtige Informationen beinhalten. Sie passieren ja nicht einfach so, aus einer Laune heraus, sondern sind Reaktionen aufgrund von Wahrnehmungen und Messeraktionen im Körper, die in Erscheinung treten.

Eine sinnvollere Strategie ist daher Kooperation – Zusammenarbeit mit dem Symptom.
Die setzt Annehmen voraus. Annehmen bringt uns auf den Boden der Tatsachen zurück und damit in die Kraft des Faktischen, so dass wir wieder handlungsfähig werden – statt dass noch nicht erreichte Ziele und Soll-Werte irrtümlicherweise zur Grundlage von Empfindungen und Wertungen genommen werden.
Ziele geben uns Orientierung, damit wir uns in die gewünschte Richtung bewegen; Ziele müssen jedoch, da sich auf dem Weg viele neue Informationen ergeben, nicht unbedingt erreicht werden, um glücklich zu sein.
Unglücklich aber werden wir sicher, wenn wir meinen, nur weil wir das wollen, wären wir bereits am Ziel.
So markiert die Differenz zwischen Ist-Zustand und Soll-Zustand das Maß an Leid, das man erfährt, wenn man sich nicht auf den Weg macht und lieber darüber jammert, dass man einen Wunschzustand nicht hat.

Also, was soll denn bei einer Alarmierung und Angstreaktion so gut sein?

Angst ist zunächst einmal ein ganz normaler Affekt, eine Gemütserregung, deren entwicklungsgeschichtlicher Ursprung in einer Schutzfunktion für den Organismus liegt (Kampf-oder-Flucht-Reaktion) und in früheren Zeiten dem Überleben gedient hat.
Der Impuls zur Flucht und später zur Vermeidung ist dabei der erste, die Aggression (latein. sich auf etwas oder jemanden (freundlich oder unfreundlich) zubewegen) ist die zweite Möglichkeit, die Flucht nach vorn; wenn man sich in die Enge gedrängt fühlt und einem in so einer Überforderungssituation keine anderen kreativen Lösungen mehr einfallen.
Am Ende gibt es sogar eine dritte Möglichkeit, die der Körper nutzen kann: sich tot stellen (um dem Feind den Spaß am Spiel mit uns zu verleiden) oder (um einen Rest an Würde zu bewahren) Teile von uns aus dem Bewusstsein auszuschließen, zu dissoziieren.

Heute, wo es nicht mehr primär um Fressen und Gefressen werden geht, funktioniert und reagiert unser Körper weiterhin nach diesen alten erfolgreichen Prinzipien, auch wenn die Auslösereize andere geworden sind.

Jetzt kann es z.B. sein, dass Post vom Finanzamt droht; der Chef oder ein Kunde mit unangenehmen Nachrichten am Telefon sein könnte oder zu befürchten ist, dass der Partner fremd geht usw. usw.
All das sind keine tödlichen Gefahren, aber Stress, Angst und Sorge auslösende Reaktionen, die im Körper den bekanntem Reaktionsmustern zur Abwehr der Bedrohung folgen und alles dafür bereit stellen, wie früher zu fliehen oder zu kämpfen.
Meist aber kommt es heute nicht mehr zu solchen Abreaktionen, so dass eine hohe Gefahr besteht, dass sich die muskulären und psychischen Spannungen und der Folgen der Aktivierung nicht auflösen, sondern chronifizieren. Denn dieses Notfallreaktionsmuster sind für kurzfristige Bedrohungen durch Fressfeinde ausgelegt.
Was passiert dann:
Im Körper werden viele Systeme hochgefahren, um Energie (Kraft) zur Verfügung zu stellen, während stark energieverbrauchende Systeme wie die Verdauung oder kreative Denkprozesse gedrosselt werden.
Alle Aufmerksamkeit wird aktiv auf den gewählten Fokus gelenkt und die Konzentration richtet sich in einer Art „Tunnelblick“ einzig auf die Lösung des gerade wahrgenommenen Problems bzw. Zieles.

Im Zustand der Angst und Aktivierung haben wir also exorbitant hohe Mengen an Kraft zur Verfügung, um einen Lösungsweg zu beschreiten und zu einer Lösung und wieder zu Entspannung zu kommen.
Die Kraft wird allerdings nur wenn sie in Bewegung umgesetzt wird als solche gefühlt.
Heutzutage findet jedoch oft keine große Bewegung, sondern vor allem Anspannung der Muskulatur (Haltearbeit) oder nervöses Muskelfibrillieren (Bewegung auf kleinem Raum ohne Fortbewegung) statt. In der eigenen Wahrnehmung wird die Kraft damit nicht als solche, sondern körperlich als unangenehme Enge gefühlt und psychisch dann als Angst gedeutet – ohne das darin liegende Potential zu begreifen.

Zum Schluss schauen wir uns einmal an, was unter dem Sammelbegriff Angst
(vom indogermanischen *anghu „beengend“)  verstanden wird:

  • Da haben wir einmal diffuse, unspezifische Ängste, die spontan und zufällig auftreten und von der betroffenen Person keiner bewussten Situation oder einem auslösenden Objekt zugeordnet werden können.
  • Bei Phobien (vom griech.  phóbos „Flucht; Furcht, Schrecken“) bezieht sich die Angst auf ganz konkrete Dinge oder und auslösende Objekte, Situationen oder Räumlichkeiten (z. B. Tiere, Menschen, Körperempfindungen, Platzmangel, Höhe, soziale Situationen, Prüfungen, berufliche Anforderungen und was auch immer).
  • Panik (vom griech. panikós ist vom Hirtengott Pan abgeleitet, der angeblich in der Mittagsruhe von panischem Schrecken erfasst wurde, weil ein Schrei eine ganze Herd zur Massenflucht (Stampede) aufjagte.
    Panik beschreibt eine oft unerwartete und erschreckende Situation, die mit vielfältigen vegetativen, körperlichen und psychischen Symptomen einhergeht, so dass die Betroffenen sich in eine hocherregte Angstspirale hineinschaukeln.

Zum anderen wird unterschieden nach

  • Lampenfieber bezeichnet eine allgemeine Anspannung, Nervosität oder Gestressstsein vor einem öffentlichen Auftritt, einer Prüfung oder einer gefährlichen Aufgabe.
  • Realangst oder Furcht ist das Gefühl einer Bedrohung, eine Reaktion auf eine gegenwärtige oder vorausgeahnte Gefahr.  (z.B. Verletzungsfurcht, Versagensfurcht, Berührungsfurcht, Angst den Job zu verlieren, etc.),
  • neurotischer Angst – eine virtuelle, also mögliche, vorgestellte, vielleicht zukünftige oder aus der Vergangenheit erinnerte, vielleicht sogar generalisierte Bedrohung.
    Der Psychoanalytiker Fritz Riemann unterscheidet entlang der menschlichen Entwicklungsphasen zwischen dem „schizoiden“, „depressiven“, „zwanghaften“ und „hysterischen“ Persönlichkeitstypus, deren „Grundängste“ er als die „Angst vor Veränderung“, die „Angst vor der Endgültigkeit“, die „Angst vor Nähe“ und die „Angst vor Selbstwerdung“ beschreibt.

Es gibt also vielfältige Zugangswege, sich über die eigenen Gefühle klarer zu werden.
In jedem Fall lohnt es sich, auf die vom Körper angebotenen Symptome und Gefühle zu achten und herauszufinden, zu übersetzen, was sie im Kontext der jeweiligen Situation bedeuten und wie einen lösungsorientierte – statt problemorientierte – Vorgehensweise sein könnte.
Dann dürfte sich zeigen, dass die Hypothese „Dein Freund und Helfer“ tatsächlich trägt.


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