Konflikte sind in Beziehungen normal.
Sie beruhen oft auf Missverständnissen, resultieren aus unterschiedlichen Standpunkten, Perspektiven, Zielen oder Werthaltungen oder auch aus Übertragungen, also einem ähnlichen Erleben, wie man es zuvor schon in anderen Situationen und mit anderen Menschen erfahren hat, das jetzt als gleich unterstellt wird.
Konstruktiv ausgetragen dienen Konflikte einem besseren Verstehen und fördern die Entwicklung von Prozessen.
Sinn und Zweck eines Konfliktes ist daher nicht, „zu gewinnen“ oder Ihr Gegenüber davon zu überzeugen, das Sie „recht“ haben – und nicht einmal, dass Sie gleich denken.
Um da eine (passende) Lösung für ein strittiges Thema zu finden, muss zunächst verstanden werden, worum es (eigentlich) geht, vor welchem Hintergrund das Streitthema jetzt bedeutsam = Vordergrund wird und um welchen Typ von Konflikt es sich handelt, was die Kernbedürfnisse des jeweils anderen in Bezug auf das Thema sind, wo die Streitenden flexibel sein können.
Missverständnisse lassen sich aufklären, indem man mehr vom Kontext berichtet, was, vor welchem innen oder äußeren Hintergrund, wie gemeint war. Denn jeder Mensch hat seine eigenen Erfahrungen, so dass auch Wörter – auch in der gleichen Sprache – doch häufig unterschiedlich verstanden werden. Zudem gilt: Gemeint ist nicht unbedingt gleich mit Gesagt, Gesagt bedeutet nicht selbstverständlich auch Gehört, Gehört heißt nicht Verstanden, Verstanden führt nicht immer zu Einverstanden, Einverstanden heißt noch nicht Getan und Getan ist noch lange nicht Beibehalten.
Streit um unterschiedliche Standpunkte, Perspektiven, Ziele oder Werthaltungen bedürfen der Klarifizierung, was wirklich gewollt wird. Ist das verstanden, kann man sich daran machen, nach Kompromissen zu suchen, für die man flexibel genug ist und die für alle konsensfähig sind: also für alle Parteien zuträglich, tragbar, unumstritten annehmbar, mehrheitsfähig, durchsetzbar, umsetzbar, finanzierbar, stichhaltig und tragfähig vertretbar, handhabungsfähig, praktikabel, zielführend, vielleicht sogar nachprüfbar.
Um Konflikte, die sich als Übertragungsthemen entpuppen, aufzulösen, muss man man bereit sein, hin zu schauen, wo und mit wem, wann habe ich früher eine ähnliche (belastende, verstörende, schmerzliche) Situation(en) erlebt, die mir nun den Blick für die aktuell reale Situation vernebeln, weil ich unbewusst diese und jene Erfahrung gleich setze und mit Befürchtungen überlade, die in eine andere Zeit und zu anderen Menschen gehören.
Oft zeigt sich in Beziehungen jeder Art, dass bestimmte Schwierigkeiten immer wieder auftauchen, zu denen man immer wieder zurückkehrt.
Auch wenn das – vordergründig betrachtet – unangenehm ist und bewusst nicht gewollt wird, so ist dieses Verhalten letztlich der Versuch, Unerledigtes abzuschließen, Wunden zu heilen, Psyche oder/und Körper ins Gleichgewicht zu bringen. Gerade die Wiederholungen helfen, im Laufe der Zeit Muster zu erkennen und das anfangs noch Unbekannte immer besser zu fassen und herauszufinden, worum es eigentlich geht. Insbesondere Lebenspartner oder langjährige Vertraute sind dabei diejenigen, bei denen man sich traut, ihnen derartige Konflikte zuzumuten, etwas Unbewusstes zu re-inszenieren, um letztlich die versteckte Botschaft an sich selbst, die in der konfliktträchtigen Inszenierung (die innere Verletzungen sichtbar werden lässt) zu entschlüsseln.
Betrachten wir das Unerledigte am Bild der „nicht geschlossenen Gestalt“ am Beispiel des Hungers – einem Grundbedürfnis:
Wenn uns der Hunger als eine Rückmeldung des Körpers über einen Mangelzustand infolge des Stoffwechsels im Organismus als Bedürfnis bewusst wird, beginnen wir eine Bewegung zur Nahrungssuche und zur Befriedigung des Bedürfnisses, so dass – meist unbewusst ablaufend – der Stoffwechsel wieder arbeiten kann.
Misslingt ein befriedigendes Ergebnis, entsteht eine „offene Gestalt“, ein unerledigtes Thema, da die Bewegung sich am Hindernis aufteilt: ein Teil wird für Zurückhaltung (= chron. muskuläre Anspannung) und zur Reduktion des Bedürfnisdrucks verwendet, ein anderer Teil sucht nach Ersatzbefriedigung, wobei ein Rest, ein offener Posten, eben die vorerwähnte muskuläre Anspannung im Körper übrig bleibt, den der Körper in allerlei günstig erscheinenden Momenten loszuwerden sucht. Denn diese chronischen Verspannungen hindern am freien Ausdruck, erlebt als Hemmungen und verminderte Belastbarkeit oder schnelle Gereiztheit oder als Schmerz, Bandscheibenvorfall usw.
Forschungen von John M. Gottman und Julie Schwartz-Gottman in den USA*) haben gezeigt, dass viele Beziehungskonflikte nicht gelöst werden können; dass es manchmal gilt, mit einer Reihe von „ewigen Problemen“ zu leben. Doch wenn Sie entdecken, was solchen „ewigen, also sich wiederholenden Konflikten“ zugrunde liegt, dann decken Sie etwas auf, das im Zentrum der Überzeugungen, der (unerfüllten) Grundbedürfnisse und der Persönlichkeit, von Ihnen oder Ihrer/s Partners/in angesiedelt ist. Wesentlich ist es, sich wie die/den Partner/in als die anzunehmen, die sie oder der er ist und Verschiedenheiten als Bereicherungen zu verstehen und anzunehmen.
Gelingt dieses Annehmen nicht, weil die Unterschiede in den Vorstellungen von Zielen, Werten, Lebensstil und Bedürfnissen, die im Leben befriedigt werden sollen, zu gravierend sind, kann es sinnvoll sein, sich zu trennen, um einem Leben im (offenen oder unterschwelligen) Dauerkonflikt zu entgehen.
Um Lösungen zu finden sind zum einen Fragen und zum andern Zuhören von besonderer Bedeutung; wobei das Zuhören, das aufmerksame, zugewandte, offene, annehmende Lauschen, das alles Entscheidende ist.
Dazu hier einige Anregungen für aktives, sich hingebendes Zuhören, um zu verstehen – ohne zu urteilen oder in die Abwehr zu gehen, ohne den Wunsch, zurückzuschlagen, ohne während des Zuhörens bereits Antworten zu formulieren.
- Seien Sie Aufmerksam – Legen Sie alle technischen und elektronischen Geräte beiseite. Zeigen Sie echtes Interesse und Neugier für das, was Ihr Gegenüber sagt. Suchen Sie den Blickkontakt.
- Seien Sie Präsent – Im Gespräch geht es um den Dialog = zwei sprechen miteinander. Unterlassen Sie also längere Monologe. Manchmal hilft es Sprechzeiten zu verabreden. Bemühen Sie sich, zu verstehen, was Ihr Gegenüber sagt und meint und welche Körpersignale dabei zu beobachten sind (auch bei sich selbst).
- Fragen Sie nach, um Inhalte zu klären, damit Sie wirklich über das Gleiche sprechen. Hören Sie sich die Antworten an. Stellen Sie explorative offene Fragen, wie z.B. „Kannst Du mir mehr darüber erzählen?“ „Was meinst Du genau?“ „Fällt Dir eine Geschichte / eine Erinnerung dazu ein?“ Erinnern Sie sich, das hier ist kein Verhör, sondern ein Entgegenkommen.
- Stellen Sie sich auf Ihr Gegenüber ein – insbesondere auf die Gefühle des Anderen. Spielen Sie diese nicht herunter; versuchen Sie da nicht, etwas „in Ordnung“ zu bringen. Sie brauchen nicht dafür sorgen, dass Ihr Gegenüber sich besser fühlt – einziges Ziel ist es, besser zu verstehen.
- Zeuge sein – oft ist es wichtig mit bestimmten Dingen / Erinnerungen / Schrecken nicht allein zu sein;
manchmal ist es hilfreich, das Gehörte mit eigenen Worten zu wiederholen, zu bestätigen – aber fragen Sie nach, ob das gewünscht ist.
Fatalerweise denken wir immer wieder, wir wüssten, was im Kopf des anderen vor sich geht, aber das wissen wir nicht, nicht ohne Nachfrage und Bestätigung. Ebenso kann ein Anderer nicht sehen oder wissen, was wir sehen, wissen, erleben, ohne dass wir es mitteilen. - Urteilen Sie nicht – Üben Sie keine Kritik und geben Sie keine Ratschläge.
Wenn Sie darum gebeten werden, können Sie nur mitteilen, wie Sie die Situation erleben, was Sie fühlen, denken, evtl. tun würden, aber das ist, was sich in ihrer Welt abspielt. Es ist nicht unbedingt übertragbar, aber vielleicht eine Anregung, eine andere Sichtweise, eine neue Perspektive, eine Anregung zu einer Haltungsänderung.
Ganz besonders wichtig in klärenden oder konflikthaften Gesprächen ist Respekt. Denn diese auf Verständnis ausgerichteten Gespräche erfordern ein gewisses Maß an Verletzlichkeit und Offenheit, ein Klima, in dem sich beide Partner sicher fühlen und frei, ihre innersten Gedanken, Gefühle, Befürchtungen mit dem anderen teilen zu können – ohne dass das gegen Sie verwendet wird! Es geht schließlich darum, die Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen Ihnen zu erkennen, zu beschreiben, (deren Hintergründe / Geschichte) zu verstehen und (empathisch = sich einfühlend) ein Gespür dafür zu entwickeln, warum jeder von Ihnen die Welt sieht, wie er/sie sie sieht. - Steigern Sie die Akzeptanz – würdigen und schätzen Sie, was Sie haben, entwickeln Sie Dankbarkeit füreinander
Derartiges Zuhören fällt uns nicht immer leicht, so dass es sinnvoll ist, sich Umstände zu schaffen, die ein aufmerksames Miteinander in einer sicheren Umgebung erleichtern; vielleicht (so empfohlen) derartige Gespräche zu einem regelmäßigen Ritual werden zu lassen. Da sind dann Fragen möglich, die auch Gefühlslagen berücksichtigen:
– Wie geht es Dir?
– Was fühlst Du gerade?
– Wie geht es Dir mit Situation xy?
– Was brauchst Du (jetzt)?
– Wie kann ich Dir helfen?
– Wie sieht Dein schlimmstes Szenario für diesen Fall aus?
– Welche Möglichkeiten stehen Dir zu Wahl?
– Wie sieht Deine ideale Traumlösung für diese Situation aus?
– Was würdest Du tun, wenn sich die Situation xy aufgelöst hätte?
– Musst Du so lange warten?
Oft sind auch Lösungen möglich, ohne dass man das Problem verstanden hat.
Foto: Pixybay und Dreamstime und Wikipedia
*) Quelle: John M. Gottman und Julie Schwartz-Gottman, 8 Gespräche, die jedes Paar führen sollte, 2019 bzw. deutsch Ullstein-Verlag 2022