Gerade in Zeiten des Lockdown und social – und vor allem physical distancing, wenn die Menschen, wie im Jahr 2020 in hohem Maße auf sich selbst zurückgeworfen sind, werden bei Paaren und in Familien Spannungen sichtbar.
Der Stress, ausgelöst durch die unberechenbare Bedrohung eines unsichtbaren Virus, das Gefühl von Kontrollverlust, die Bevormundung durch staatliche Stellen, die Sorge um liebe Verwandte und die bewusste wie unbewusste Reaktivierung von Kindheitsgefühlen, wie auch der Stress des engen aufeinander Hockens in der Wohnung, das nicht ausweichen können, lässt schnelle eine angespannte oder gar aggressive Stimmung entstehen – mit der konstruktiv oder destruktiv umgegangen werden kann.
Ja, manchmal sind Wegweiser – nicht nur in der „Mutter-Kind-Beziehung“, wie oben im Bild zur Wegführung an der Baustelle an der Sporthalle in Rodheim zu sehen – sehr hilfreich,
insbesondere in Zeiten, die sich anfühlen wie Baustellen …
und Langzeitbeziehungen sind Dauerbaustellen …
allerdings meist ohne die beruhigenden Hinweisschilder, die einen „an der Hand nehmen“
oder – wie inzwischen auf den Autobahnen zu sehen -: „in 5 km, in 3 km, in 1 km Ende der Baustelle“.
Sollte die Überschrift Ihre Neugier geweckt haben,
stellen Sie sich auch beim Lesen dieses Textes auf eine längere Dauer ein.
Vielleicht aber lohnt es in besonderer Weise, einen Text oder eine fremde Person in vielerlei Facetten kennenzulernen und sich Zeit füreinander zu nehmen; nicht zu schnell aufzugeben, etwas miteinander durchzuarbeiten (wie die Psychoanalytiker gerne sagen).
Stichworte zum Inhalt und zur kurzen Orientierung
- einander Erkennen – meint mehr, als nur im Sex vereint sein
- Gleichgewicht – in vielerlei Hinsicht bedeutsam
- Paartherapie – Erläuterungen und Vorstellungen früher – heute
- Monogamie – Untreue – Gründe, zu Handeln – Motive
- eine Langzeitbeziehung lebendig halten,
- Vertrauen – Sexualität
Ja, es ist einen Gedanken Wert, zu entdecken, wieso man sich mit gerade diesem Partner gerade diese Aufgabe für sein Leben gesucht hat.
Gerade im „einander erkennen“ steckt viel mehr, als der erste Eindruck herzugeben vermag.
In vielerlei Formen von Beziehungen strebt man nach Dauer und Vertrautheit.
Oftmals haben Paare vor, die Strecke bis zum Ende zusammenzubleiben … und da soll das Ende nicht schon nach 5 km bzw. 5 Jahren erreicht werden.
Allerdings stellen sich weder Lust noch Frust von alleine ein …
realistisch gesehen, sagt die Scheidungsstatistik, dass die meisten Ehen nach 6 Jahren Ehedauer geschieden werden und die durchschnittliche Ehedauer bei 15 Jahren liegt. (Quelle: www.scheidung.de)
Zwar ist – positiv gesehen – Instabilität eine notwendige Bedingung für Bewegung und Entwicklung,
doch zugleich braucht es dabei eine hinreichende Stabilität, um sich auf das Abenteuer von Veränderung einzulassen. Andernfalls kann eine Konstruktion leicht in die Brüche gehen.
Es ist wie beim Treppensteigen: steht das Standbein stabil, lässt sich mit dem Spielbein eine neue Stufe erklimmen. Findet das Spielbein dort festen Halt, kann das Standbein zum Spielbein für eine weitere Entwicklung werden, usw. usw. – mit den eigenen Beinen.
Ähnlich: hat die Beziehung stabile, verlässliche Grenzen, gerät erkundende Spiel nicht so leicht in gefährliche Fahrwasser. Dennoch erscheint, wie es so schön heißt, „das Gras auf der anderen Seite grüner“ – zumindest für eine anfängliche Weile.
Gelingt es, dieses Spannungsfeld in eine tragfähige Balance zu bringen, kann sich eine Beziehung dauerhaft entwickeln … auch wenn die Beteiligten nicht immer im gleichen Tempo unterwegs sind.
Nein, eine Paartherapie (als sinnvolle und intelligente Fortbildungsmaßnahme – die Paare sich häufig viel zu spät gönnen) soll nicht immer nur sicherstellen, dass die Leute zusammenbleiben.
Vielmehr geht es darum, dass Menschen verantwortungsvolle Entscheidungen treffen, dass neue Perspektiven ausgeleuchtet werden, die ein andres Verständnis in Zusammenhänge und Wechselwirkungen erlauben, die Wachstum ermöglichen und die, im Fall der Fälle, helfen, mögliche Schäden minimal zu halten.
Früher baute die Institution Ehe sehr lange auf „bis der Tod Euch scheidet“.
Heute währt die Ehe meist so lange, bis die Liebe stirbt.
Als die Leute früher „für immer“ sagten, sind sie in ihren Vierzigern, Fünfzigern, Sechzigern gestorben.
Heute erleben viele die achtziger und neunziger Jahrgänge.
Zudem ist die ökonomische Abhängigkeit von Frauen meist nicht mehr gegeben, so dass sie sich nicht mehr mit allem arrangieren müssen. Sie erleben sich nicht mehr als Eigentum ihres Mannes und auch die Frage, woher die Kinder kommen, muss nicht mehr durch Einsperren der Frauen sichergestellt werden.
So werden heute die meisten Scheidungen von Frauen initiiert.
In einer Paartherapie schaut man immer danach, was dies und das bedeutet und wie es miteinander zusammenhängt, wie es in der Beziehung wechselwirkt und wohin das dann möglicherweise führt oder was es – zumindest in der Phantasie – für Auswirkungen hat.
Denn wenn die Beziehung nicht glücklich ist, bleibt die Familie heutzutage vermehrt nicht intakt.
Früher konnte das Paar unglaublich unglücklich sein, konnte es im Zusammenleben gewalttätig, missbräuchlich zugehen – das Paar hätte sich nicht getrennt … schon allein, weil die Familienorganisation das Paar brauchte und die gesellschaftlichen Hürden hoch waren.
Wir hatten ja mal Ehen, in der man viele Kinder brauchte, um das Feld zu bestellen, um die ökonomische Sicherheit für die Familie zu gewährleisten.
Dann hatten wir das Bild der romantischen Ehe, in der man Zugehörigkeit sucht, eine Verbindung. Und weil man Kinder nicht mehr zu Fortbestand und zum Arbeiten brauchte, hatte man nur wenige Kinder – und hatte Sex aus Lust und Leidenschaft.
Heute geht es in der Ehe, in Beziehungen allgemein, um Identität: „ich will, dass mir mein Partner dabei hilft, die beste Version meiner selbst zu werden.“ Außerdem hat man sich heutzutage bereits „die Hörner abgestoßen“ und verbindet sich etwa 10 Jahre später, als vor 50 Jahren. Man sucht – mitten in einer konsumorientierten Welt – einen Seelenverwandten, jemanden, mit dem man sich versteht, der die gleiche Sprache spricht, der das eigene Weltbild bestätigt. Denn in dieser Zeit sind Paar so isoliert, wie nie zuvor. Zudem gibt es – u.a. zwei Weltkriegen geschuldet – kaum Vorbilder, an denen man authentisches Verhalten und kooperatives Miteinander oder erfolgreiches, glückliches Zusammenleben lernen kann. Zu viele Menschen tragen unbewusst noch an Wunden (auch an denen der Vorgeneration), die sie in Verdrängung zu halten suchen und es gibt inzwischen zu viele „broken homes“, die idealistische Erwartungen sprießen lassen, die ebenfalls nur in die Wiederholung des Scheiterns führen.
Immerhin ist biologisch vorgegeben, dass man ein Verlangen nach jemand anderem entwickelt.
An der Ausgestaltung dieses Verlangens kann man moderne Beziehungen erkennen.
Über all in der Mediengesellschaft wird suggeriert, dass es bestimmt besseres gäbe, als das, was man gerade hat oder wo man gerade ist oder mit wem man gerade ist.
Überall auf der Welt ist es daher ähnlich mit der Untreue.
Allerdings geht man in anderen Teilen der Welt anders damit um, als z.B. in Europa.
Amerikaner z.B. moralisieren Untreue typischerweise. Sie erleben einen Seitensprung als moralischer Verrat an ehernen (religiösen) Werten.
In Europa zählt Untreue als der ultimative Betrug in und an der Beziehung oder Ehe. Denn sie besiegelte die Verbindung mit seinem Seelenverwandten, was – oft unbewusst – mit einem stillen Anspruch auf Alleinbesitz einhergeht und zudem das Gefühl, etwas besonderes zu sein. Durch die/den Dritten wird diese Illusion zerstört. Die Ent-Täuschung ist groß: das „Soll“, die Vorstellung, wurde vom „Ist“, von der Realität, eingeholt und auf die Füße gestellt.
Hatten früher viele Menschen in der Ehe den allerersten Sex und kannten unter dem Postulat der Monogamie auch nichts anderes, hatte man heute vor der Ehe meist schon Sex mit vielen anderen. Monogamie bedeutet heute also etwas anderes als früher: nämlich nach vielen anderen mit nur noch einem Partner zu schlafen.
Den kann man sich heute aussuchen: „Ich suche mir diese Person aus und kümmere mich nicht mehr um die anderen. Ich bin die/der Auserwählte, etwas ganz besonderes.“
Psychologisch gesehen spielen hier also – heutzutage in besonderer Weise – u.a. sehr frühe narzisstische Bedürfnisse nach Bestätigung, Besonderheit und das Erleben einer vermeintlichen Größe eine große Rolle – während man ja als Kleinkind real noch ganz klein ist und lediglich wenig von der Welt kennt. Da lassen sich phantastische Vorstellungen leicht mit der Realität verwechseln.
In einer Partnerschaft werden diese Bedürfnisse und Vorstellungen reaktiviert und „befriedigt“.
Zugleich aber überfordern diese Anforderungen auf Dauer das Gegenüber und rufen Fluchtimpulse oder Aggressionen hervor. Entsprechend tauchen Kinderängste auf, verlassen zu werden und damit lebensbedroht zu sein, die bei einem Erwachsenen irrational erscheinen.
Das erklärt jedoch, warum die Zerstörung dieser Illusion, ein so immenses katastrophisches Erleben hervorruft. In dieser Stresssituation werden ganz archaische Überlebensinstinkte aktiviert, so dass klares, vernunftbetontes Denken kaum möglich ist. Dies zumindest bei fehlendem Abstand und beruhigter Seele, die Perspektivenwechsel und Reflektion zulässt.
Zum anderen werden in einem Dreieck sofort alte Erinnerungen an das Erleben in der triangulären Beziehung mit den Eltern wach gerufen. Oft war da das Kind der ausgeschlossene Dritte; oder schlimmer noch: ein Elternteil wurde ausgegrenzt und Verhältnisse geschaffen, die eine für ein Kind überfordernde, aber Größenphantasien stärkende, die Generationengrenzen verwischende Situation erschufen.
Da hilft häufig ein weiteres Augenpaar, das andere Aspekte erkennen und benennen kann, das nicht parteiisch auf die Situation blickt oder moralische Werte über die Personen stellt, die hilft, das jeweilige Handeln im Kontext zu verstehen.
Es gibt immer einen Grund für unser Handeln – ob nun bewusst oder unbewusst.
Und unser Tun hat immer eine tiefe Bedeutung.
Affären sind Geschichten, One-Night-Stands sind Geschichten, sogar Hit-and-Run-Sex hat eine Bedeutung – in dem Fall die angebliche, dass sie bedeutungslos seien.
Es gibt keine menschliche Interaktion ohne Bedeutung!
Daher geht es in guten Paargesprächen oder in Paartherapien nicht so sehr um die Fakten: „wer hat was wann mit wem wie gemacht“, sondern um die Bedeutungsgebung, die der Handelnde dafür konstruiert.
Der/die Handelnde ist dabei sowohl „die/der Täter“ als auch die/das „Opfer“ seiner Sicht der Dinge.
Zudem sind es die Wechselwirkungen der Interaktionen und auch Umgebungsfaktoren spielen hier eine bedeutsame Rolle, die es zu bedenken gilt.
Ereignisse sind einfach Ereignisse / Fakten.
Ihre Bedeutung erlangen sie durch die Art unserer Einordnung in ein Bild, das wir selbst zeichnen, …
… indem wir bestimmte Aspekte wahrnehmen und andere nicht; durch die Art, wie wir etwas betonen, bewerten und durch die Worte, mit denen wir beschreiben, was für uns selbst (aber auch für unsere Umgebung) wichtig/bedeutsam ist und/oder auch als sinnvoll verstanden wird.
Um dahinter zu steigen, fragen wir uns:
„Was sagt uns dieses Erleben, Fühlen, Denken, Verhalten, ja auch diese Affäre, über die Person, diese Kultur, diesen Moment in diesem Leben und über den Entwicklungsstand in dieser Beziehung?“
Hier zeigt sich ein großer Vorteil von Langzeitbeziehungen, in denen die Beteiligten sich und die jeweilige eigene Geschichte und die des Partners gut kennen. Da muss dann nicht mehr alles persönlich genommen werden; da können Zuordnungen angeboten und Verwechslungen angesprochen werden, die aufklärend wirken. Solche Erkenntnisse sind zum Teil schmerzhaft, wie sie auch Nähe erzeugen, da man sich als Entlarvter eben peinlich berührt, aber auch gesehen, verstanden und wertgeschätzt fühlen kann.
Eine Beziehung, in der jemand eine Affäre hat, in der jemand geliebt werden möchte, kann kaputt sein – sie kann aber auch gerettet werden.
Interessanterweise ist Einsamkeit einer der häufigsten Antriebskräfte, sich anders zu orientieren.
Einige Seitensprünge, Bordellbesuche, Pornoseitenaufrufe finden ihre Bedeutung in der Unzufriedenheit mit der Beziehung: in Jahren von emotionaler Abweisung, gefühlter Abwertung, in differenten sexuellen Interessen, in Jahren von sexueller Dürre (z.B. wenn die Kinder klein sind), in jahrelangem gegenseitigen Ignorieren, in Jahren fehlender Kommunikation und Verbindung.
Es kann ein Schrei nach Hilfe, nach Beachtung und Weiterentwicklung sein.
Es kann aber auch eine Erkenntnis sein: Ich wusste gar nicht, dass das Leben anders sein kann, dass es einen Menschen gibt, der lieb zu mir ist, dass ich keinen Schmerz beim Sex haben muss, dass ich mich von jemandem begeht fühlen kann, dass es jemanden gibt, der zärtlich ist, großzügig und will, dass ich mich wohlfühle, dass es jemanden gibt, der mich nicht beständig kritisiert oder auch an mir selbst erkenne, dass ich den anderen für blöd hielt, weil er mich liebt, obwohl ich mich selbst für nicht liebenswert erachte.
Oft geht es gar nicht darum, dass Menschen wissen wollen, was auf der anderen Seite ist.
Vielmehr bemerken sie zum ersten Mal: es gibt eine andere Seite.
Aber auch die Frage: „Wie gestalte ich die zweite Hälfte meines Lebens?“ lässt grundsätzliche Fragen aufkommen.
Wenn man dann nicht mit dem Partner als auch bestem Freund darüber reden kann und offen seine Ängste, Wünsche und Phantasien auszudrücken vermag, wird das Heil oft andernorts gesucht.
Lange gingen wir davon aus, dass Affären ein Zeichen für gestörte Menschen und gestörte Beziehungen sind … und dass deswegen die Beziehungen enden müssten.
Dabei lässt sich gut erkennen, dass, wenn Menschen über Affären oder diesbezügliche Phantasien reden, reden sie über zwei Personen – das Paar. (siehe z.B. Wir sind immer zwei Seiten einer Geschichte.)
Interessanterweise ist in solchen Gesprächen die dritte Person häufig gar nicht Teil der Geschichte.
Und wenn man sich dann interessiert: „Seid ihr früher schon mal mit dem Thema in Berührung gekommen?„,
entweder, weil ihr Kind eines Elternteils seid, der Affären hatte, oder eines Elternteils, der weggegangen ist, oder weil ihr selbst das Kind seid, das in einer Affäre entstanden ist, oder weil ihr Freund oder Freundin seid, an deren Schulter sich jemand ausgeweint hat, oder, weil ihr selbst diese dritte Person seid?
Dann zeigen sich ganz neue Seiten, von denen man sich im Nachgang vielleicht wie versklavt fühlt, weil man nichts ahnend nachgeäfft hat, was man andernorts nicht verstanden hat.
Denn schätzungsweise 85 % der Menschen sind von dieser Thematik irgendwie betroffen, haben aber nie einen Gedanken daran verschwendet.
Jedoch: was man nicht weiß und sieht, darüber stolpert man eher, als über das, was man ins Bewusstsein geholt und verarbeitet hat.
Das betrifft natürlich auch „die Stadien“ einer Ehe / einer Langzeitbeziehung.
Für mich ähnelt die Entwicklung einer Beziehung der eines Einzelmenschen: am Anfang müssen wir ganz nahe sein, brauchen viel Hautkontakt, um uns sicher in der Welt / in der Beziehung zu fühlen, um Urvertrauen aufzubauen. Allmählich gewinnt dann der Pol der Eigenständigkeit wieder mehr Gewicht.
Die Entwicklungen der Einzelnen gehen nach unterschiedlichen Uhren, die im Gespräch und im nahen Miteinander immer wieder synchronisiert werden müssen.
Um also
müssen Geben und Nehmen, Nähe und Distanz, Dominanz und Unterordnung, Kontrolle und Freiheit, Begehren und Vertrauen, Überraschung und Vertrautes, Risiko und Sicherheit immer wieder eine passend austarierte Balance finden.
Es braucht Selbstgewahrsein und authentische Offenheit sowie den Mut, sich zu zeigen und zuzumuten, wie auch die Kraft, das vom Partner gezeigte anzunehmen, zu diskutieren und Kompromisse zu finden, die für beide lebbar sind.
Das braucht oft Zeit, die man einander im Miteinander geben sollte, bis die rechte Lösung gefunden ist. Vorher sollte niemand Vorpreschen und aktiv werden.
Wie gesagt, in Beziehung sind wir immer nur die eine Seite eines größeren Ganzen.
Dabei ist es durchaus wichtig egoistisch zu sein. Denn – so erkläre ich es in meinen Therapien immer -, wenn ich egoistischer Weise dicke Kartoffeln ernten möchte, muss ich meinen Acker bestellen und pflegen. Denn nur wenn es meiner Umgebung gut geht, kann es mir dort auch gut gehen.
Oft wird Egoismus (der immer den ganzen Kreislauf in Blick hat) mit Egozentrik verwechselt. Dabei geht es allein um mich, die anderen sind mir egal. Diese Form der Ausbeutung funktioniert eine Weile, doch bald wird die Ernte geringer ausfallen und die Menschen um mich herum werden mich meiden. Niemand möchte ausgenutzt werden.
Untreue ist massiv egozentrisch.
Etwas nur für mich zu machen; z.B. Untreu sein, kann ein wichtiger Schritt sein, um sich seiner Selbst zu vergewissern, oder um sich aus einer zu engen Beziehung zu lösen.
Das kann sogar für eine Beziehung ganz wichtig sein, denn nur getrennt kann man sich aufeinander beziehen und eine Beziehung führen. Macht man alles zusammen, verschwimmen die Grenzen.
Ein idealer Zustand, den man sonst gelegentlich beim Sex miteinander erreicht oder wenn beim gemeinsamen Tun ein Gefühl von Flow eintritt und sich bald wieder auflöst, wird „Normal“ und zerstört alles Spannende und die Beziehung, die keine Bezug mehr nehmen kann.
Vertrauen geht nur unabhängig von Gewissheit.
Untreue ist das Mal, insbesondere für Frauen, dass sie sich nicht sorgen müssen, schon wieder etwas für andere Menschen zu tun. Es ist eine Erfahrung von Freiheit – und dann – auf dem Fuße folgend – eben auch von Zerstörung, unwiederbringlicher Zerstörung von Ur-Vertrauen …
… was nicht heißen soll, dass Vertrauen nicht wieder aufgebaut werden kann.
Das aber muss man sich dann redlich verdienen; und dieses neue Vertrauen ist nicht mehr das unschuldige, naive Geschenk des Anfangs, es ist ein bewusstes und gewolltes Schenken, eine Entscheidung.
Es ist ja durchaus oft so, dass der/die Seitenspringer /in den/die Partner/in verlassen wollte, sondern ganz gezielt die Person, die man selbst im Laufe der Zeit geworden ist.
So gesehen ist Untreue zum Teil ein Akt der Selbstfürsorge, wie er eben auch Betrug an der Verabredung mit dem Partner ist.
Es geht ja in einer Langzeitbeziehung beständig darum, was ich im Miteinander für mich getan habe und was ich ich dir damit angetan habe; wie es mit der Balance von „Ich“, „Du“ und „Wir“ aussieht?
Es ist immer ein Balanceakt von mehr oder weniger und immer eine doppelte Geschichte.
Ein wichtiger Punkt, ich hatte es oben bereits erwähnt, ist unsere Sprache, die wir im Umgang miteinander pflegen.
Denn wir denken in Bildern und Text und der ruft wiederum Bilder und Gefühle und Phantasien hervor, die dann von uns und anderen als realitätsähnlich behandelt werden.
Die Art, wie wir etwas formulieren, ist also die Art, wie die Information in unserem Denken und Fühlen abgespeichert wird.
An diesem, unserem ganz persönlichen Abbild von der Welt orientieren wir uns im Alltag.
Was dort im inneren Bild eingetragen wird, existiert in unserem Bewusstsein – oder nicht.
So ruft z.B. der Satz: „ich habe mich sexy gefühlt“ andere Assoziationen und Gefühlszustände hervor, als „ich habe mich lebendig gefühlt“.
Und es macht einen Unterschied der einen erheblichen Unterschied macht, ob wir z.B. in „Es“, „Ich“, „Wir“ oder gar in „man“ oder „die anderen“ reden, ob wir damit Abhängigkeit und Opferrolle oder Eigenverantwortung und Täter-Macht, die Kraft des Handelns – so oder so -, organisieren.
Sexualität ist wie eine Linse, um Gesellschaften und Kulturen zu verstehen: ihre Werte, ihre Einstellungen gegenüber Frauen und Kindern, gegenüber Vergnügen und Fleisch.
Dabei ist es weniger interessant, wie oft Menschen Sex haben oder zumindest behaupten, Sex zu haben oder wie viele Orgasmen angegeben werden, sondern von Interesse ist, was Sexualität heute repräsentiert und was Erotik bedeutet.
Menschen wollen sich in Beziehungen lebendig spüren, wollen Freiheit und Neugier befriedigen.
Was sich wie Gefängnis anfühlt ist das Gegenteil davon.
Oft kommen Menschen in meine Praxis die 10, 20 oder 30 Jahr treu und monogam waren und plötzlich überschreiten sie eine Grenze, von der sie selbst niemals gedacht hätten, dass sie sie überschreiten.
Was bringt Menschen dazu, das zu riskieren, was sie sich über viele Jahre aufgebaut haben?
Oft ist es ein Schrei nach Leben: „Ich habe mich immer um andere gekümmert, und nun bin ich einsam.
Ich will einmal im Leben etwas anderes erleben, und ich weiß gar nicht wie sich das anfühlt.“
Dieses Bestreben, diese Selbsterkenntnis, solche Untreue muss ja nicht das Ende einer Beziehung sein.
Meist sind diese inszenierten Krisen der Anfang von intensiven Gesprächen – die es allzu oft lange nicht mehr gab.
Eine tiefe Kriese, die vielleicht über lange Zeit kompensiert, verleugnet oder mit Aufgaben zugedeckt war, wird nun deutlich. Eine Krise ist immer auch eine Chance und das Paar muss schauen, ob sie diese Kriese gemeinsam überstehen kann, ob es etwas damit anfangen kann, was die Krise lehrt.
Monogamie ist ein soziales Konstrukt.
Es wurde in der Geschichte meist Frauen auferlegt, aus wirtschaftlichen oder patriarchalen Gründen. Es hatte nie mit Liebe zu tun, und heute hat alles mit Liebe zu tun.
Entsprechend verhandeln Menschen dauernd über Monogamie, über Einzigartigkeit, über Individualität.
Das ist jedoch nur der eine Pol, der da betont wird. Die andere Seite ist der Wunsch nach Zugehörigkeit, nach Wertschätzung, Wärme, Sicherheit, Verbundenheit, Treue, Verlässlichkeit, Berechenbarkeit in einer Welt, die immer unüberschauberer, medialer (vermittelter statt unmittelbar begreiflich) und globaler geworden ist.
Aber selbst wenn man über Masturbation spricht geht es um Monogamie.
Für die meisten ist dies seit der Pubertät ein Teil der eigenen Sexualität. Die Idee, dass jemand kommt und sagt: „Jetzt, da wir zusammen sind, darfst du das nicht mehr machen“, ist unvorstellbar. Auch in einer Beziehung braucht es eigenes! … nicht nur in Bereich der Sexualität.
Aber wenn jemand kritisiert: „anderen gegenüber bist du viel aufmerksamer, als mir gegenüber“, dann steckt dahinter ein Wunsch. Hinter jeder Kritik steckt ein Wunsch!
Wenn der bewusst wäre und ausgedrückt werden würde, wäre das Leben oft leichter.
„ich hätte gerne mehr Aufmerksamkeit von dir. Wenn du mit den Kindern spielst, bist du witzig, verspielt, liebevoll. Wenn du dich um unsere Gäste kümmerst, bist du aufmerksam, fokussiert, hängst nicht gleichzeitig am Telefon. Du gibst dein Bestes, und dann bringst du die Reste mit nach Hause.“
Viele Paare leben von den Resten.
Das Beste geht an die Kinder, an Freunde, an Kunden und Kollegen.
Fast selbstverständlich gilt die Vorstellung, dass eine Beziehung überlebt wie ein Kaktus.
Also: wenn sie 10 % der Kreativität und Einfallsreichtum, die sie in ihre Affäre stecken, ihre Ehe widmen würden, ginge es ihre Ehe deutlich besser.
Wenn eine Affäre entdeckt wird oder sie danach gefragt werden, seien sie ehrlich.
Denn an der Stelle wiegen Lügen schwer; wirken wie doppelter Betrug.
Wenn eine Affäre herauskommt, verursacht sie bei dem anderen manchmal einen enormen Schmerz und berührt ihn in seinem Innersten … wegen der Erwartungen: „Weil ich dachte, du könntest so etwas niemals tun. Weil mein Vater es mein ganzes Leben lang getan hat. Weil ich ohnehin schon dachte, dass ich nicht attraktiv bin und du es jetzt bestätigt hast.“
Solche Enttäuschung – das Aufdecken und Loswerden einer Täuschung / Illusion – wirkt oft verheerend. Das muss man verstehen und aushalten – beide!
Erst wenn der Konflikt / das Thema verstanden ist, kann es zu einer Lösung kommen.
Lassen Sie mich das kurz ein einem Beispiel erklären: wenn ein Gast ins Haus kommt und etwas trinken möchte, kann man losziehen und etwas holen. Ohne dass aber klar ist, ob der Gast Durst hat und ein Wasser möchte, ob er unterzuckert ist und ein süßes Getränk braucht oder Geselligkeit sucht und dabei Kaffee, Tee oder etwas alkoholisches bevorzugt, all das beeinflusst, ob eine passende und gute Lösung gefunden wird.
Nach einer Weile, wenn der erste Schock überwunden ist und man wieder nüchtern denken kann, kann man auf der Basis der tatsächlichen Realität schauen, an welchem Punkt man steht.
Für den Betrogenen ist es auch ein Wertverlust.
Daher taucht immer wieder die Frage auf, ob man das wiedergutmachen kann.
Manchmal hat der Partner eine Idee, was für ihn angemessen wäre.
Manchmal kann und will man diesen Preis zahlen, oft bleibt es etwas, das in der Phantasie funktioniert. In der Praxis des Erlebens ist es jedoch oft anders.
Vermutlich ist der brauchbare Weg, den Verlust zu betrauern und zu sehen, was man mit den vorhandenen und verbliebenen Ressourcen anfangen kann.
Es ist ja immer nur die Frage, was wir aus den Gegebenheiten machen. Denn, wie schon gesagt, werden die Ereignisse erst durch unsere Bewertung zu dem, was sie dann an Wirkung auf uns entfalten.
Ja, Ehrlichkeit kann grausam sein.
Doch nicht immer steht die Reaktion des Betrogenen im Verhältnis zur Schwere der Grenzüberschreitung. Manche reagieren auf einen One-Night-Stand, als handele es sich um eine 10 Jahre währende Affäre. Andere reagieren auf eine mehrjährige Affäre mit sehr viel Fassung.
Es ist immer eine kompliziert Frage, ob man es sagen soll oder nicht.
Sein Gewissen zu erleichtern, ist keine gute Motivation.
Sie bürdet dem Partner möglicherweise etwas auf, das nur marginal etwas mit ihr/ihm zu tun hat.
Es ist also genau zu prüfen, was Verantwortungsübernahme für das eigene Handeln bedeutet.
In einer Beziehung muss man nicht immer alles teilen . Für manche Dinge muss man ganz allein in die Hölle.
Ist die Aktion jedoch mit einem Beziehungsthema verknüpft, kann das Problem nur gemeinsam gelöst werden. Auch die Verschiebung auf einen anderen Partner wird hier in der Regel nur einen zeitlichen Aufschub bedeuten.
In jedem Fall sollte klar werden, dass man sich jetzt und folgend um seine Beziehung kümmern muss, um sie lebendig und glücklich zu gestalten.
Ohne Sähen keine Ernte, ohne Investment, kein Gewinn!
Erfolg ist dabei nicht vorhersehbar und schon gar nicht garantiert.
Vielleicht kann man eines Tage, während man ruhig zusammensitzt, fragen:
„Gibt es Dinge, die du mir nie erzählt hast?“
„Wollen wir diese wirklich wissen, oder belassen wir es dabei, dass wir es gut miteinander haben?“
In der honey-moon-phase kann man sich kaum vorstellen, dass diese Themen einmal wichtig werden. Aber das Leben ist lang, die Interessen entwickeln sich und die Einzelnen legen innerhalb einer Beziehung ein unterschiedliches Tempo vor. Das kann zu Ungeduld und Hoffnungslosigkeit führen.
Daher sind regelmäßige Themenabende ohne Störung sehr hilfreich – ohne oder mit therapeutischer Unterstützung.
So lernen Paare über Herpes zu sprechen, über SaferSex, über Wünsche und Befürchtungen, über Kinder und Erziehungs- oder Lebensvorstellungen.
Wenn sie lernen in guter, respektvoller, ruhiger und verständnisvoller Weise miteinander zu sprechen und einander zuzuhören, sind sie gut vorbereitet, Krisensituationen gemeinsam aufzufangen.
Die werden kommen … und gehen.
Jede bewältigte Gefahr bringt Selbstvertrauen und Vertrauen in das „Wir“.
Zudem lässt sich dann auch mit Freunden darüber reden:
„Wenn ich deinen Partner mit einem anderen sehen würde, würdest du wollen, dass ich es dir sage?
Welche Art von Freund oder Freundin soll ich sein?“
Denn Untreue ist systemisch, sie ist gesellschaftlich, sie dreht sich nicht nur um zwei Menschen.
Das ist eine soziale Frage,
Quelle und vor allem Anregung: Interview von Johanna Dürrholz und Felix Hooß mit Esther Perel, gleichnamigre Titel in Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 26. 7. 2020
sowie eigene Eindrücke aus Paartherapien