Vorbeugung und Reduktion der psychischen Belastung in der Allgemeinbevölkerung im Rahmen der COVID-19-Pandemie kommt aktuell eine wichtige Bedeutung zu.
Vor diesem Hintergrund ist es das Ziel dieses Artikels, aktuelle internationale Empfehlungen zum Umgang mit psychosozialen Belastungen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie zusammenzufassen und damit praktizierenden Ärzten und anderen Gesundheitsfachkräften , wie auch der Allgemeinheit Handlungsoptionen auf diesem Gebiet zu vermitteln.
Die Erkenntnisse stützen sich dabei hauptsächlich auf die aktuellen Publikationen zur augenblicklichen COVID-19-Pandemie durch die WHO, das Inter-Agency-Standing Committee (IASC) der Vereinten Nationen sowie des Internationalen Roten Kreuzes.
Seit in Deutschland trat der erste offiziell registrierte
Fall im Januar 2020 registriert wurde, steigen die Berichterstattung über die
Pandemie sowie der zunehmenden staatlichen Maßnahmen, die zu einer Eingrenzung
oder Verlangsamung der Ausbreitung des Virus führen sollen. All das hat in der
Bevölkerung zunehmend Ängste und Sorgen bezüglich der der gesundheitlichen,
gesellschaftlichen und psychosozialen Auswirkungen verbreitet.
Die öffentliche und mediale Diskussion machen deutlich, dass neben den oben
genannten Problemfeldern auch die nachfolgenden psychosoziale Belastung der
Bevölkerung eine eigene gesundheitliche Dimension besitzt. So konnte bereits in
der Vergangenheit gezeigt werden, dass Epidemien (und mehr noch Pandemien)
dazu führen, dass die gesamte Bevölkerung ein überzufällig ein erhöhtes Niveau
an Stress erlebt.
Zudem zeigte sich, beispielsweise im Rahmen der letzten Ebola-Epidemie, dass
Verhalten, das im Zusammenhang mit Ängsten und psychischer Belastung
auftritt, auch zur Erschwerung der Durchführung von Maßnahmen zur Behandlung
der Erkrankungen sowie einer stärkeren Verbreitung der Erkrankung
beitragen können.
Grundsätzlich ist, in Analogie zu ähnlichen Ereignissen in
der Vergangenheit, davon auszugehen, dass eine psychische Belastung
infolge der COVID-19-Pandemie in großen Teilen der Bevölkerung auftritt.
Dennoch sind viele dieser Reaktionen vor
dem Hintergrund der realen Gefahren zunächst als nichtpathologische Reaktion
auf ein außergewöhnliches Ereignis einzuordnen.
Laut internationalen Roten Kreuzes können folgende Reaktionen während einer Pandemie als nahezu normalpsychologisch angesehen werden:
- Ängste, krank zu werden und zu versterben;
- Ängste auch vor Symptomen und Erkrankungen, die relativ einfach behandelt werden können;
- Angst, durch das Aufsuchen von Einrichtungen der Gesundheitsfürsorge erkranken und versterben zu können;
- Sorgen, nicht mehr in der Lage zu sein, den eigenen Lebensunterhalt zu bestreiten, während einer Isolation nicht arbeiten zu können oder gekündigt zu werden, weil der Arbeitgeber beispielsweise Angst vor Kontamination hat;
- Gefühle von Hilflosigkeit und Depression infolge von Isolation;
- Misstrauen und Ärger gegenüber allen, die mit der Krankheit in Verbindung gebracht werden;
- Stigmatisierung und Angst vor Patientinnen und Patienten, Gesundheitsfachkräften und Menschen, die Erkrankte pflegen;
- das Ablehnen von Ansprache durch Gesundheitsfachkräfte oder Freiwillige bis hin zu verbaler oder körperlicher Bedrohung von Helferinnen und Helfern.
Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass es zu einer Zunahme
von psychischen Erkrankungen wie Angststörungen und Depressionen kommen
kann. Aber noch einmal betont: eine akute
erhöhte psychische Belastung ist in dieser Situation zunächst eine normale Reaktion auf eine abnormale
Situation.
Für die Entstehung psychischer Belastungen spielen neben
Reaktionen, die auf reale Gefahren zurückgehen, insbesondere mangelnde oder falsche Information, oder
Gerüchte eine wesentliche Rolle.
Die Einordnung oben genannten Beunruhigungen als normal spielt eine wichtige
Rolle, da bei der Erforschung des Umgangs mit Infektionskrankheiten ein
Teufelskreis aus Ängsten und ihrer Verdrängung
nachgewiesen werden konnte, wobei Ängste und Verdrängung sich
gegenseitig verstärkten.
Naheliegend ist also, dass die Kommunikation der Professionellen des
Gesundheitswesens einen wichtigen Beitrag dazu leisten kann, (un)mittelbare
Ängste und Stress innerhalb der Allgemeinbevölkerung zu verringern, und so eine
wichtige Rolle in der Vorbeugung und Bewältigung psychischer Belastungen spielt.
Im Berufsalltag bleibt Ärztinnen und Ärzten und Gesundheitsfachkräften aufgrund
der schnellen zeitlichen Entwicklung der Pandemie nur wenig Zeit, sich auf wechselseitige
Besonderheiten in der Behandlung der Bevölkerung vorzubereiten.
Informationen für die Allgemeinbevölkerung
Hier werden Botschaften vermittelt, um Stress bezüglich der COVID-19-Pandemie zu reduzieren. Dabei spielt unter anderem die Normalisierung von starken Emotionen eine große Rolle.
- Es ist normal, sich traurig, ängstlich, gestresst, unsicher oder wütend zu fühlen.
- Soziale Unterstützung hilft:
Sprechen Sie mit Menschen, denen Sie vertrauen. Kontaktieren Sie Ihre Freunde und Familie. - Wenn Sie zu Hause bleiben, erhalten
Sie einen gesunden Lebensstil aufrecht.
Dazu zählen zum Beispiel körperliche Aktivität, eine gesunde Ernährung und
soziale Kontakte (gegebenenfalls über Telefon/elektronische Medien). - Vermeiden Sie den Konsum von Tabak, Alkohol oder anderen Drogen als Strategie zur Emotionsregulation.
- Falls notwendig, suchen Sie sich Unterstützung bei Gesundheitsfachkräften oder anderen Personen in Ihrem sozialen Umfeld, denen Sie vertrauen.
- Machen Sie sich einen Plan, wo Sie professionelle Hilfe bezüglich körperlicher, psychischer und psychosozialer Probleme erhalten können, falls dies notwendig werden sollte.
- Sich an Fakten orientieren:
Verschaffen Sie sich einen Überblick über Ihr persönliches Risiko und die Möglichkeiten, sich zu schützen.
Verwenden Sie hierfür nur seriöse Quellen wie beispielsweise die des Robert Koch-Instituts oder des Bundesgesundheitsministeriums. - Beachten Sie auch positive Nachrichten bezüglich der aktuellen Krise, beispielsweise die Zahlen der bereits geheilten Personen oder Berichte über milde Verläufe.
- Seriöse Informationsquellen sind beispielsweise das Robert Koch-Institut oder das Bundesgesundheitsministerium.
- Auch
der eingeschränkte Konsums von potenziell beunruhigender
Medienberichterstattung. Dabei sollten die Menschen
ermuntert werden auch positive Nachrichten, wie beispielsweise
die Zahl der bereits gesundeten Menschen, bewusst zu berücksichtigen und
sich nicht einseitig auf negative Ereignisse zu fokussieren.
Zudem wird das Aufstellen eines Krisenplans, wo, falls notwendig, medizinische und psychosoziale Hilfe zu bekommen ist, empfohlen.
Neben diesen eher inhaltlich orientierten Botschaften scheint zudem das Vermitteln von Interesse und Empathie/Mitgefühl eine zentrale Rolle zu spielen.
Empfehlungen für Menschen in Isolation
Da mit einer Isolation zahlreiche Belastungsfaktoren für
die psychische Gesundheit einhergehen, scheint es von besonderer
Bedeutung, mit Freunden und Familie kommunizieren zu können.
Zudem empfehlen IASC, WHO sowie das Internationale Rote Kreuz „Maßnahmen zum
Erhalt des Wohlbefindens in Isolation“:
- Körperliche Aktivität (Yoga, Pilates, Krafttraining)
- Kognitiv aktiv bleiben (Spiele, Sudoku, Kreuzworträtzels)
- Gesunde Ernährung
- Entspannungsübung (Atemübungen, Progressive Muskelrelaxation nach Jacobsen)
- Lesen von Büchern und Magazinen
- Reduktion der Beschäftigung mit bedrohlichen Medieninhalten
- Reduktion der Beschäftigung mit Gerüchten
- Informationsbeschaffung nur in zuverlässigen Quellen
- Informationsbeschaffung eher ein bis zwei Mal pro Tag als stündlich
- Routinen so weit wie möglich aufrechterhalten
- Gefühl von Kontrolle herstellen durch Setzen von konkreten Zielen (beispielsweise Tagebuchschreiben oder etwas Neues lernen)
- Humor behalten:
Humor wirkt gegen Hoffnungslosigkeit, Lachen und Lächeln kann Angst und Stress reduzieren - Akzeptanz extremer Emotionen
- Als Beschäftigung wird zudem auch das Lesen von Büchern oder Magazinen, bei denen kein Bezug zu den aktuellen Ereignissen besteht, empfohlen.
- In der Kommunikation sollte das Gespräch dominieren. da nonverbale Kommunikation, durch die sonst oft Empathie und emotionale Wärme vermittelt werden, unter Umständen durch die Einschränkung von körperlichem Kontakt, Schutzkleidung und Gesichtsmasken eingeschränkt ist.
Empfehlungen zum Umgang mit Kindern
Eine Krise wie die COVID-19-Pandemie kann vielfältige
Auswirkungen auf Kinder haben, da diese in der Regel noch über unzureichende
Ressourcen oder Bewältigungsmöglichkeiten in Bezug auf die damit einhergehende
psychosoziale Belastung verfügen.
Typischerweise beobachtete Reaktionen auf Stress können dabei
anklammerndes Verhalten bei den Bezugspersonen, Ängste, Stimmungsschwankungen,
Rückzugsverhalten, Albträume, Bettnässen, aber auch Wut und Ärger sein.
Hier Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation und des ISAC zum Umgang
mit Kindern während der COVID-19-Pandemie:
Hinweise zum Umgang mit Kindern
- Ausreichend Aufmerksamkeit, Zuhören, Unterstützung vermitteln
- Sichere und unterstützende Umgebung schaffen
- Emotionsausdruck ermöglichen und empathisch begleiten
- Eigenen Emotionsausdruck beachten und möglichst ruhig bleiben (Modellfunktion)
- Möglichkeiten für Spiel und Entspannung schaffen
- Längere Trennungen von Bezugspersonen vermeiden
- Wenn Trennung nicht vermeidbar, regelmäßiger Kontakt (zum Beispiel per Telefon)
- Routinen aufrechterhalten oder neue schaffen (regelmäßige Essens- und Schlafzeiten)
Dabei sollte allen Bezugspersonen klar sein, dass Kinder in
Krisensituationen besonders viel Zeit und Aufmerksamkeit benötigen.
Die Kinder sollten, unter Berücksichtigung ihres Alters, über die relevanten
Fakten der aktuellen Situation aufgeklärt werden. Dies beinhaltet die aktuelle
Situation, mögliche Maßnahmen zur Reduktion des Ansteckungsrisikos (zum
Beispiel Händewaschen) aber auch potenzielle Entwicklungen in der Zukunft. Um
Kinder nicht weiter zu verängstigen sollte es vermieden werden, vor ihnen
über unklare Fakten oder Gerüchte zu spekulieren.
Kindern sollten zudem mit Unterstützung ihrer Bezugspersonen, ihren Emotionen
und Ängsten Ausdruck verleihen können. Dabei sollten die Bezugspersonen
auch ihren eigenen emotionalen Ausdruck im Blick behalten und möglichst ruhig
bleiben.
Routinen vermitteln das Gefühl von Sicherheit und eine Möglichkeit, sich nicht
vollkommen ausgeliefert zu fühlen. Falls dies nicht möglich ist, sollten unter
veränderten Umständen neue Routinen geschaffen werden.
Kinder brauchen zudem ausreichend Raum für Spiel und Entspannung.
Empfehlungen zum Umgang mit älteren Menschen
Bei älteren Menschen, insbesondere wenn kognitive Defizite oder eine Demenz vorliegen und Isolationsmaßnahmen angeordnet werden, können heftige Emotionen von Angst, Ärger, Stress oder auch starke Agitation oder Rückzug auftreten. In dieser Zielgruppe ist praktische, aber auch emotionale Unterstützung durch vertraute Bezugspersonen besonders wichtig.
Hinweise zum Umgang mit älteren Menschen
- Informationen und Kommunikation einfach und klar, so oft wie notwendig wichtige Fakten wiederholen (und dabei sollte kein Ärger gezeigt werden, falls etwas vergessen wurde oder der Stress dieser Situation Aggressionen als eine Bewältigungsstrategie hervorruft).
- Unterstützung bei der Benutzung von
Telekommunikationsmedien zur Aufrechterhaltung sozialer Kontakte
Manche Menschen können mit der internetbasierten Unterstützungen vertraut gemacht werden (Lebensmittellieferung über Internet, Taxi bestellen per App). - Einfache verständliche Informationsmaterialien verwenden
- Besondere Aufmerksamkeit bei der
Erläuterung der Funktionsweise von Schutzmaßnahmen.
Ältere Menschen könnten mit der Verwendung von Materialen zum Infektionsschutz weniger vertraut sein, sodass ihnen die Funktionsweise und Handhabung besonders ausführlich erklärt werden sollte. - Unterstützung bei der Nutzung von Internetservices (zum Beispiel zur Lebensmittellieferung)
- Vermittlung einfacher körperlicher Übungen, die zu Hause durchgeführt werden können
- Ermutigung zum Einbringen von Erfahrung und Expertise, zum Beispiel im Rahmen ehrenamtlicher Arbeit
- Um die gesundheitlichen Effekte körperlicher Aktivität nutzen zu könnten, sollten ältere Menschen mit einfachen körperlichen Übungen, die zu Hause ausgeführt werden können, vertraut gemacht werden (IASC).
- Ältere Menschen könnten zudem ermutigt werden, ihre Erfahrung und Expertise in Form von geeigneten Freiwilligendiensten zur Verfügung zu stellen (WHO).
Quelle: Dtsch Arztebl 2020; 117(13): A-648-654, Petzold, M.B., Ströhle, A., Plag, J.