Selbstoptimierung – ein problematischer Trend

Waren in den 1980er Jahren innere Themen, Selbsterfahrung und Wachstum durch Selbsterkenntnis hochaktuell, so hat sich der Trend mittlerweile zur Optimierung des äußeren Erscheinungsbildes gewandelt.
Der bedenkliche Trend, der oft mit chirurgischen Eingriffen verbunden ist, gewinnt geschlechtsunabhängig immer breitere Akzeptanz, wird gar
– insbesondere in der jüngeren Generation – zu „Normalität“ und damit auch bagatellisiert.
Die Hashtags #beauty, #fitness oder #skincare gehören aktuell zu den beliebtesten Schlagworten auf den Plattformen der sogenannten sozialen Medizin. Unzählige Bilder lassen sich zu diesen Begriffen finden; oft mit Bildern, die das Aussehen einer Patientin oder eines Patienten vor und nach einem Eingriff zeigen. Die großen Verheißungen sind: Das „ideale Aussehen“ ohne körperliches und geistiges Training, Ernährungsumstellung oder strengen Lebensstil, das gewünschte Aussehen durch einen einfachen Eingriff, „schnell und mühelos“.

Diese Wunschmedizin, die weder medizinisch noch rechtlich oder ethisch und z.T. juristisch unbedenklich ist, muss von medizinisch notwendigen Eingriffen klar abgegrenzt werden. Dies insbesondere, da sich die sogenannte Schönheitschirurgie außerhalb des gesetzlich geregelten Weiterbildungs-rechts der Ärzteschaft entwickelt und die Handhabung von Hyaluronsäure und Botulinumtoxin z.B. häufig lediglich in Wochenendseminaren erlernt wird. Misslungene Interventionen mit geschädigten Menschen sind die Folge.

Der Präsident der Vereinigung der Deutschen Ästhetisch-Plastischen Chirurgen (VDÄPC), der Facharzt Dr. med. Steffen Handstein spricht sogar von einem regelrechten Boom an ästhetischen Eingriffen im Gesicht. Bei den von der VDÄPC erfassten Gesichtsbehandlungen gab es einen Zuwachs von 12.9 % im Vergleich zum Vorjahr. Insgesamt stellten die Eingriffe im Gesicht mit 72,6 % den Großteil aller ästhetischen Operationen dar.
Es ist unbedingt notwendig, die Motivation der Betroffenen genau zu hinterfragen und zu klären ob fälschliche Annahmen und unrichtige Informationen (z.B. aus sozialen Medien) hinter dem Bedürfnis stehen.
Als Patient bzw. in diesem Falle Kunde ist es wichtig, sich genau über die Qualifikation der/des möglichen Behandlerin/Behandlers zu erkundigen; auf ein ausführliches Aufklärungsgespräch – auch über Risiken, Nebenwirkungen, Wechselwirkungen und mögliche Folgen – einzufordern. Eigentlich eine selbstverständliche ärztliche Sorgfaltspflicht, aber bei gewerblichen Anbietern nicht immer im Vordergrund des Interesse stehend. Da erwecken die Anbieter den Eindruck, das alles machbar sei, Komplikationen würden ausgeblendet. Die Ergebnisse solcher „Heilversuche“ sehen Fachärztinnen und -ärzte dann im Nachgang. Meist seien Korrekturen noch möglich, aber nur mit erhöhtem Aufwand und auch nicht in jedem Fall.

Die medizinisch notwendige plastische, rekonstruktive und ästhetische Chirurgie befasst sich mit der Wiederherstellung und Verbesserung von Körperfunktionen; z.B. nach Tierbissen, Verbrennungen, Verletzungen oder notwendigen chirurgischen Eingriffen.
Die Schönheitschirurgie als Wunschmedizin hingeben zielt auf Veränderungen von Körperformen – ohne medizinischen Notwendigkeit oder kurativen Ansatz.

Eigentlich verpflichtet die ärztliche Berufsordnung Ärztinnen und Ärzte in allen Situationen zur gewissenhaften Berufsausübung. So ist es verboten, Methoden unter missbräuchlicher Ausnutzung des Vertrauens, der Unwissenheit, der Leichtgläubigkeit oder Hilflosigkeit von Patientinnen und Patienten anzuwenden.

Soziologisch wird der Trend, der auch Neuroenhancing (Hirndoping) umfasst, mit einem Ineinandergreifen von ökonomischen, kulturellen und technischen Entwicklungen erklärt. Das Thema Leistungsdruck erklärt dabei nur einen Teil des Selbstoptimierungsphänomens, ist aber ein wichtiger Erklärungsfaktor, neben dem größeren Wissen über körperliche Prozesse und die größere Verbreitung von Technik, insbesondere der digitalen Infrastruktur.

Foto: mauritius images/Science Photo Library Fanatic Studio
Quellen: Dr. med. Eva Richter-Kuhlmann,Dt. Ärzteblatt, Jg. 120, Heft 10, 10.3.2023 und
Prof. Dr. jur. Bernd halbe, Vorher-nachher-Bilder, Ärztliches Werberecht, Dt. Ärzteblatt, Jg. 120, Heft 16, 21. April 2023

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