„Realitätenkellner“ – Einladungen, die Welt zu sehen

Dieser Text von mir enthält verschiedenste assoziative Gedankensplitter;
wie am Inhaltsverzeichnis zu sehen.
Inspiriert wurde das Nachdenken und Schreiben von der Realitätenkellner-Metapher, die Gunther Schmidt für die Angebote professioneller Berater geprägt hat – die jedoch für alle Unterhaltungen gelten.
Gunther Schmidt ist u.a. Begründer des hypnosystemischen Ansatzes therapeutischen Arbeitens auf Augenhöhe. Im Text werden allerdings vielerlei andere Ansätze und Vorstellungen erwähnt, kurz dargestellt und mit Hinweisen verlinkt. Alle sind eben Interpretationsangebote, Modelle, die in verschiedenen Situationen zur Orientierung in einer vielleicht schwierigen Situation hilfreich sein könnten.
Der Text serviert sozusagen ein üppiges Menü von Allerlei,
wie eine gegebene Realität in uns zu der im Alltag wirksamem Wirklichkeit wird.

Themen des Textes / Inhaltsverzeichnis

  • Vorwort
  • Kommunikation
  • professionelle Beratung
  • Rot ist nicht rot, ist nicht rot
  • Ohne Augen keine Farben
  • Wirklichkeitskonstruktionen
  • Zur Entwicklung unserer Verarbeitungsorgane für Informationen
  • kindliche Entwicklung
  • Störungen
  • Grundlagen
  • Resilienz
  • Stress
  • Lernen
  • Realität – Wirklichkeit / Wahrnehmung bzw. Wahrgebung
  • Resonanz
  • Anpassungen und Risiken
  • Das „Ich“, die „Ich´s“ – Relativität und Konfliktsituationen
  • Autonomie und gleichzeitige Abhängigkeit
  • Wille zur Veränderung
  • Krisen
  • Deutungen
  • Sender – Empfänger
  • Missverständnisse
  • Freiheiten
  • Erfolg
  • Beweggründe
  • Hier und Jetzt bzw. diverse Gegenwarten, Vergangenheiten, Zukünfte
  • Entwicklungsebenen – später verborgenes Streitpotential
  • Alltags-Trance
  • Machen Sie doch, was Sie wollen
  • Entscheidungen
  • Widerstände gegen Veränderungen
  • Neue Wege und Potentiallandschaften
  • Visualisieren
  • Auswirkungen
  • Vom Nutzen der Symptome

Vorwort

Foto: Wikipedia

„Der Mensch ist ein biologisches Wesen. Damit entstehen auch alle psychischen Phänomene innerhalb einer biologischen Struktur, nämlich der des Gehirns.
Wer daraus jedoch folgert, psychische Beeinträchtigungen ließen sich etwa mit einem Mehr oder Weniger an Botenstoffen im Gehirn erklären, irrt.
Denn viel zu komplex und wechselwirkend ist die Funktionsweise der neuronalen Struktur, um sie mit einem schlichten »Wenn A, dann B« zu erklären.
Hochkomplexe psychische Leistungen (wie auch Beeinträchtigungen) resultieren zudem aus einer von Sinnfragen überlagerten inneren Auseinandersetzung des Menschen mit sich selbst.
So werden sowohl reine Biologisten als auch jene Fachleute, die einen von neuronalen Abläufen unabhängigen menschlichen »Geist« propagieren, dem komplizierten Zusammenspiel von Hirnphysiologie einerseits sowie der kulturellen, also psychosozial gewordenen Überformung durch Sinngebung andererseits nicht gerecht.“  
(Quelle: Das Gehirn selbst nimmt sich nicht wahr; Hirnforschung und Psychotherapie,
Andreas Heinz und Gerhard Roth im Gespräch mit Uwe Britten, 2017)

Kommunikation

Wie in obigem Zitat, bieten Gesprächspartner in jeder Unterhaltung einander eigene Sichtweisen darüber an, wie man bestimmte Beziehungen und Sachverhalte einschätzt.

Dabei kann die dargestellte Ansicht aus vielerlei Gründen keine eindeutigealleingültige Wahrheit“ sein, noch zeigt sie, wie oder was »es« wirklich ist.
Denn eine Aussage ist immer schon eine selbst organisierte, autonome Leistung des Organismus, der fokussierend Reize auswählte und sie – sinnvoll erscheinend – so verarbeitet, wie sie einem dann erscheinen.   

Die Neurobiologie belegt dies mit vielen Beispielen. (siehe z. B. Metzinger 2009; Grawe 2005)
Als ein Beispiel dazu mag dienen, dass die Kommunikation des Menschen in großen Teilen mit Bildern (Sehen) und mit Sprache (Hören) geleistet wird.
Die Sprache ist in letzter Konsequenz ein „Geräuschband“, das parallel zum „Filmband“ läuft.
Dabei koordiniert die bildlichen Wahrnehmungen die sprachlichen Äußerungen.
Die Sprache ist im Gegenzug das unverzichtbare Bindeglied zwischen Momentanem und Vergangenem und das Instrument für die Fortschreibung in die Zukunft.
Die Sprache (Begriffsfolge) ordnet die Bilder (Bildfolge) zeitlich, die Bilder ordnen die Sprache sachlich.
Bilder eröffnen so den originären Zugang zur Welt; während Sprache, die wie die Zeit, ein Kunstprodukt des Menschen ist, die zeitliche Bestimmung ermöglichen.
Die Speicherleistung der linken Gehirnhälfte für Hörimpulse (Sprache) ist wesentliche größer, als die der rechten. Bei Sehimpulsen (Bilder) verhält es sich umgekehrt.
Diese Asymmetrie steigert den Bildwechsel, diese wiederum den Begriffswechsel, so dass Ursache und Wirkung verschwimmen. Denn Ursachen erzeugen Wirkungen, aber auch Wirkungen wirken auf die Ursachen zurück, so dass wir ein System haben, das mehr ist, als die Summe seiner Bestandteile.

Das Gehirn interpretiert nicht, sondern die beiden Großhirnhälften kommunizieren ausschließlich miteinander.
Wie in unserem Zusammenleben werden auch dort unterschiedliche Auffassungen über Eindrücke ausgetauscht.
Ziel dieser Handlung ist die Annäherung der Standpunkte, im günstigsten Fall ihre bereinstimmung. 
(Wittner, 1998)

professionelle Beratung

Foto: Lindemann

Auch in der professionellen Beratung – ob Arzt, Coach, Lehrer, Supervisor oder Therapeut – bietet man, zwar wissenschaftlich begründet, aber dennoch wie ein Kellner verschiedene Menüs / Sichtweisen der Realität zum Probieren an.
Ziel der angebotenen und gemeinsam entwickelten Einstellungen, Perspektiven, Deutungen oder Experimente ist es, dem Beratenen eine zu seiner Aufgabenstellung passendere Auswahl an Sicht-, Erlebens-, Fühl- und Handlungsweisen zu erschließen.

Begründete (und dennoch von jedem eigenständig zu bedenkende) Basisannahmen der hier vorgestellten Sichtweisen sind:

  • Alles Erleben wird ständig in jedem, jeweils neu, erzeugt.
  • Jede Realität wird also ganz subjektiv konstruiert und so zu der persönlich wirksamen Wirklichkeit.
  • Menschen gestalten ihr Leben und Erleben autonom und sind gleichzeitig nicht ganz unabhängig davon, was in unserer Mitwelt ist.

Rot ist nicht rot, ist nicht rot

Die Farbe Rot z.B. wird in unterschiedlichen Kontexten mit unterschiedlichen Siganlwirkungen assoziiert und entsprechend mit unterschiedlichen Bedeutungsgebungen und Gefühlen versehen.

Nehmen Sie sich einen Moment Zeit und erleben sie selbst, welche Bilder, Assoziationen und Begriffe sich bei folgenden Einladungen in Ihnen einstellen:

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Immer wieder wird noch angenommen, man könne Probleme der Gegenwart durch die Erforschung der Ursachen in der Vergangenheit lösen.
Doch schon seit ca. 300 Jahren wird diese Einschätzung von Philosophen und Physikern nicht mehr geteilt;
z.B. sagten Vico: wissenschaftliche Arbeit beruht darin, Dinge in eine Ordnung zu setzen; Ordnungen zu schaffen.
Kant: Aller Irrtum besteht darin, dass wir unsere Art, Begriffe zu bestimmen (…), für Bedingungen der Sachen an sich halten.
Schrödinger: Jedermanns Weltbild ist und bleibt eine geistige Konstruktion und hat darüber hinaus keine nachweisbare Existenz.
Born: Ich glaube, dass Ideen die absolute Richtigkeit, absolute Genauigkeit, endgültige Wahrheit, Hirngespinste sind, die in keiner Wissenschaft zugelassen werden sollten.
Heisenberg: Es ist ein Irrtum, anzunehmen, dass sich eine Theorie auf Beobachtungen aufbaut. Das Gegenteil ist der Fall: die Theorie bestimmt, was wir beobachten können.
Piaget hat darauf hingewiesen, dass die Wirklichkeit des Kindes sich zusätzlich zu exploratorischer Aktivität auch auf Kommunikation aufbaut. Wenn das Kind älter wird, wird es beeinflusst durch die Behauptungen, die ihm seitens der menschlichen Umwelt zukommen, also z.B. „Wir sagen dir, wer du bist und wie du die Welt zu sehen hast“. So entsteht im Kind eine feste Annahme, dass die Welt ebenso sei, wie man sagt. Alles, was dann unserer Sicht der Wirklichkeit nicht entspricht, ist eben eine Art Verrücktheit.
von Glaserfeld ging hier noch weiter; er schrieb „Wissen wird von lebenden Organismen aufgebaut, um den an und für sich formlosen Fluss des Erlebens so weit wie möglich in wiederholbare Erlebnisse zu relativ verlässliche Beziehungen zwischen diesen zu ordnen.
Die Möglichkeiten, so eine Ordnung zu konstruieren, werden stets durch die vorhergehenden Schritte in der Konstruktion bestimmt. D.h., dass die wirkliche Welt sich ausschließlich dort offenbart, wo unsere Konstruktionen scheitern. Da wir aber das Scheitern immer nur in eben jenen Begriffen beschreiben und erklären können, die wir zum Bau der gescheiterten Strukturen verwendet haben, kann es uns niemals ein Bild der Welt vermitteln.

Ohne Augen, keine Farben

Die Fledermaus z.B. „sieht“ mit den Ohren,
die Augen sind nur rudimentär angelegt. Foto: Plante Wissen

Wir sehen Farben, nur weil wir genau die Augen haben, die wir haben.
Dass diese Farben wirklich existieren, können wir nicht beweisen.
Aber weil wir so gebaut sind, dass wir Lichtwellen auf eine bestimmte Weise erfassen, gibt es in unserer Welt Farben.
Dennoch kann ein kleines Kind ein rotes Licht zwar wahrnehmen, es weiß aber deswegen noch nicht, dass wir diese Farbe „rot“ nennen und dass das Erscheinen dieser Farbe unter gewissen Umständen etwas bestimmtes bedeutet: z.B. an der Ampel: „Du darfst die Straße jetzt nicht überqueren.“

Das sind menschliche Zuschreibungen von Bedeutungen;
im konstruktivistischen Sinne Wirklichkeiten zweiter Ordnung:
also Resultate von systemischen Interaktionen und nicht von endgültigen Erkenntnissen, die die Welt betreffen.

Über derlei Verwechslungen erleben wir immer wieder Menschen, die bei der Lösung von Aufgaben-stellungen etwas tun, um mit einem Problem fertig zu werden, was dann aber oft genau dazu führt, dass sie das Problem nicht nur erst erzeugen, sondern es auch weiter erhalten.

Gregory Bateson fragte, in welches Beziehungssystem passt diese spezifische Deutung, dieses Verhalten?
z.B. berichtete eine Sekretärin in seiner Sprechstunde das Problem, dass zwei von drei Ärzten, für die sie arbeitet, mit ihren Leistungen sehr zufrieden sind, der dritte jedoch äußerst unhöflich und aggressiv ihr gegenüber sei und sie sogar vor Dritten herabsetze.
Auf Grund der Darstellung ist anzunehmen, dass dieser Mann sich ihr gegenüber irgendwie unterlegen fühlt und daher versucht, sie herunterzumachen.
Und sie reagiert so, dass sie noch imponierender auftritt und damit seine Bemühungen verstärkt.
(= Sich selbst verstärkende, gegenseitige positive Bestätigung, in der beide über die Dynamik des Geschehens sozusagen versklavt werden, so dass am Ende nur eine zerstörerische oder resignative Eskalation als Lösung bleibt.)
Um sie dazu zu bringen, das Problem dadurch zu lösen, dass sie Ihre Haltung ändert, fragte sich Bateson,
was seine Patientin als schwer annehmbar erwarte?
Dabei nutzt er eine Interventionstechnik von Watzlawick, die vor allem in der Hypnose Anwendung findet.
Er sagt zu ihr: „Da gibt es schon eine mögliche Lösung, aber die ist für Sie zweifellos unannehmbar,
so reden wir bitte nicht darüber, verschwenden wir die Zeit also nicht damit, darüber zu reden.“
Sie reagiert: „Nein, nein, nein, was ist das bitte, das möchte ich wissen, was kann ich tun? Die Situation ist wirklich unerträglich.“
„Nun gut, wann glauben Sie, wird solch eine Abwertung das nächste Mal passieren?“
Sie: „Morgen, das passiert jeden Tag.“
Therapeut: „Gut, also morgen – würde ich Sie bitte, zu warten, bis jede weitere Person aus dem Zimmer ist, so dass Sie sich dann an den Chef wenden und ihm in offensichtlich beschämte Weise sagen: `Dr. Soundso, wenn Sie mich behandeln, wie Sie mich eben in Gegenwart der Person behandelt haben, das wollte ich  ihnen schon längst sagen, das erregt mich, das muss etwas mit meinem Vater zu tun haben´ und dann laufen Sie fluchtartig aus dem Zimmer.“
Sie ist entsetzt: „Was? Ihm auch noch diese Genugtuung geben?“
Aber langsam kommt sie dahinter, dass es vielleicht doch anwendbar sei.
Eine Woche später kommt sie zur nächsten Sitzung und sagt, es habe sich leider keine Möglichkeit ergeben, diese Sache anzuwenden, denn vom Morgen nach der letzten Sitzung habe sich das Verhalten des dritten Arztes geändert und er ist bedeutend höflicher geworden.
Es ist anzunehmen, dass ihr Bewusstsein, sie habe nun eine neue Art und Weise, um mit diesem Kerl klarzukommen, ihre Haltung und damit auch die Struktur des Systems verändert hat.

Darwin stellte fest, dass eine Gattung, die einmal eine optimale Anpassung an die Umweltbedingungen erreicht hat, unweigerlich starr an dieser Auffassung festhält, obwohl sich die Umweltbedingungen natürlich dauernd ändern.
Wenn die Gattung es also nicht fertigbringt, langsam diese Anpassung zu korrigieren und neu an die Umweltbedingungen anzupassen, dann wird sie wahrscheinlich ausgelöscht.

Wirklichkeitskonstruktionen

Zum Begriff der Wirklichkeitskonstruktion siehe z.B. bei Philolex.

In der Beratung, ob Coaching, Medizin, Pädagogik oder Psychotherapie, haben wir es immer wieder mit Menschen und Systemen zu tun, deren Wirklichkeitskonstruktion aus irgendeinem Grunde zusammen-gebrochen oder aus den Fugen geraten ist.
Oft reicht es, neue Annahmen in eine Konfliktsituation einzuführen, um diese vollkommen zu verändern.

Dabei arbeitet man mit unbeweisbaren Annahmen, die jedoch, wenn sie positive Wirkungen haben, „herausfallen“, so wie das eine Kamel in der orientalischen Geschichte von einem Vater, der seinen drei Söhnen seine 17 Kamele hinterlässt:
In seinem Testament gibt er die Anweisung, dass der Älteste die Hälfte der Tiere, der Zweitälteste ein Drittel und der Jüngste ein Neuntel der Kamele erhält.
Nach dem Tod des Vaters zerbrechen sich die drei Söhne lange darüber den Kopf ohne zu einem Ergebnis zu kommen.
Da kommt ein Mullah daher geritten. Sie halten ihn an und erklären ihm die Schwierigkeit. Der Mullah sagt: „Das ist kein Problem, ich bebe mein Kamel zu euren dazu und das macht 18 Tiere. Du, der Älteste, bekommt die Hälfte, also 9. Du, der Zweitälteste, bekommst ein Drittel von 18, das sind 6 Tiere und Du, der Jüngste, bekommst ein neuntel von 18 Kamelen, also 2. 9 + 6 + 2 = 17, da bleibt 1 Tier übrig, nämlich meins. So bestieg er sein Kamel und ritt davon.                                                                                                               (Watzlawick, 1998)

Zur Entwicklung unserer Verarbeitungsorgane für Informationen

Hirnentwicklung während der Schwangerschaft

Neben dem Gehirn ist die Haut ein zentrales Kommunikationsorgan, das schon sehr früh im Leben sensibel wesentliche Informationen über zugewandte oder gefährliche Reizqualitäten aus unserem sozialen Umfeld aufnimmt und über besondere Nervenbahnen an Rückenmark und Gehirn sowie unser vegetatives Nervensystem weiterleitet. Diese können beruhigen, wie erregen, das Immunsystem stimulieren usw.
(Martin Grunwald; ARTE-Dokumentation „Die Macht der sanften Berührung“; siehe auch Psychodermatologie Uwe Gieler)

Wichtigste Aufgabe des Gehirns ist es (vor allem für ganz kleine Menschen), die unzählig vielen, chaotischen Informationen (Farben, Formen, Bewegungen usw.), die im Außen vorliegen, zu unterscheiden und zu sinnvoll erscheinenden Mustern und antwortenden Reaktionsschemata zusammenzufügen, um sich damit in der Welt orientieren und in ihr bestehen können.

Dabei geht es sehr oft um das Erkennen von Mustern, die helfen, Gefahren zu erkennen und abzuwenden; aber auch allgemein um ein besseres Zurechtkommen mit den vorgefundenen Gegebenheiten (seien es Elternhaus, Schule, Partnerschaft, Arbeitsplatz usw.).
So wirken insbesondere negative und schmerzliche, emotional bewegende Erfahrungen intensiv und bleiben erinnert. (z.B. Verletzungen, Kränkungen, Enttäuschungen)
Im Gegensatz dazu: Wenn etwas funktioniert und vertraut gemacht ist, wird es schnell als selbstverständlich erlebt und weniger beachtet. (z.B. tägliches Essen auf dem Tisch, Frieden)

Erst die „Erfindung“ einer bewussten phänomenalen Welt und eines „Ich“, dass die Welt scheinbar direkt wahrnimmt und direkt auf sie einwirkt, ermöglicht ein Überleben in jener komplexen, stark fluktuierenden biologischen und sozialen Welt, in der wir Menschen leben. (Roth 1999)
Das geschieht, ohne dass sich unser Bewusstsein dabei um all die unendlich komplizierten neuronalen Prozesse kümmern muss, die für diese Anpassungen dazwischengeschaltet sind. 
z.B. werden 300-500 msec. von unserem Bewusstsein geleugnet, die Zeit, die eine Sinnesreizung benötigt, um daraus eine bewusste Wahrnehmung zu machen. (Liebet 1978) (Liebet-Experiment)

Für die Entwicklung von so funktionierenden Prozessen macht sich das Leben – neben eigenem ausprobieren – seit Jahrtausenden das vermittelte Wissen der Vorfahren zunutze.
Das wird sowohl genetisch, epigenetisch, also chemisch, wie über Vorleben (soziale Reproduktion) und über erzählte Geschichten (Tradition) weitergegeben.
Dazu kommen selbst gemachten Erfahrungen, aus denen sich allmählich ein Bild von der Welt und uns selbst darin entwickelt – über das Verinnerlichen von Zuschreibungen („du bist geliebt, fehl am Platz, dick, doof, intelligent, feinfühlig“ usw.), durch Wissensvermittlung und durch das Markieren (= Benennen) von Gefühlen und Zuständen (Mentalisierung) (siehe z.B. Fonagy, Gergely, Jurist, Target, 2004)

Parallel zu diesen Lern-, einordnungs- und strukturbildenen Prozessen wachsen Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie die Erfahrungen über funktionierende Lösungsmuster und Konzepte, um in den je gegebenen Umständen zu Recht zu kommen. (Ob diese oft als allgemeingültig angenommenen Musterbildungen angemessene Antworten auf die gegebene Umwelt sind, bleibt offen. So lange sie funktionieren, sind sie überlebenstauglich und bleiben erhalten. Probleme tauchen meist erst in veränderten Umgebungsbedingungen und außerhalb von „Standardstituationen“ auf.)

Da es keine eins-zu-eins Informationsübertragung („Nürnberger Trichter“) gibt,
ist Informationsvermittlung immer störanfällig und veraltet, wenn sich äußere Gegebenheiten ändern (z.B. Lebenssituation, Alter, Bezugspersonen, Klima usw.).

Leicht kann es da zu vielfachen Missverständnissen kommen.

So ist z.B. zu bedenken, dass, selbst wenn man im gleichen Raum bei der gleichen Aktion dabei ist, doch nicht alle das gleiche erleben … schon aus Gründen der unterschiedlichen Perspektiven im Raum, der unterschiedlichen innerer Verfasstheit in dem Augenblick oder weil unterschiedliches als interessant und beachtenswert fokussiert wird: grob oder in fein usw.

Auch gilt bei Sprechen ergeben sich vielerlei Ebenen, an denen man aneinander vorbeireden kann:
„gemeint ist nicht unbedingt gleich ist mit gesagt;
gesagt nicht identisch mit gehört;
gehört bedeutet nicht verstanden;
verstanden nicht unbedingt einverstanden;
einverstanden führt nicht sicher zur Umsetzung
und aus umgesetzt entsteht nicht immer beibehalten und implementiert“.

Auch auf vielen weiteren Ebenen kann es beim Umgang mit Informationen zu Schwierigkeiten und Fehlverstehen kommen.
Ebenso können früher funktionstüchtige Lösungen oder die Lösungswege anderer, als bewusste und unbewusste Vorurteile weitergegeben und im Gehirn als Lösungsangebote bereitstehen.
(Es ist dann so, als ob man die Welt durch eine bestimmte Erwartungsbrille anschaut.)

So nützlich, wie altvertrautes Wissen in vielen Fällen („Standardsituationen“) auch sein kann oder früher war,
so kann es aktuell und in diesem Fall (neue Situation) eben auch zu fatalen Störungen führen, wenn die Antwort nicht mehr zum veränderten Kontext / zur jetzigen Situation passt. 

kindliche Entwicklung

Früh im Leben spielen die gespürten, wie auch die „atmospährischen“ Eindrücke von Stimmungen, ob man willkommen ist, ob die Eltern einander nahe sind, ob sie gerne berühren, wie sie berühren, ob sie entspannt sind und geduldig nach einem passenden Miteinander suchen, usw. ganz grundsätzliche Eindrücke, die weit in die spätere Lebenszeit und die Erwartungen an die Welt insgesamt ein Rolle spielen.
Hier einige zufällig ausgewählte Gedanken im Videos.

Arte-Dokumentation: Die Macht der sanften Berührung, Dorothee Kaden
YouTube-Video: Die Entwicklung des kindlichen Selbst im kulturellen Kontext, Kleine Weltentdecker
YouTube-Video: Musik und kindliche Entwicklung – Manfred Spitzer, TeleAkademie
YouTube-Video: Die 8 Stufen der Entwicklung nach Erik Erikson, Sprouts Schulen
YouTube-Video: Bindungstheorie – Wie Deine Kindheit Dein Leben Beeinflusst, Sprouts Schulen

Je früher im Leben, insbesondere wenn sich die Matrix des Gehirns noch ausbildet, sind die Folgen von Störungen (wie auch Missverständnissen) gravierender / „globaler“:
Denn anfänglich, so nehmen Forscher an, wird die Welt als Einheit wahrgenommen.
Es gibt da noch keine Unterschiede im kindlichen Erleben; z.B. wird noch nicht zwischen der Phantasie, einem Wunsch oder der Realität unterschieden! Etwas anderes kann noch nicht erfasst werden: Alles bin „ich“ bzw. unterscheidet sich kaum wesentlich und „Ich“ bin in Allem. Ich* (*das es zu der Zeit im Bewusstsein noch gar nicht gibt) bin die ganze Welt; oder: „meine*“ Aggression kann alles zerstören; oder: Ängste sind unendlich; usw.

Im Laufe unserer Lernentwicklung differenziert sich das Weltbild immer mehr, bis wir als Erwachsene immer mehr Unterschiede kennen und die, sich aus der Vielheit ergebenden, Spannungen ertragen können.

Der Weg führt aus der Einheit über die Dualität, die dann zwei Möglichkeiten denkbar sein lässt und Wahlmöglichkeiten eröffnet:
Ich-Du, Gut-Böse, gute Mutter-böse Mutter, Ursache-Wirkung und folglich auch Schuld, Täter und Opfer, da oder nicht da, entweder-oder, etc.
Leider können die Verschiedenheiten zum Teil nicht zusammen gesehen werden, der eine Teil ist dann vom Bewusstsein abgespalten = „unsichtbar“, so dass das zum „Ich“ gehörige wechselt – ohne dass der eine Teil von der Existenz des anderen Teils weiß.
Erst mit ca. 3-4 Jahren wird Triangulierung möglich: gedanklich lässt sich nun eine dritte Position, eine „außenstehenden“ Perspektive (Metaebene) einnehmen.
Erst mit ihr lässt sich ein dialektisches These-Antithese-Synthese und ein sowohl-als-auch oder mehr-oder-weniger, denken – bis dahin, dass erkennbar wird, dass es Fiktion gibt oder bis hin zu Paradoxem z.B..
Solche erwachsenen Denkfiguren können dann – selbst gegen die herrschende Meinung -gedacht, ausgehalten und irgendwie im Bewusstsein integriert werden.
Auch Witz und Lügen gehen erst ab dieser Entwicklungsstufe.

Für all diese Entwicklungen werden schon während der Schwangerschaft und während der kindlichen Entwicklung vom Gehirn, je nach Entwicklungsthema im jeweiligen Alter, in den zuständigen Gehirnarealen sehr viele Nervenverbindungen zur Verfügung gestellt. (siehe z.B. Hüther, 2014; Fuchs, 2016)
Gibt es dazu während der Kindheit (und natürlich auch später) die zeitlich und altersentsprechend, im Schwierigkeitsgrad passenden und sich wiederholenden Entwicklungsreize ,von den sich mit dem Kind beschäftigenden, verlässlichen Personen und zudem in einem sicheren Bezugsrahmen, stabilisieren sich die angebotenen, sich dann vernetzenden neuronalen Verbindungen durch ihre Nutzung. (Hebb´sche Lernregel)

So führt die Kommunikation mit der Welt zur Kommunikation der Nervenzellen untereinander und zur Lösung von Anforderungen aller Art (z.B. Laufen, Gleichgewicht halten, Sprechen, usw.).

Da das Gehirn sich in der Interaktion mit anderen entwickelt, erleben Eltern (Lehrer usw.) die Wirkungen ihres eigenen Verhaltens im kindlichen Tun gespiegelt.
Der Ansatz, Kinder zu erziehen, geht also in weiten Teilen fehl, da man auf das Verhalten anderer kaum Einfluss hat (es sei denn durch Gewalt). Denn alle Menschen sind autonome Wesen, wie Maturana und Varela nachweisen konnten. (Maturana und Varela, 1984)
Man kann anderen (insbesondere Kindern) Einladungen, Anreize und eine Umgebung, die Entdeckerfreuden unterstützt, anbieten; aber immer bestimmt der Andere autonom, was interessant und attraktiv ist und was aversiv und wenig einladend wirkt.

Damit verweist (gefallendes wie missfallendes) kindliches Verhalten, als Feedback verstanden, immer auf das eigene Tun der Erwachsenen, das es zu reflektieren und zu entwickeln gilt.
Denn jeder hat nur auf sich selbst, auf das eigene Wachstum, direkten Einfluss.

Beim Lernen geht es immer erst einmal um die Entwicklung von Beziehung – die Vertrauen, Sicherheit und eine aufnahmeoffene „Stille“ vermittelt.
Erst auf dieser Grundlage lässt sich weitergehen; wie bei Treppensteigen lässt sich die nächste Stufe erst erklimmen (Neues hinzulernen), nachdem man Halt auf einer Stufe hat (das Neue an Bekanntes anbinden kann).

Störungen

Fehlen z.B. sichere Beziehungen und/oder passende Möglichkeiten, bilden sich die angebotenen Nervenbeziehungen zurück. (Wie beim „Schweizer Käse“ entstehen Lücken im neuronalen Netzwerkgeflecht, die spätere Lernprozesse deutlich erschweren und Arbeitsaufwendig, wenn auch nicht unmöglich, machen.) (vergl. Gerhard Roth – z.B. in http://www.daer.de/html/symposien/2011/download/
Prof-Roth-Vortrag-Gehirnentwicklung-Normalitaet-u-traumatische-Stoerungen.pdf)

Kinder brauchen reale Personen und echte dreidimensionale Räume mit Grenzen, in und mit denen sie sich auseinandersetzen können, sowie qualitative (zugewandte), nicht quantitative (in der Nähe seihend, aber mit anderem beschäftigte) Zeit, die man mit ihnen verbringt.
Auf Bilder von Figuren und Landschaften im zweidimensionalen Raumangebot eines Fernsehers, Tablets oder Smartphones reagieren Spiegelneurone z.B. überhaupt nicht.
Die schädlichen Auswirkungen davon sind allerdings nicht gleich zu merken, kurzfristig imponieren die  neu zu sehenden Fähigkeiten.
So scheint es „modernen“ Eltern, selbst einigen Pädagogen, eine brauchbare Lösung, das Kind vor die elektronische Nanny zu setzen, um sich in der getriebenen, oft selbst überforderten eigenen Alltagsbewältigung Luft zu verschaffen. Tatsächlich eignen sich die Medien zum Lernen; allerdings nur wenn bereits Strukturen und Grundwissen vorliegen.
Die heute vornehmlich naturfern, in Innenräumen einsam stattfindende Kindheit hat ähnliche Wirkungen auf das Erleben, wie andere Vernachlässigung auch, wenn z.B. Elternteile real fehlen, arbeiten, krank sind oder keinen emotionalen Bezug zum Kind herstellen können.

Die abnehmende kulturelle Aufmerksamkeit gegenüber der Natur und der Verlust an körperlichem Kontakt mit der Natur bedeutet auch einen Verlust von Gelegenheiten, Neugierde zu wecken, sie schätzen zu lernen und ihr Ehrfurcht entgegen zu bringen, ebenso eine Entfremdung von sich selbst.
„Kulturelle Produktionen spiegeln nicht nur die vorherrschende Kultur wieder, sondern gestalten sie auch. Büchen, Songs und Filme sind Agenten der Sozialisierung die den Menschen dabei unterstützen, bestimmte Sichtweisen auf die Welt zu entwickeln, aufrecht zu erhalten und zu verstärken.“ (Spitzer 2017)

Die bunten flackernden Lichter üben – wie Feuerschein ehemals – eine große Faszination aus.
Die Bilder bleiben für Kinder jedoch, ohne angeleitetes Einsortieren, oft sinnleer
oder führen in irreale Welten – die Kinder bis ins Schulalter noch nicht sicher von der echten Welt und ihren begrenzten Möglichkeiten unterscheiden können.

Die schnelle Beherrschung der wenigen, oberflächengleichen Tasten oder glatten Flächen bestätigt kindliche Größen- und Machtphantasien und verschafft faszinierende Eindrücke von scheinbaren Fähigkeiten (die allerdings im Programm schon von anderen hinterlegt wurden, von denen man abhängig bleibt – was aber ohne Zusatzwissen nicht offensichtlich ist).

Getrieben vom Lustprinzip können Kinder sich z.B. am Tablet nicht selbst begrenzen. (siehe z.B. Freud 1920)
(Dem folgen zeitlich z.B. Schlafrhythmusstörungen, dann Konzentrationsstörungen und Misserfolge oder lassen am Handy zu früh überfordernde z.B. pornographischen oder gewalttätigen Inhalte anwählen, die als Ersatzhandlungen für mangelndes Alter genommen werden.)
Diese Funktion ist Aufgabe der Erwachsenen, die einen größeren Überblick über die Welt haben / oder haben sollten.           

Das Erlernen von Frustrationstoleranz (Aufschub und Verzicht treten, wegen der geringeren sofortigen Verfügbarkeit, in natürlichen Gegebenheiten häufiger auf) – und damit die Notwendigkeit von Impulskontrolle und Affektregulierung – sind wichtige Entwicklungsschritte im Umgang mit seinen Emotionen und bei der Fähigkeit, sich in andere (empathisch) hineinversetzen zu können.
Diese Funktionen reifen erst geben Ende der Pubertät aus.

Der Mangel an eingeübter Selbstwirksamkeit wird deutlich, wenn die Suchtmittel (Medien wie Drogen) entzogen werden:
heftigste Ängste, Aggressionen und Körpersymptome aller Art können als Entzugserscheinungen auftreten. Andererseits ist es faszinierend zu sehen, wie schnell Kinder, vom kaum zu ertragenden Monster, wieder zum Kind werden, mit dem man reden kann, wenn der Entzug überstanden ist.

Werden also wenig hilfreiche bis gestörte Entwicklungsanreize geboten (z.B. oft streitende Eltern, fehlende oder im Verhalten unkalkulierbare Personen, und vieles mehr), bilden sich Nervennetzwerke aus, die in eine nicht gesunde oder gesellschaftlich inkompatible (asoziale) Richtung wirken.

Sofort – schon in der Kindheit – oder später – zum Teil erst im Erwachsenenalter – zeigen sich dann Konflikte, Symptome, Rückfälle in frühere Erlebens- und Verhaltensmuster oder Reaktionsschemata, die als „schräg“ oder pathologisch einzustufen sind.

Grundlagen

Bild: Bundesinitiative Frühe Hilfen
Arbeitsblätter: Eltern-Kind-Interaktion begleiten

Die Grundlagen für die sich ausbildenden Strukturen werden in der Baby-Mutter-Interaktion (es können natürlich auch andere Erwachsene sein) im 1. Lebensjahr entwickelt.
Diese Basis wächst hauptsächlich bis in die Pubertät; aber auch danach bleibt das Gehirn plastisch, so dass lebenslanges Lernen geschehen kann / und sollte.
Es läuft dabei ein intensives Trainingsprogramm für Kommunikative und selbstregulative Prozesse ab, die letztlich in die selbständige Verfügbarkeit über die Funktionen einmündet.

Fällt diese Einübung struktureller Funktionen – z.B. empathische emotionale Beziehungen, körperliche Versorgung, Affektregulierung – „aus“, führt das dazu, dass die reifenden Funktionen leicht störbar bleiben oder nur defizitär entwickelt werden können.
Entsprechend der unterschiedlichen, anstehenden Entwicklungsaufgaben in den Altersstufen werden beim Kind immer auch verschiedenartigste Emotionssysteme aktiviert, so dass auftretende Belastungen in den unterschiedlichen Entwicklungsaltern auch unterschiedliche Störungsbilder entwickeln, da unterschiedliche Funktionsbereiche beeinträchtigt werden.        
(z.B. das limbische System vorgeburtlich und in den ersten Lebensmonaten, danach das reifende Amygdala-System und schließlich das Belohnungssystem), (Rudolf, 2013)

Doch gerade diese, meist als unangenehm, peinlich oder schmerzlich empfunden Störungen mit ihren Symptomen, sind genau die freundlichen Rückmeldungen des Organismus, die auf die Notwendigkeit von Korrekturen aufmerksam machen.
(z.B. begrenzt der Scherz, wenn man sich schneidet, meist eine tiefere und schlimmere Verletzung; die Erinnerung an eine schmerzvolle Erfahrung lässt einen ängstlich und vorsichtig sein, usw. – andererseits steckt dann in solchen Zurückhaltungen (Anspannungen in der, an dem vorgestellten Prozess, beteiligten Muskulatur) sehr viel Kraft, die durch neue Betrachtungsweisen mobilisiert werden kann.)

Resilienz

Wichtig zu sagen ist: nicht jedes problematische Erleben oder Trauma dazu führt, dass sich eine Störung ausprägt; nicht aus jeder Belastung wird ein krankmachendes Reaktionsschema!

An vielen Stellen sind die Selbstheilungskräfte stark und die Belastbarkeit von Organismen erstaunlich. Andererseits können belastende Erfahrungen (wie Narben) besonders sensible, verletzliche oder weniger belastbare Stellen mit sich bringen, die bei neuerlicher Belastung bevorzugt mit Symptomen, als körpersprachliche Antworten, reagieren.
Zum Teil braucht es jedoch eine genaue Analyse, um zu verstehen, wie „kleine“ Anlässe (eben zusammen mit einer Vorgeschichte) zum Teil heftige Reaktionen auslösen können.
Es braucht aber auch gangbare Wege, gerade dann freundlich mit sich umzugehen, statt (vielleicht wie von früher gewohnt) mit Selbstabwertungen und Beschimpfungen wütend über sich herzufallen.

Denn für ein „Lernen aus der Situation“ ist es notwendig, sich nicht zu stressen, sondern, z.B. über inneren Abstand, Raum für eine freundliche, wertschätzende Reflektion zu schaffen;
schließlich hat man, unter den Umständen des gegebenen (bewussten und/oder nicht bewussten) Wissens und Wollens, eine verständliche Entscheidung getroffen … die, wie sich ja erst im Nachhinein gezeigt hat, nicht optimal war.
Sehr wahrscheinlich schien die getroffene Wahl, beim Stand der Information zu dem Zeitpunkt, als man sich entschied, sinnvoll und richtig. Sonst hätte man wohl eine andere Wahl getroffen.
Ebenso ist es sinnvoll, eigene Erfolge auch sich selbst zuzuschreiben, statt günstige Umstände oder zu geringe Anforderungen etc. einzuführen, so dass das hätte jeder schaffen können, dass es nichts Besonderes ist, mit einer doppelten Buchhaltung auszulagern.

Stress

Allgemein lässt sich sogar sagen, dass für Entwicklungen Herausforderungen, also ein gewisses Maß an Stress*, notwendig und gesund sind.
Dauert diese starke Erregung und Leistungssteigerung jedoch zu lang oder ist sie zu heftig, kann sie den Körper überfordern, erschöpfen und krank machen.): In der Medizin heißt es: „die Dosis macht das Gift“.

(*Stress meint, durch spezifische äußere Reize hervorgerufene psychische und körperliche Reaktionen bei Lebewesen,
die zur Bewältigung besonderer Anforderungen befähigen:
man ist dann (kurzfristig) wacher, konzentrierter, leistungsfähiger, kräftiger – urteilt aber auch irrational, reflexhaft und ist in seinem kreativen Denken eingeschränkt („Tunnelblick“ – auf nur einen Fluchtpunkt ausgerichtet).  

Lernen

Lernen und Entwicklungsprozesse geschehen nicht linear.
Es geht vor und zurück, seitlich und wieder weiter von Stufe zu Stufe; immer dann – und nur dann, wenn ein gewisses Maß an Sicherheit und Stabilität auf einer Entwicklungsebene erreicht ist.

Dabei spielt die Dosierung eine entscheidend wichtige Rolle:

  • zu geringe Herausforderungen motivieren nicht und setzten wenig in Bewegung;
  • neue, insbesondere überraschende, aber zu bewältigende Aufgaben stimulieren und lösen Orientierungs- und Erkundungsverhalten aus, wir Lernen;
  • zu heftige und überfordernde oder gar überwältigende Reize (Traumata) führen zu „Tunnelblick“ und Abwehrreaktionen mit geringem Lerneffekt. Die überstarke (Stress-)Erregung des Systems blockiert das rationale Denken; insbesondere das kreativ-lösungsorientierte Denken ist dramatisch reduziert. Basale, in Vorzeiten dem Überleben dienende, irrationale (= ohne Vernunft) reflexhafte Reaktionen dominieren, statt Anpassung (Adaptation) und Angleichung (Assimilation)(vergl. z.B. Piaget, 2016; Lazarus, 1981; Rudolf 2009)

Versuch und Irrtum, die Entwicklung von Fähigkeiten und Fertigkeiten, Abschauen und Nachmachen sind dabei wichtige „Werkzeuge“.
Im Bewältigen oder Scheitern unserer Versuche, mit den gegebenen Bedingungen fertig zu werden, entwickeln wir Unterscheidungen, bilden sich „zusammengehörige“ Gruppen (z.B. werden in allerlei Formen als Sitzgelegenheiten erkannt), Lösungsmuster und Konzepte darüber, wie die Welt ist und wie man mit auftauchenden Herausforderungen in der aktuell gegebenen Umwelt fertig wird.
Sind wir bestimmte Bedingungen gewohnt, erwarten wir schnell, dass es überall so ist.

Realität – Wirklichkeit / Wahrnehmung bzw. Wahrgebung

Als Realität wird im allgemeinen Sprachgebrauch die Gesamtheit des Realen bezeichnet; also alles, was keine Illusion ist und nicht von den Wünschen oder Überzeugungen einer einzelnen Person abhängig ist.

Neben der physischen Realität der Welt außer uns, bildet das Gehirn mit seinen Aktivitäten eine zweite Ebene: die Ebene der Abbilder (innere Objekte) von der Realität, die in jedem Menschen eine ganz eigene Wirklichkeit entstehen lässt:
in dem in unserem Gehirn gebildeten Abbild von der Welt entsteht eine Vorstellung (ein davor gestelltes), das ähnlich einem Navigationsgerät im Auto orientieren hilft.
Dabei zeigt das Navi ein Bild von der Landschaft, nicht jedoch die Landschaft selbst. 
Denn in das Bild, die Karte, wird nur eingetragen, was der Autor für bedeutsam hält. (Roth, Strüber, 2014)
Dadurch gibt es vielerlei Auslassungen, Betonungen und auch fehlerhafte Größen- bzw. Bedeutungs-zuordnungen und korrekte wie inkorrekte Bezüge und Relationen. Auf der inneren Karte ist nur verzeichnet, was der Zeichner in sein Bild aufgenommen hat / für wichtig hielt – die Landschaft ist deutlich Detailreicher, als das Abbild.

Verschiedenste Umwelten mit allen und allem Gegenüber, seien es persönliche, landschaftliche oder zeitliche Gegebenheiten oder auch verinnerlichte Objekte, Phantasien, Ideale und Selbstanteile, eigene Bedürfnisse und Motive, wie sie der eigene Körper und unser Denkapparat erzeugt, alles offeriert diverse Realitätsansichten.
So entwickelt jeder aus der vorhandenen Realität für sich, durch die Art und Weise seiner Aufmerksamkeits-fokussierung, eine ganz persönliche, autonome, einmalige wirksame Wirklichkeit;
indem, entsprechend der Vorerfahrungen, Ziele und Fähigkeiten, Bekanntes erkannt und aktiv angesteuert wird, unbekanntes nicht wahrgenommen und störendes ausgeblendet oder passend gedeutet wird.

Je nach persönlicher Erfahrung können wir die Welt also nur durch unsere, subjektiv „gefärbte Brille“ mit ganz eigenen Erwartungshaltungen sehen.
(Dass Dinge, die man nicht erwartet, zum Teil nicht einmal gesehen werden (können), sieht man z.B. immer wieder, wenn Hindernisse in Straßen eingebaut werden => regelmäßig findet sich jemand, der dort – seinem (alten) inneren Bild von der Straße entsprechend – auf das Hindernis auffährt. Denn das Hindernis war auf der inneren Landkarte der Straße wirklich nicht da. Erst die Realität zwingt einen dann zur Korrektur, zum updaten des inneren Bildes / unserer Vorstellung.)
Werden also die Ebenen Realität und die Wirklichkeit in uns verwechselt, sind Fehlinterpretationen unvermeidlich.

Wenn also, je nach Angebot, Haltung, Einstellung, Erwartung und Perspektive in uns wirklich wirksame Wirklichkeiten entstehen, die wir – wie auch alle anderen – aktiv aus der gegebenen Realität heraus bilden,
wird klar, dass alle Menschen in ihrer eigenen Welt leben; dass es Austausch braucht, um Übereinstimmungen und Differenzen herauszufinden, um besser Zusammenarbeiten zu können.
Je nach Klima untereinander geht das wohlwollend und zugewandt oder auch – aus dem Gefühl, die eigene Welt(sicht) sei bedroht – feindselig und aggressiv.
Je nachdem, wohin der „Scheinwerfer der Aufmerksamkeit“ gerichtet wird, werden mit dem Ausrichten, Ausblenden und Ausleuchten nur bestimmte Aspekte aus dem Gesamtbild erkenn- und benutzbar … motiviert durch Bedürfnisse, wie Hunger, Durst, Müdigkeit, sexueller Appetenz, usw. und beeinflusst von bestimmten Haltungen, Einstellungen, Konventionen und Erwartungen oder auch Zielen und Absichten.

(Die Geschichte vom Hund in Saal der hundert Spiegel beleuchte sehr schön, wie die eigenen Erwartungen die Art des Erlebens beeinflussen und verstärken: Wedelt der Hund erfreut mit dem Schwanz, begrüßen ihn 100 Hunde mit wedelndem Schwanz; Kläfft der Hund die Hunde gegenüber erschrocken oder feindselig an, hört er zwar keine Reaktion, aber er sieht eine Übermacht an Hunden, die ihn aggressiv angehen.)

Entsprechend ist das, was wir für  >Wahrnehmung< halten, in Wahrheit >Wahrgebung<, ein aktiver Erzeugungsprozess.

Wahrnehmung ist nie die quasifotografische Abbildung dessen, wie »es ist« oder gar eine filmszenische Erinnerung.
Speziell Erinnerungen, wie auch Zukunftsvorstellungen, sind gegenwärtige Leistung des Gehirns, die immer durch die aktuellen Bedingungs- und Bedürfnislagen geformt und auch retuschiert sind.

Dabei gibt es zudem eine ganze Reihe Gestaltwahrnehmungsverzerrungen oder solche die z.B. beim Auffüllen von Seh- oder Höreindrücken entstehen, z.B. während des Lidschlages, wo das Auge zu ist oder
im Bereich des blinden Flecks im Auge oder beim Lückentext.
Bertram Scheufele z.B. schreibt über Framing-Effekte.

Alles, was wir denken / erleben,
ist Ergebnis eines aktuellen, aktiv gestalteten Prozesses, Hier und Jetzt.
Selbst wenn wir uns an Vergangenheit erinnern oder an Zukunft denken, geschieht das als Gestaltungsprozess jetzt in diesem Augenblick und wird von jetzigen Bedürfnissen und vom heutigen Wissen überformt.
Mit der Aufmerksamkeitsausrichtung wird die Welt, in der jeder lebt, ge- und erfunden.                                    (siehe z.B. Bandura, 1969; Kleiner,‎ Brander und Wansleben, 2016)

Denn über die Ausrichtung der Aufnahmebereitschaft wird ausgewählt:

  • Bin ich in Kontakt oder verweigere ich gerade, mich berühren zu lassen / zu berühren, in Kontakt zu gehen?
  • Bin ich gerade im aktiven Auswahl- („Täter“) oder im passiven Aufnahme- („Opfer“) Modus?
    – wobei Macht und Dominanz sowohl verantwortlich wie egozentrisch eingesetzt werden kann und
    Ohnmacht wie Unterordnung sowohl freiwillig, als auch erzwungenermaßen stattfinden kann.
  • Was ist mir von all dem, was da ist, so wichtig, dass ich es beachte, vielleicht sogar benenne und mir merke?
  • Welche Aspekte schließe ich aus meinem Bewusstsein aus – aktiv oder unwissend, wobei ich da auf Feedback angewiesen bin?
  • Was spricht mich emotional an?
  • Was „sagt“ mir nichts?
  • Nehme ich gerade Sinneseindrücke in meinem Inneren wahr oder Reize von außen
    oder achte ich auf die schon vorhandenen (tendenziell statischen) Bilder und Erwartungen in meiner Vorstellung?  

(Beispiel zum Blick auf die eigene „Festplatte“ und Korrektur durch den Blick nach außen:
Eine (Ehe)Frau kommt vom Friseur Heim; ihr Mann schaut auf, sieht und erkennt sie und weiß schnell: „die kenne ich – keine Gefahr“.

Mit diesem automatischen, energiesparenden „Blick“ auf das Bild seiner Frau in seiner Vorstellung, sieht die dort natürlich noch so aus, wie vor dem Friseurbesuch.
Erst wenn die Frau ihm mit der Frage auf die Schulter klopft: „fällt Dir nichts auf?“,
ist er irritiert und aktiviert seinen Blick nach außen.
Dann erst kommt und kann auch erst die meist erstaunte Gegenfrage kommen: „Warst Du beim Friseur?“ Spontan wird sich bei ihm nun wahrscheinlich die Innenwahrnehmung von Scham einstellen … und hoffentlich ein humorvoller Einfall.
Jedenfalls erläutert diese Situation sehr schön, dass viele in Beziehungen schwierigen Situationen kaum zu vermeiden sind, solange man sich über diese Zusammenhänge nicht bewusst wird. Die Chance, eine Wahl zu treffen, entsteht erst durch das Aufscheinen einer zweiten Möglichkeit. Bis dahin existiert nur das eine Bild und damit ist klar, dass es nur diese Möglichkeit gibt. Bei einer Auswahlmöglichkeit gibt es eben keine Alternative. Erst wenn 2 Optionen zur Verfügung stehen, hat man 1 Wahl. Stehen mehrere Möglichkeiten im Raum, ist die Zahl der Wahlmöglichkeiten n – 1. Das macht es dann manchmal schwer, sich zu entscheiden.
… Reagiert der Mann statt freundlich humorvoll, gleichgültig oder sagt gar etwas abwertendes, ist es höchste Zeit, sich über die Beziehung grundsätzliche Gedanken zu machen und Gespräche über das Miteinander zu beginnen.)

Die erlebte Wirklichkeit hängt also ab

  • von der vorgegebenen körperlichen Beschaffenheit des beobachtenden Systems
    (die Fähigkeiten des beobachtenden Organs bestimmt, was beobachtet werden kann);
  • von der Ausrichtung der (äußeren wie inneren) Haltung des Beobachtenden;
  • von der Auswahl des Aufmerksamkeitsfokus
    („für mich aktuell bedeutsam“);
  • von der getroffenen Unterschiedsbildung
    (gehört dazu oder nicht, aktive Grenzziehung)
  • von der Definition von Vorder- und Hintergrund,
    (die können wechseln, so dass etwas im Vordergrund zum Hintergrund wird und umgekehrt)
  • eingebettet in lokale, zeitlich-historische, kulturelle und psycho-soziale Kontexte sowie von den getroffenen Sprachbildern und Bedeutungsgebung zu den entstehenden Eindrücken.             
    (siehe z.B. Metzger 1953; Perls 1981)

Resonanz

Bild und Video: Resonanz – Resonanzkatastrophe
Manuel Starlinger

Wie aus den Ausführungen oben schon deutlich wurde, entwickelt sich unser Gehirn, und damit das „Ich“, in ständigen Rückkoppelungsprozessen mit der Umwelt und im Zusammenspiel mit anderen – in ganz speziellen, zeitlichen (andere Zeiten andere Gepflogenheiten), wie räumlichen (am Meer, in den Bergen, Stadt, Land, usw.) und personellen (z.B. deren charakterlichen) Gegebenheiten.

So entstehen in jedem viele Formen des Bewusstseins, die sich in Intensität und Inhalt unterscheiden:
z.B. finden sich da Körperidentität, Bewegungskontrolle und Handlungsplanung, Autorenschaft meiner Gedanken und Worte, autobiographisches Bewusstsein, Realitätsbewusstsein, Selbstbewusstsein. …
Dabei gibt es neurobiologisch überhaupt kein einzelnes, klar abgegrenztes Hirnzentrum für Bewusstsein oder ein steuerndes „Ich“; vielmehr entstehen die unterschiedlichen Formen durch seine spezifische Interaktion von verschiedenen Zentren im ganzen Gehirn.  (Roth, 1999)

Alle Lernprozesse finden also, intern wie extern, immer in Beziehungen statt:
zu Mitmenschen und Mitlebewesen, zu materiellen Dingen, aber auch zu immateriellen Konzepten und Ideen. (siehe z.B. Bowlby 1959; Fonagy 2017)

Unser Bewusstsein / wir Menschen sind also immer (wie in einem Tanz) eingebettet in ein dia-logisches,
wie auch in dia-lektisches (zwiegesprächiges) bzw. multi-lektisches (vielgesprächiges) Wechselspiel, in der nicht die Pole Subjekt – Objekt, sondern die Bezogenheit, das Dazwischen, die entscheidende Rolle spielt.
Helm Stierlin spricht von bezogener Individuation,
die auch schief laufen kann, z.B. wenn Eltern ihre Kinder als Partnerersatz organisieren usw.

Diese Beziehungsgeflechte erzeugt unser Gehirn (intern) mit seinen Prozessen, in jedem und für jedes Erleben ständig und jeweils neu. (Neuroplastizität)
Wollen wir den menschlichen Umgang miteinander beschreiben, finden wir auch im Außen – spiegelbildlich zu Prozessen im Gehirn – Interaktion, Antwort-Beziehungen, feedback-gesteuerte Kreisprozesse, Wechselwirkung; selten nur passen Ursache-Wirkungs-Modelle der physikalischen Welt.

Abhängig von der Entwicklungsreife, die gewisse Möglichkeiten zulassen und andere nicht,
entstehen unterschiedliche Wirklichkeiten, die als bedeutungsvoll (resonant) oder leer (nicht ansprechend) erscheinen und mit Stimmungen einhergehen. (siehe z.B. Bude, 2016; Pfaller, Wiesse, 2017)
Solche Stimmungen und Atmosphären entwickeln sich aus einem Wechselspiel von (passivem) Affekt (in eine Stimmung versetzt werden) und (aktiver) E-motion (= Heraus-bewegung), aus Betroffenheit durch berührt werden und Selbstwirksamkeit bzw. Spontaneität.

Damit ist die Stimmung ihrem Wesen nach ein Resonanzphänomen,
das die beiden Pole (Subjekt und Objekt) gerade nicht verschmelzen lässt, sondern in ein dialogisches Verhältnis setzt; sie in eine Antwortbeziehung bringt, in re-sonante (= zurück-tönende) Schwingung miteinander versetzt – oder eben auch nicht, so dass die Situation kontaktlos und entfremdet erlebt wird. (siehe Rosa, 2016)

Anpassungen und Risiken

In dem ständigen Bewegen, Antworten und Anpassen an die eigenen Antriebe und Bedürfnisse wirken sowohl wir selbst, als auch die Beiträge anderer und der sonstigen Umwelteinflüsse, aktiv mitgestaltend auf uns und unsere Umgebung.
So ist ein anderer wichtiger Aspekt der subjektiven Wirklichkeiten, dass sie sehr wirkmächtig sind und entsprechend Auswirkungen haben – wünschenswert und unerwünschte.  
Denn die inneren Bilder sind es, die als konkrete Vorstellung von den Auswirkungen eines Tuns oder Lassens eine Entscheidung ermöglichen. (siehe z.B. Gunther Schmidt 2017)
Denn es ist für uns sehr bedeutsam, welche Konsequenzen wirken und sich in der gegebenen Realität zeigen – in uns und/oder/sowie im Außen, als Akkommodation (Anpassung), Assimilation (Angleichung) oder Dysfunktion (schlechte oder Fehlleistungs-Schemata).

Damit das Risiko einer Veränderung eingegangen werden kann, sollten sichere Rahmenbedingungen hergestellt werden; sonst ist das Risiko, plötzlich „ohne alles“ dazustehen viel zu groß, um sich auf Experimente einzulassen. 
Im Körper gilt zur Überlebenssicherung immer: „safty first“ = Sicherheit zuerst.
(Daher ist es, wenn wir Angst haben, so schwer, dem Verstand zu folgen, selbst wenn der klar hat, dass in der äußeren Realität keine echte Gefahr besteht oder zumindest eine abschätzbare, die man eingehen könnte.
Die entwicklungsgeschichtlich früheren, emotionaleren Hirnteile überstimmen da oft das entwicklungs-geschichtlich jüngeren Großhirn mit seiner Vernunft. – Sicherheit zuerst eben!)

In der Synergetik (vergl. G. Schiepek oder z.B. A. Wahl oder Frutiger) werden für erfolgreiche Veränderungsprozesse folgende Generische (hervorbringendePrinzipien benannt:

1. Schaffen von Stabilitätsbedingungen
2. Identifikation von Mustern des relevanten Systems
3. Sinnbezug & Synergität herstellen und erhöhen
4. Kontrollparameter und Veränderungsmotivation finden
& Energetisierung (emotionale Aufladung) ermöglichen
5. Destabilisierung, Fluktuation verstärken
6. Kairos (den passenden Moment abpassen) / Gezielte Symmetriebrechung ermöglichen
7.Resonanz / Synchronisieren 
8. Stabilisierung neuer Muster

Es ist zudem immer zu bedenken, welche Folgen Veränderungen haben. Dabei gilt es das Risiko abzuschätzen, ob die Veränderungen zu wirklichen, vielleicht sogar langfristigen Verbesserungen führen oder sich als „Verschlimmbesserungen“ herausstellen könnten.
Oft werden die Vorteile von Anbietern herausgestellt (z.B. die Aufstellung von Leitlinien, von Überwachungskameras oder Datensammlungen, die sich im Laufe der Zeit zu Zwangsjacken für Überwachung und als Vorschriften für „richtiges“ – also erwünschtes – Verhalten herausstellen und Freiheiten einschränken.)

Das „Ich„, die „Ich´s“ – Relativität und Konfliktsituationen

YouTube-Video: https://www.youtube.com/watch?v=FT8dTB2T4vY

Durch Anpassungen, in unterschiedlichen Situationen und in verschiedenen Rollen erleben Menschen immer wieder ein unterschiedliches „Ich“;
also das Erleben, welches jeweils als: „das bin ich“ wahrgenommen und beschrieben werden kann.
(z.B. erkennen wir uns im Fotoalbum in unterschiedlichem Alter, in verschiedenen Rollen und Funktionen und benennen ein konsistentes „Ich“, obwohl da sehr unterschiedliche Figuren zu sehen sind.)

Wir sind also alle multiple Persönlichkeiten mit vielen „Ichs“ oder verschiedensten Anteilen, denkbar als  „inneres Team“. (siehe z.B. Schulz von Thun und Stegemann, 2004)
Entsprechend bringen die unterschiedlichen inneren Anteile in unterschiedlichen Räumen und Rollen unterschiedliche Erlebens-, Fühl- und Verhaltens-Muster hervor.

In der Transaktionsanalyse wird daher gefragt: „Wer spricht hier eigentlich mit wem?“
Welche Kind-, Erwachsenen-, Eltern-Anteile sind gerade in der Interaktion / im Gespräch miteinander aktiv?
(siehe z.B. Berne und Wagnuth, Spiele der Erwachsenen, 2002; Gamber 2016)

Solche Fragen sind vor allem in Konfliktsituationen hilfreich, um den wirksamen Kontext auszumachen,
vor dem das eigene oder fremde Erleben gerade seine Bedeutung gewinnt.
Denn ohne zugehöriges Hintergrundwissen sind Informationen nicht wirklich versteh- und deutbar.
Diese wird umso mehr klar,
wenn man sich bewusst macht, dass jede Realität ganz subjektiv konstruiert wird
und so zu der persönlich wirksamen Wirklichkeit wird und es damit viele Wahrheiten gibt.

Wirklichkeit, wie auch Wahrheit, kann und wird sich theoretisch, wie praktisch, verändern und bewirkt Veränderungen der Realität.
Eine letzte Wahrheit wird sich daher nicht finden lassen … auch wenn immer wieder der Eindruck entsteht, man selbst wäre in ihrem Besitz.

Autonomie und gleichzeitige Abhängigkeit davon,
was und wie unsere Mitwelt ist

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Bild: Wikipedia – Baum der Erkenntnis
hier ein Gemälde von Lucas Cranach d. Ä.


Empfehlenswert zu lesen, das gleichnamige Buch über die biologischen Wurzeln menschlichen Erkennens von Maturana und Varela

Es ist die Beziehungsqualität die Veränderung befeuert oder scheitern lässt.
(Wenn uns jemand etwas sagt oder tut, das uns etwas sagt, uns anspricht oder begeistert“ befeuert das Bewegung oder die Situation / Person bleibt stumm, fremd und bedeutungslos, löst nichts aus),
Dabei können Umstände zwar günstige Bedingungen schaffen, ebenso wie Menschen Angebote machen und Einladungen aussprechen können, das aber führt nicht unbedingt zu gewünschten oder gar planbaren Veränderungen bei jemand anderem.
Da Menschen autonom agieren, entscheidet jeder, ob Einladungen angenommen werden oder nicht.
Das gilt auch, wenn manche Einladungen wie zwingend wirken.

Das System Mensch (oder Gruppe) ist so komplexes, das es von keinem zu kontrollieren ist;
und wenn, dann am ehesten von uns selbst – durch Umsetzungskompetenz. 
(siehe Haken, Schiepek 2010; Strunk 2014; Pelz 2017)

Hartmut Rosa schreibt: „Ein resonantes Zusammenwirken entzieht sich der willentlichen Verfügbarkeit und Machbarkeit, der Verdinglichung, Quantifizierbarkeit und Kommerzialisierung.“ (Rosa 2016)
Kein Druck, keine Optimierung, kein Anreiz schafft im menschlichen Miteinander langfristig gute Ergebnisse; denn die Grundhaltung dabei ist ein „dagegen“, ein Konkurrenzdenken,
statt Freude am Tun und Miteinander; Kooperation geschieht freiwillig.
Wenn man etwas (das da ist) nicht haben will (z.B. eine Krankheit oder schlechte Laune), schafft das keinen tragfähigen Boden in der Wirklichkeitskonstruktion.
(Ähnlich einer Textaufgabe beim Rechnen, kann kein richtiges Ergebnis herauskommen, wenn man nicht alle Informationen in der Rechnung berücksichtigt;
selbst wenn das Ergebnis (als Näherung an den eigentlichen Wert) leidlich für die Alltagsbewältigung hinreicht. Die Restunstimmigkeit wird irgendwann so kumulieren, dass Störungen auftreten müssen; selbst wenn die Abweichungen nur in nachrangigen Stellen hinter dem Komma bestehen.) (Schmetterlingseffekt)

Nur im freiwilligen, gewollten, einsichtigem und sinnvoll erlebten Miteinander – selbst bei Konflikten und körperlichen Symptomen -, nur in einer kooperativen Zusammenarbeit, im gemeinsamen Gestalten, lassen sich langfristig tragbare Lösungen entwickeln.
Zugegeben, solche Prozesse dauern am Anfang meist länger, bis alle sagen können, „das ist mein Projekt“. Auch fallen hier die bei den „Top down“-verordneten Prozessen die sonst oft im Nachhinein auffallenden, meist länger anhaltende Unzufriedenheiten und inneren Kündigungen weg.

Bei Kompromissen bekommt zwar keiner alles von dem was jeder durchsetzen wollte;
doch wenn eine gemeinsame Lösung gefunden ist, die alle mittragen können,
dann braucht es von allen den vollen Einsatz dafür.
Das funktioniert am besten, wenn alle bei einer gefundenen Lösung einen Gewinn für sich sehen.

Zu einem späterem Zeitpunkt, also mit mehr Erfahrung, können die Prozesse immer wieder diskutiert, korrigiert und neue, erweiterte Lösungen gefunden werden.

Wenn jemandem „das Leben, eine Gefühl, der Partner, meine Arbeit, usw.“ gerade nicht gefallen, lässt sich oft nicht einfach bestimmen: „dann fokussiere ich eben um“ oder lenke mich ab oder interessiere mich für anderes oder mache etwas anderes – oder gar: „dann beseitige ich eben das Störende“.

Wille zur Veränderung

Veränderungen brauchen (siehe oben, manchmal nur ein entspanntes Hinschauen), meist aber
a) Willen; also aktives Bewusstsein sowie Kraft und Disziplin, die aufzubringen sind
b) eine „Gate Control, also die Fähigkeit, bestimmte Gedanken, Gefühle und Handlungsimpulse zu verfolgen oder eben nicht weiter zu verfolgen (Frustrationstoleranz), obwohl sie da sind und sich (meist immer wieder) anbieten
c) Differenzierungen, so dass Alternativen gedacht und verfolgt werden können, wenn sie sinnvoll erscheinen, damit es einem selbst und den Mitbetroffenen besser geht.
d) einen Konsens mit den Mitbewerbern oder Konkurrenten – das gilt auch im Streben und Erleben der eigenen inneren Anteile.

Soll es gelingen, müssen die Bilder und Beschreibungen sorgfältig gewählt sein, da wir sonst in die Irre gehen: wir können nur positiv denken, also etwas als Bild vor uns sehen, was da ist.
(Verneinungen können wir nicht ohne das Positivum denken; einen „nicht-Stuhl“ können wir z.B. nicht denken ohne einen Stuhl mit zu denken. Oder: bei dem Satz „ich möchte keine Angst mehr haben“ bleibt der Fokus auf die Angst gerichtet; verstärkt die Aufmerksamkeit auf das Thema und das vermehrte ausmachen von Angst; zudem wäre es lebensgefährlich, einem solchen Satz zu folgen. Da muss der Körper Gegenwehr ergreifen!
So hilfreich die Aussage auch gemeint sein möge. Bei Verneinungen geht die Wirkung nicht in die gewünschte Richtung! Sagen Sie Ihrem Kind also bitte nicht: „Renne nicht auf die Straße“. Das macht die Straße interessant. Sagen Sie lieber: „Bitte bleib auf dem Bürgersteig.“)

Bei Veränderungen ist immer auch zu bedenken, welche Konsequenzen und Nebenwirkungen eine Einstellungs- oder Verhaltensänderung für einen selbst oder andere hat oder haben kann.
Zum Teil sind die Folgen übler, als die aktuelle Situation; oft natürlich auch besser – aber das ist zu prüfen!

Oft erzeugen auch Loyalitäten (zu Menschen oder vertrauten Bedingungen) starke Gegenkräfte und behindern Veränderungen.
Gegenkräfte führen immer wieder zurück in die vertrauten „Pfade“, da sie über Bekanntheit Vertrautheit und Sicherheit suggerieren. Zudem kosten die schon bekannten Muster deutlich weniger Kraft, als neu zu gestaltende. Außerdem kann es sein, dass das Neue und Unbekannte Angst macht, da wir es noch nicht einschätzen können. Aber auch die Verbundenheit zu anderen Personen macht es manchmal schwer, loszulassen und sich in neue Gefilde zu begeben – ebenso wie es Mut braucht eine Komfortzone zu verlassen. (z.B. das Hotel Mama)

Allerdings prädisponieren Angst und stressbedingte Anspannung (die das kreative Denken verstummen lassen, irrationale und instinktive Muster befördern) tendenziell in Richtung eines stummen, entfremdeten Beziehungsmodus, da die Antworten in der Kommunikation oft nicht passen …
oder weil alles schon gesagt ist oder es kein(e) Antworten mehr gibt. 
Spätestens dann brechen die Illusionen von umfänglicher Kontrolle und Machbarkeit zusammen.

Krisen

Krisen sind dann die Initialzündungen für genaueres, aktuelles Hinschauen und Korrektur …
oder für den Zusammenbruch des Systems.
Krisen sind also ebenso Chance wie sie auch Grenzen markieren.

Deutungen sind Hypothesen

YouTube-Video: Hypothese aufstellen & formulieren, Beispiele & Anforderungen, Ghostwriter-Agentur

So ist immer zu bedenken, dass Ereignisse zunächst an sich wertneutralen Ereignisse sind und als solche erst durch unsere Auswahl der Wahrnehmungsausschnitte und unsere hinzukommenden Bedeutungsgebungen eine Gewichtung bekommen: oft im Sinne von „gefällt mir oder passt mir nicht“;
„ist in meinem Wertesystem gut oder böse“; ähnelt (m)einer Gruppenmeinung, usw..
Entsprechend wird das ausgewählte Erleben, unsere „Wahrgebung“, zur wirksamen Wirklichkeits-konstruktion und Realitätsdeutung, die wir oder andere uns anbieten (wie Kellner eine Menükarte).

In diesem Bild wird schön deutlich:
von der Menükarte würden wir nicht alle dort offerierten Gerichte bestellen oder gar essen.
Auch im Alltag gilt es, bewusst(er) zu wählen, was wir (erleben) wollen.
(siehe F. Perls, 1942: Ego, hunger and aggression. The beginning of Gestalt therapy.
Denn wie auch immer, wir wählen bewusst oder unbewusst, welches „Gericht“ / welche Vorstellung, welches Angebot, welche Einladung am besten zu unserem Bedürfnis- oder Kenntnisstand passen.

Hilfreich für die Wahlvorgänge scheint mir Wissen,
das, wie auf einem Buffet die verschiedenen Speisen, Informationen beinhaltet,
die den Körper mit Energie bzw. Nachrichten versorgen können.
In dieser Weise sind auch Gedanken und Gefühle Informationsangebote und -inhalte,
die wir uns einverleiben können, aber nicht müssen!

Außer der Wahl, welchen Informationsangeboten (Speisekarte der Gedanken z.B.)
ich meine Aufmerksamkeit schenken möchte, ist außerordentlich wichtig zu erlernen:

  • Wovon möchte ich mehr?
  • Was weise ich zurück?
  • Welchen Teil in mir möchte ich nähren; welcher ist vielleicht schon zu dick / mächtig, so dass ich ihm lieber eine Diät verpasse! (z.B. ängstliche oder depressive Angebote)

Die zugehörige Bildung und Willenskraft / Umsetzungsfähigkeit lassen sich stärken.
(siehe Pelz: Willenskraft, 2017)

Sender – Empfänger

Eine Information wird immer, wie jede Wahrgebung, aktiv vom Empfänger, gestaltet.
(Das was wir z.B. hören können, ist ja in hohem Maße vom Vorwissen abhängig:
es reicht z.B. nicht eine Sprache zu hören, um sie zu verstehen. (siehe z.B. Watzlawick, Beavin, Jackson, 1969)

Wichtig zu wissen ist, dass Information nicht 1:1 übertragbar sind;
weil letztlich immer der Empfänger (z.B. der Schüler) darüber entscheidet, was vom Gelehrten bei ihm ankommt oder gar hängen bleibt. Lernen ist ein Anbauen an Bekanntes.
Deshalb können sich Eltern, Pädagogen, Therapeuten, Chefs usw. anstrengen, wie er/sie wollen, wenn nicht der „richtige Ton“ getroffen, nicht das passende Lernniveau (z.B. Lernstufen) angesprochen wird, kommt kein Kontakt zustande und keine Informationsübermittlung.

Deshalb kann sich dennoch niemand darauf zurückziehen, dass der Sender keine Verantwortung für das Mitgeteilte hätte; auch wenn es immer der Empfänger ist, der den Inhalt einer Botschaft bestimmt,
indem der Empfänder nur das wahrnehmen kann, was an sein Vorwissen andocken kann. Alles andere bleibt unerkannt! – wird nicht gesehen, nicht gehört, nicht gefühlt usw., vor allem auch nicht getan.

Für stimmige, fundierte und zuverlässige Nachrichten ist der Sender zuständig;
ebenso wie für „Fake-News“, die bleiben fingiert, falsch und unwahr, selbst bei vielfachen Wiederholungen.
Allerdings passiert auf der psychologischen Ebene bei vielfachen Wiederholungen ein Lerneffekt,
so dass bei Unkenntnis der zugehörigen Umstände und Kontextinformationen ein gewisses Maß an „Glaubwürdigkeit“ empfunden wird.

In der Kommunikation sind Meinen, Sagen, Hören und Verstehen nicht identisch;
ebenso wenig ist von vornherein klar, dass Sender und Empfänger auf dem gleichen “Ohr“ hören.
(Sach-, Appell-, Beziehungs-, Selbstoffenbarungs-Ebene als vier Qualitäten einer jeden Nachricht)
(siehe Schulz von Thun, 1981)

Wenn also der Empfänger für die Verarbeitung einer Botschaft verantwortlich ist,
so hat der Sender als relevante »Umwelt« des Empfängers sehr wohl die Verantwortung dafür,
welche Umwelt er darstellt.
Denn der Kontext trägt zum Auswahlprozess sowohl bei der Fokuswahl, wie zu den möglichen Antworten Wichtiges bei.
Gerade in Kontexten wie Familienleben, Pädagogik, Beratung oder Therapie, in denen sich Kinder wie Klienten exponieren, spielt die bewusste Selbst- und Fremdverantwortung sowie die Selbstkorrektur eine große Rolle.
Gerade in der Zusammenarbeit und beim Versuch, etwas zu verstehen,
z.B. wie sich Erleben darstellt und gestaltet, wie Informationen verarbeitet werden,
spielen auf beiden Seiten immer die aktuellen, wie auch frühere bewusste wie unbewusste Informationen und deren Konzeptualisierungen (Ableitungen, die man aus einer Erfahrung gemacht hat) sowie die damit verbundenen Gefühlsregungen eine wichtige Rolle.

Ohne Berücksichtigung solcher Hintergründe, lassen sich Informationen kaum einordnen.

Missverständnisse

Spätestens beim Eindruck eines Missverständnisses sind Klärungen anzustreben.
Dabei sind allerdings unterschiedliche Konfliktebenen, die vor allem unterschiedliche Lösungswege haben, zu unterscheiden:

  • bei unterschiedlichen Zielen und Werthaltungen
    ist nach Konsens– und Kompromiss-Möglichkeiten zu suchen ist;
Konsens-Youtube-Video am Beispiel Sexualität
  • bei inhaltlichen Missverständnissen, beim Aneinandervorbeireden,
    gilt es, sich über die zugehörigen Kontexte und Definitionen auszutauschen,
    um zu verstehen, vor welchen Hintergrund etwas gesehen oder angenommen wurde
  • bei Konflikten aus Übertragungen
    (wo man Bekanntes aus anderen Verhältnissen auf aktuelle Personen oder Situationen überträgt / in sie hineinsieht – wie bei einem Bildprojektor, wo das Bild im Projektor liegt, aber auf der Leinwand gesehen wird) muss zur Aufklärung des Missverstehens / der fälschlichen Zuordnung einmal – aus Kenntnis der Geschichte – erkennen und sich zum anderen eingestehen, dass hier eine Verwechselung vorliegt und sich zum anderen dann über die zeitlichen, personellen und situativen Zuordnungen und zugehörigen Bedürfnisse im Hintergrund austauschen, um aufzuklären, was wohin gehört.

Freiheiten

Foto: Rainer Thomae, Febr. 2021

Gerade wenn man – in welchen Zusammenhängen auch immer – Freiheiten entwickelt will, braucht es

  • verantwortlichen Umgang miteinander und
  • frei fließende Informationen,
  • diskutierte und verabredete Regeln, Strukturen und Grenzen, die Sicherheit bieten,
    so dass man der Energie aufkommender Impulse und Bedürfnisse folgen kann – ohne ins Abseits oder in schlimme Konflikte zu geraten. (Theodor W. Adorno: „Geliebt wirst du einzig, wo schwach du dich zeigen darfst, ohne Stärke zu provozieren.“)
    (Immerhin haben wir es seit Kurzem geschafft, ohne Waffe herumzulaufen und jedem Gegenüber erst mal wohlwollende Absichten zu unterstellen.)

Erfolg

Foto: Marko Hofmann – „Durchbruch

Basis des Erfolges ist also das Wort, auf das man sich verlassen kann
und eine liebevolle, wohlwollende Grundhaltung zu den Menschen und der Arbeit, die man gewählt hat sowie das Vertrauen ineinander, in die jeweiligen Fähigkeiten, in die Bereitschaft zu Lernen und in den Prozess, der sich auf dem Weg zu erkennen gibt und dem man mitschwingend folgt.
(siehe z.B. Fritz B. Simon, 2002, F. Laloux, 2016)

Beweggründe

Wünsche werden formuliert, in der Hoffnung, dass sie jemand erfüllt.
Ziele hingegen werden gesetzt, um sie selbst, Schritt für Schritt, umzusetzen.

Um Ziele zu erreichen, sollten sie SMART formuliert werden:

Formulierte Ziele können allerdings nur Orientierung geben, in welcher Richtung es weiter gehen soll.
Sie sollten jedoch unbedingt nur als Motivatoren gesehen werden, in eine gewünschte Richtung aufzubrechen.
Denn auf dem Weg zeigen sich so viele neue Einsichten und hinter jedem Horizont wartet ein nächster, so dass sich Ziele im Prozess verändern können und dürfen, wenn es als sinnvoll angesehen wird.

Foto: Lindemann – Blick in den Vogelsberg

Es gilt also, auf Hinweise zu achten, die solche sich ändernden Bedingungen anzeigen, um im lebendigen Prozess von Entwicklung mit zufließen; statt die Realität (auf Biegen und Brechen) unseren Planungen anpassen zu wollen.
Im Alltag heißt das immer wieder: zu bedenken, zu reflektieren, zu besprechen, zu teilen und mitzuteilen, wo jeder in seinem Prozessverlauf steckt und welche Einsichten es dort gibt und sich neu zu justieren.
(Stichwort Qualitätsmanagement)

Hier und Jetzt
bzw. diverse Gegenwarten, Vergangenheiten, Zukünfte

Dabei sollte man sich immer wieder klar machen,
dass in unserem (un)bewussten Erlebnisrepertoire alle emotional „aufgeladenen“ Erlebnisprozesse als eigenständiges Erlebnisnetzwerk gespeichert sind (Episodengedächtnis).  (siehe z.B. Pohl,  2007)

Das Hebbsches Gesetz besagt: „Cells that fire together, wire together“, also
„Zellen, die miteinander erregt werden, vernetzen sich, und vernetzte Zellen feuern wieder miteinander“.
Da im Gehirn im üblichen Sinne keine Zeit vergeht, sondern Reizmuster organisiert werden, sind Informationen dann verfügbar, wenn das entsprechende Netzwerk in der richtigen Reizfrequenz und mit den passenden Umgebungsinformationen angesprochen wird.
Die entsprechenden Informations-Netzwerke entstehen durch Aktivierung, werden durch Wiederholung oder Intensität stabilisiert oder eben nicht.
Alle Erkenntnisse, Erinnerungen und Erwartungen sind das Ergebnis von solchen neuronalen Netzwert-Aktivierungen / Denkprozessen, die sich – wie die aktuelle Wahrgebung – gerade Hier und Jetzt abspielen.

Je nachdem, welche Zellen in den neuronalen Netzwerken gerade in uns „feuern“ / aktiv sind, erleben wir diverse Gegenwarten – darin enthalten auch Bilder und Gefühle zu möglichen Vergangenheiten und Zukünften, die immer außerhalb aktueller Überprüfbarkeit liegen.
Damit ergeben sich also viele Vergangenheiten (Episoden) und viele Zukünfte in uns – je nach Kontext.    (siehe z.B. D. Schacter, Wir sind Erinnerung, 2001)

Entwicklungsebenen – später verborgenes Streitpotential

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Foto: Gudrun Görlitz
Körper und Gefühl
Bild: Wikipedia – Streit
Wenn die Freude im Haus stirbt; Gemälde Pietro Saltini

Kommunizieren wir unsere verschiedenen Wirklichkeiten auf Augenhöhe, also als Erwachsene mit allen Möglichkeiten zur Integration und zum Aushalten von Differenzen,
lässt sich Verschiedenheit als Bereicherung erfahren –
andernfalls dominiert leicht das Gefühl der Bedrohung, weil die Verhältnisse asymmetrisch sind.
(Kulturgeschichtlich führte das friedliche Zusammenleben verschiedener Gruppe regelmäßig zu Blütezeiten in den Regionen; wurde das Anderssein jedoch – meist aus Machtgelüsten einzelner Gruppen – als bedrohlich konzeptualisiert, entstanden Ausgrenzung, Angst und Gewalt.)

Spätestens also, wenn in einem Gespräch oder in einer Beziehung Eindrücke von Konkurrenz,
statt Kooperation, zu registrieren sind, gilt es zu klären:
wer – und das gilt auch für Teil und Strebungen in uns selbst – sich denn da angesprochen fühlt
und, daraus resultierend, was mit wem, als erwartetes Gegenüber, wie gesprochen wird und wozu?“

Denn in manchen Situationen kann es dazu kommen, dass wir auf einer Entwicklungsstufe so verunsichert sind, dass wir (notfallmäßig) auf Reaktions- und Verarbeitungsmuster zurückgreifen, die aus einem vorhergehenden Entwicklungsschritt herrühren, wo wir uns gerade sicherer fühlen. (Regression)

Schauen wir uns einmal verschiedene Sichtweisen an:

Ein erster Zugang – Siegmund Freud

Hierzu können Sie sich folgende Videos ansehe zu Es – Ich – Über-Ich

und zur psychosozialen Entwicklung

Ein „mathematischer“ Zugang

  • Im Groben wird in der Entwicklung angenommen, dass bei ganz kleinen Kindern alles (vieles, vielleicht das Meiste) noch undifferenziert ist. Das heißt im Erleben ist alles Eins = 1.
    Das bedeutet in der Konsequenz, dass es weder Alternativen, noch Wahlmöglichkeiten gibt.
  • Im Laufe der Zeit lernen Kinder immer mehr, zu unterscheiden. Aus 1 = Alles wird zunehmend: 1 oder 1
    = da – nicht da, entweder – oder, alles – nichts, immer – nie, gut – böse, hell – dunkel usw.
    Auf dieser Stufe des polarisierenden und dadurch auch rhythmisierenden Erlebens bleiben die Formen noch getrennt. Eine Integration der Gegensätze ist zunächst noch nicht möglich.
    Fallen wir in späteren Lebensphasen auf dieses Muster zurück, spricht man vom Abwehrmechanismus der Spaltung, da in diesem Zustand „die eine Hand tatsächlich nicht weiß, was die andere tut“.
  • Im nächsten Schritt können differente 1 + 1 auch als Zusammengehörig gesehen werden,
    z.B. können nun die gute (versorgende) Mutter + die böse (versagende) Mutter eine Person sein
    = sowohl als auch.
  • Im Alter von 3 – 4 Jahren lässt sich dann eine 3. distanziertere Position einnehmen.
    Mit der Fähigkeit zur Triangulierung ist ein innerer Abstand entstanden, der ein Denken von 1 + 2 ermöglicht, so dass man z.B. sowohl Mutter, als auch Vater lieben darf = mehr oder weniger.
  • Auf diesen Erkenntnisprozess aufbauend, folgt mathematisch die 4 als Metapher der Vielheit.
    Denn jetzt schreiten Differenzierung und Verständnis immer weiter fort.

Ein Zugang über innere Anteile

Im Zuge der Entwicklung bilden sich die inneren Anteile (wie auch die projektiv bei einem selbst abgewehrten, die dann einem Partner oder Anderen zugeschriebenen werden) heraus, die wie folgt aussehen könnten.
(vergl. E. Berne, 2001TA,)

  • Kind-Ich,
    das häufig in angepasster, rebellischer 0der innerlich sich auf der Flucht befindende Figur in Erscheinung tritt, da z.B. als „kleiner Professor“ oder verträumter „Hans kuck in die Luft“ oder in Drogenkonsum flüchtender.
  • Erwachsenen-Ich,
    das all die Aspekte integriert und sie situationsgerecht einzusetzen weiß.
  • Eltern-ich,
    das oft als anweisendes oder fürsorgliches normatives Gebot in Erscheinung tritt.            
    (siehe z.B. Harris, Brender 1975Stewart, Joines, Rautenberg 2000)

Da Kind- und Eltern-Ich zur gleichen Zeit präsent und Anfangs noch nicht auf der erwachsenen Ebene integriert sind, kippen diese beiden Erlebnisformen gerne im Dialog von (Gesprächs-)Paaren wie auf einer Kinderwippe hin und her, ohne dass es auf Augenhöhe zu einem wirklichen Kontakt kommt.
Faktisch haben wir es in dieser Form des aneinander Vorbeiredens mit einer Kontaktstögung zu tun, die
– wenn erkannt – überwunden werden kann.
Denn sonst führten diese Dialoge sehr häufig zu Eskalationen (lauten bis gewalttätigen oder resigniert stillen)
– mit zerstörerischer Qualität in der Beziehung.

Ein anderer Zugang, der auch über innere Anteile gedacht wird

  • Innere Anteile lassen sich auch als ein individuelles „inneres Team“ beschreiben (z.B. F. Schulz von Thun), die innerlich aktiv am Gespräch beteiligt sind:
    (z.B. Antreiber, Neider, Saboteur, Zweifler, Schlaumeier, arroganter Vermeider, Angsthase, Held, Maulheld, Gerechtigkeitsfanatiker, der Teil mit seinen Minderwertigkeitsphantasien oder Sündenkomplex und und …)

Wie die inneren Anteile in Diskussion und im Streit miteinander liegen,
lässt sich gut in dem Gedicht „Es ist, was es ist“ von Erich Fried erkennen:

Es ist Unsinn
sagt die Vernunft
Es ist was es ist
sagt die Liebe

Es ist Unglück
sagt die Berechnung
Es ist nichts als Schmerz
sagt die Angst
Es ist aussichtslos
sagt die Einsicht
Es ist was es ist
sagt die Liebe

Es ist lächerlich
sagt der Stolz
Es ist leichtsinning
sagt die Vorsicht
Es ist unmöglich
sagt die Erfahrung
Es ist was es ist
sagt die Liebe

Da könnte es interessant sein, zu entdecken, welcher Aspekt meiner und Deiner inneren Anteile vom inneren Team in bestimmten Situationen die Leitung des Denkens, Deutens, Fühlens und Handelns übernehmen – und ob dies wirklich zu aktuellen Situation passt?“ (siehe z.B. Mertens 2009; Kumbier 2016)

Ein Zugang über neuronale Netzwerke

Werden (und sei es nur unbewusst) in gegenwärtigen Situationen Reize / Trigger mit Ähnlichkeiten zu bestimmten Elementen früherer Netzwerke erlebt (z.B. Geruch, Musik, Mimik etc.), können diese früheren Netzwerke ganz oder teilweise in der Gegenwart reaktiviert werden, so dass sich Erleben (wie im Traum, Flashback oder im Déjà-vu) sehr real anfühlen können. (Hebb´sches Gesetz)

Dabei weiß man zum Teil um Umstände und Ursachen
und dennoch ist unser reflexartig automatisches Reagieren deutlich (mindestens 200-300 msec.) schneller, als die Vernunft. (siehe z.B. Kahneman, 2011)
Das rührt vermutlich daher, dass die unspezifischen, aber sehr schnellen Reaktionen früher oft lebensrettend waren, während die langsameren, dafür aber genaueren Erkenntnisse für andere Zwecke nützlich waren und sind.

Ein Zugang über Verwechslungen

Nicht nur Aspekte unserer Selbst, sondern auch viele verinnerlichte Muster im Zusammenhang mit anderen Personen sind in unserem Inneren gespeichert. Da kann es zu Verwechslungen / Übertragungen kommen.

In solchen sogenannten Übertragungssituationen wird früheres Erleben projektiv in jetzige Personen / Situationen „hinein-gesehen“.
(* Wie bei einem Filmprojektor liegt das Bild im Projektor; gesehen wird es jedoch auf der Leinwand auf die das Bild geworfen wird. … Versucht man nun Modifikationen an der Leinwand / beim anderen vorzunehmen, verzerrt das das Bild, ändert aber nichts an der Stelle, wo „der Film läuft“. Das geschieht erst, wenn Selbstverantwortung übernommen wird.)

Dabei kann es auch vorkommen, dass jemand zeitweilig auf frühere Antwortmuster zurückgreift und z.B. in kindliche Verhaltensmuster zurückfällt.
Dann sind allerdings auch nur die Fähigkeiten verfügbar wie damals – und auch die Lösungsmuster von früher werden anwendet. Da wirkt keine böse Absicht, sondern ein „gerade nicht anders können“.
Zum Teil sind solche regressiven Entwicklungen, veränderten Rolle, Gemütslagen, Seinszustände sogar für einen selbst und für andere schwierig zu erkennen, dass man mit seinem Erlebensmodus gerade in anderen, re-aktualisieren Zeitbezügen unterwegs ist.

Im Alltag wirkt es für Außenstehende oft verwirrend, wenn man selbst oder das Gegenüber die Rolle bzw. den Ich-Zustand wechselt, da einem ja immer noch die erwachsene Person gegenübersteht.
Leichter ist es da im Schauspiel, wo sich die SchauspielerInnen bei einem Rollenwechsel umziehen, damit klar ist, mit wem man es gerade zu tun hat.

Ein Zugang über szenisches Erleben

Oft erschließt sich für einen Beobachter der innere Szenenwechsel beim Gegenüber nur über mitgeteilte Bedürfnisse oder über die zum sonstigen Erwachsenen unpassend erscheinenden Reaktionen, über Veränderungen im Sprechverhalten oder die eigene Irritation, über ein intuitiv entstehendes Gefühl, ein empathisches Mitschwingen und sich hineinversetzen, über ausgelöste Gegenübertragungsgefühle (Video) bzw. –gedanken, die dann im günstigen Fall – über wissende Zuordnung in geschichtliche Zusammenhänge im Leben des Gegenübers – eingeordnet werden können – oder eben in szenischen Wiederholungen.

Alltags-Trance

Wie Pippi Langstrumpf sagt:
„Jeder macht sich die Welt, wie es ihm gefällt.“ …
nur dass wir uns darüber in dem Trancezustand meist nicht bewusst sind.  (Lindgren, 1987)

Foto: Wikipedia

Unser Gehirn ist immer mit der Organisation von Kohärenz, also mit dem Schaffen von Zusammenhängen, beschäftigt. Das geschieht meist nicht unabhängig von der gegebenen Realität, ist aber auch völlig im phantastischen und unabhängig davon möglich.

Damit verschafft es uns Struktur und Orientierung in der Welt und organisiert, vermittelt durch Übung, Handlungsfähigkeit.
Die Schaffung von Sinn bewirkt dann, dass wir unsere Kraft an der Stelle, wo es für uns „Sinn macht“ aktiv einzusetzen. (siehe z.B. Antonovsky 1997Krause, Lorenz  2009)
(Was nutzt es, zu wissen, wie man ein Haus baut, die Mittel und Leute dafür zu haben, wenn es für den Bauherren keinen Sinn macht, in dieser Straße / Gegend ein Grundstück zu bebauen?)
Ressourcen werden immer nur da eingesetzt, wo es einem sinnvoll erscheint.

Dennoch; werden Netzwerke in uns angeregt, z.B. durch die Art wie wir Situationen erleben oder beschreiben,
können sie uns in tranceartige Zustände versetzen.
(Wenn wir von einer Idee beseelt sind oder Verliebtheit, aber auch die grau getönte Brille der Depression, mögen gute Beispiele davon geben, wie einem die Welt plötzlich anders erscheint.)
Sehen wir die Welt z.B. negativ, pessimistisch, ängstlich, depressiv, fehlt uns schnell die Energie, etwas zu bewegen und unsere Vorahnung, dass nichts so recht klappen will, bestätigt sich –
genauso wie sich, im umgekehrten Fall, positive, freudige Selbstwirksamkeitserwartungen durch gute Ergebnisse bestätigen, weil wir deutlich mehr Engagement zeigen.

Machen Sie doch, was Sie wollen

Das ist leicht gesagt, denn einmal ist unser Denken an sich polar organisiert, damit wir das eine vom anderen unterscheiden können
und zum anderen weist unser Gehirn (Video) grob gesehen drei Bereiche auf, die unterschiedliche Aufgaben verfolgen:
Der entwicklungsgeschichtlich älteste Teil, der Hirnstamm ist für die Kontrolle der Herzfrequenz und des Blutdrucks verantwortlich, außerdem steuert er das Schwitzen und die Atmung. Darüber hinaus koordiniert er das Wachen und Schlafen und ist auch für Reflexe wie Husten, Erbrechen oder Schlucken lebenswichtig.
Das Mittelhirn leitet einerseits Informationen und Reize aus dem Rückenmark an das Großhirn weiter und umgekehrt Reize vom Großhirn zu den für die Motorik verantwortlichen Nervenzellen im Rückenmark. Daneben ist es wichtig für Fühlen und Hören und spielt als Teil des limbischen Systems eine elementare Rolle bei Schmerzempfindung und Gefühlen.
Das Großgehirn kontrollieren die Gedanken, Sinne und Bewegungen des Menschen. Hier werden außerdem Aktivitäten wie Emotionen, Kreativität, Planung, Urteilsvermögen, Bewegung und Problemlösungen gesteuert. Hierher werden zudem die Eindrücke unserer Sinne von Geschmack, Druck, Temperatur, Berührungen und Schmerz gelenkt, ebenso wie dieser jüngste Teil unseres Nervenkostüms bei den meisten Seh-, Hör- und Sprachfunktionen eine große Rolle spielt und an Emotionen und Lernprozessen beteiligt ist.

Je nach Situation gilt es also immer wieder zu klären, welchem Bedürfnis folgen:

  • (lebens-)wichtig
  • attraktiv bzw. angstmindernd
  • vernünftig

(Da kann es schnell vorkommen, wie eine Schweizer Kollegin berichtete, dass sie zu einer Darmspiegelung sollte und ihr Gefühl sich ganz vehement gegen eine anale Penetration (lat. penetrare: eindringen) verwahrte, während ihr Verstand als Wissenschaftlerin sie dazu bewog, zu der Vorsorgeuntersuchung zu gehen.)
(siehe M. Storch 2016)

Entscheidungsfindung

Um zu wissen, was man will, braucht es einerseits Wissen und Fertigkeiten, die man sich aneignen muss, aber oft auch Müßiggang (gewählte, also aktive Langeweile); denn sie ist die Mutter vieler schöpferischer Akte und starker, klarer Impulse.
Langeweile hingegen – im Kontrast dazu – ist schwer zu ertragen; denn eigentlich wollen wir handeln (häufig auch schnell), brauchen es, aktiv zu sein, zu gestalten.
Andererseits braucht das Gehirn Auszeiten der Ruhe, um das Aufgenommene zu verarbeiten und zu integrieren. Schlaf ist dazu das notwendige, bewährte und geeignete Mittel.

In einen Konflikt zwischen >etwas tun können< und >Zeit haben, auszuruhen< braucht es Entscheidungen.
Das aber beinhaltet „Scheidungen„, also Verzicht und das Aufgeben der Illusion, Alles oder nur das Beste haben zu können.
Langeweile, also >nicht wissen, was man will<, quälende Bedürfnis- bzw. Einfallslosigkeit schützt als Ersatzhandlung von solchen Verlusten. Zugleich aber weckt dieses Dazwischen, dieses Unentschieden sein schnell unangenehme Erinnerungen an Ausgeliefertsein und Ohnmacht, so wie wir es aus der frühen Kindheit alle kennen. Da will man nicht sein, weshalb Stille für viele schwer zu ertragen ist.
Lassen wir diesen Zustand im Müßiggang jedoch zu, lauschen, statt (irgend)etwas zu wollen, entstehen aus bekannten Fragmenten neue Kreationen.

Mehr rational organisier ist das Züricher Ressourcen Modell, das auch als RubikonProzess bekannt ist und von Dr. Maja Storch (Video) und Dr. Frank Krause basierend auf dem Rubikon-Modell von Heinz Heckhausen und Peter Gollwitzer entwickelt. 

Widerstände gegen Veränderungen

Die Beschäftigung mit Neuem erfordert aktives Denken, Differenzierungen und neue Zusammenhänge sowie kreative Neuschöpfungen. Das verbraucht in unserem Gehirn ziemlich viel Energie und erfordert zum Teil neue Verbindungen von Nervenzellen.
Daher sucht und benutzt das Gehirn gerne bekannte Wege, schon bestehende Netzwerke, bereits existierende, vorfertige Einstellungen, Haltungen und Sicht-, Fühl- und Handlungsweisen, um Situationen mit bekannten Lösungen und bereits automatisieren Handlungsabläufen zu bewältigen. Das spart Energie. Außerdem bietet dieses Vorgehen den Vorteil, dass die bereits bekannten Antworten auf Herausforderungen schnell verfügbar sind; auch wenn sie dafür unspezifisch bleiben und nur in „Standardsituationen“ funktionieren.
Die neuen, aber energieaufwendigen, Lösungswege sind da für neue Aufgaben oft viel passender, passen spezifischer als Antwort auf die aktuell gegebene Situation. Dafür aber dauern solche Prozesse im Gehirn
– wie in Gruppen – aber deutlich länger, bis sie wirksam werden können.  (siehe z.B. Kahneman, 2011)

Zudem sind wir auf effizientes Handeln ausgelegt; die Lebensabläufe müssen funktionieren.
Funktions- und Ablaufstörungen sind nicht willkommen, da sie immer Arbeit machen, die nicht vor(aus)gesehen wurde. Zudem zwingen sie nicht nur einen selbst, sondern auch die Umgebung, sich neue zu justieren. Ergo wird oft versucht, Veränderungen zu verhindern oder zumindest aufzuschieben.

Neue Wege und Potentiallandschaften

Aber auch wenn neue Wege gefunden sind, neigt unser Gehirn mit seinen Erregungs- und Lösungsmustern dazu, immer wieder in die bekannten, vertrauten, automatisierten Bahnen zurückzufallen. In den geübten Verrichtungen sind wir einfach schneller und besser!
Doch manchmal gibt es auch Kipppunkte, wie ganz links im Bild unten:

Verhalten wird im Bild als rollende Kugel in einer gegebenen Potentiallandschaft dargestellt, wie wir sie uns für einen Menschen, bestehend aus typischen Kognitions-Emotions-Verhaltens-Möglichkeiten, vorstellen.
Die Kugel symbolisiert das Verhalten einer Person.
Die Höhe der Hügelketten zwischen den Tälern macht deutlich, wie aufwendig und energieintensiv es ist, von einem Tal in ein anderes Möglichkeiten-Tal zu kommen.
Zudem braucht es Anstöße, damit die Kugel ins Rollen kommt oder Veränderungen der Landschaft, die eine Bewegungen auslösen.

Zudem kann man sich vorstellen, selbst wenn die Kugel es in ein anderes Tal geschafft hat, ist es, als würde sie von Hosenträgern in das alte Tal zurückgezogen.
Denn das bekannte Verhalten kann man schon viel besser, fühlt sich damit sicherer usw.
Ist ein Weg erst einmal gefunden, lässt sich dieses Wissen nicht löschen; bleiben die einmal eroberten Täler = Fähigkeiten meist verfügbar (es wird nichts verlernt, nur nicht benutzt).
(Das zeigt sich z.B. im Alter, wo der Weg wieder häufiger über die alten Trampelpfade und erinnerten Straßen führt.)
Rollt die Kugle dann auch noch häufiger (Übung) über einen vor uns liegenden „Berg“ … bis der Berg zwischen den Tälern soweit abgetragen ist, dass die Wege kürzer und der Zug der Hosenträger schwächer wird, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass auch das neue Verhalten dauerhafter praktiziert wird.

Lernprozesse verändern also sowohl das Erleben und Verhalten, wie auch die „Potentiallandschaft“ der Kognitions-Emotions-Verhaltensmuster eines Menschen.  
(verl. z.B. H. Haken, G. Schiepek, Synergetik in der Psychologie, 2006, Schiepek, Guido Strunk, 2006 oder
das gut verständliche Buch Therapeutisches Chaos: Eine Einführung in die Welt der Chaostheorie und der Komplexitätswissenschaften: Realistische Einblicke in die Komplexität menschlichen Verhaltens, 2014)

Da gilt es – am besten fortwährend im Laufe des Lebens – kooperative Zusammenarbeiten gelernt und geübt zu haben und zu wissen:
wenn man mit dem bewussten Steuern der Aufmerksamkeit nachlässt, übernehmen wider andere Persönlichkeitsanteile oder Personen im außen und unbewusste Automatismen die Führung.

Da im Gehirn nur wenige der an den Netzwerken beteiligten Zellen echte Verbindung zur Außenwelt haben (beim Sehen sind es z.B. nur 17 % der Zellen, die direkt mit der Welt außen Kontakt haben), „sprechen“ die Netzwerke folglich die meiste Zeit mit sich selbst. Sie sind selbstreferentiell aktiv.

Daher kann das Gehirn nur schwer zwischen Erregungen, die von außen (Welt) oder von innen (Vorstellungen) erzeugt werden, unterschieden.

Visualisieren

Erlebt jemand ein Problem und will das ändern, ist es deshalb vorrangig wichtig,
die / eine gewünschte Lösung (Arbeitsauftrag) zu betrachten oder zumindest als Starter festzulegen.
Denn indem man diese imaginiert, kann die vorgestellte Welt im Erleben tendenziell schon eine erlebte Wirklichkeit werden; sogar auch dann, wenn man das „Problem“ gar nicht verstanden hat.

Denn die Vorstellung = Imagination oder gar das „so tun als ob“ spricht die entsprechenden neuronalen Netzwerke so an, dass es wie das Auslegen eines roten Teppichs (Priming = instruieren, vorbereiten – Video dazu) wirkt.
(Beide erfordert allerdings eine echte, wirklich wirksame Entscheidung, sich voll und ganz einzulassen, ohne wenn und aber – nur dann wird z.B. im Film >Fluch der Karibik<, 2003, aus Johnny Depp ein Captain Jack Sparrow, der nicht geschauspielert aussieht.)

So schon geübt, hat das nachfolgende gewünschte Verhalten eine bereits vorgeprägte und leichtere Orientierung, wohin es geht, welche Nervenzellen im Lösungsnetzwerk arbeiten.

So lassen sich Antworten auf erwartete und bekannte Herausforderungen bahnen.
Daher hilft es (z.B. Sportlern), sich Erfolge, erreichte und zu erreichende Ziele usw. ganz konkret bildlich und gefühlsmäßig vorzustellen und den Weg dorthin in bebilderten, emotionalen Vorstellungen virtuell zu üben. Man nennt das Priming oder Bahnung (vergl. Scheufele 2016)

Eine elementare Stärke solcher Trance-Zustände liegt in ihrer Anti-Stress-Wirkung;
also in der Umschaltung von ergotropen Reaktionen (die den Erregungszustand des vegetativen Nervensystems  über den Sympathikus leistungs- und vigilanzsteigernd beeinflussen) in einen
modulierten trophotropen Zustand, der über den parasympathischen Ast des vegetativen Nervensystems vermittelt wird, der für Verdauung, Reparatur und Regeneration zuständig ist. 
Übersetzt könnte man sagen, weniger Stress / Anspannung, höhere Kreativleistungen.
(siehe z.B. Bongartz, Bongartz 1998)

hypnosystemische Modelle

So können auch mit hypnosystemischen Modellen Arbeitswege im Gehirn systematisch und detailliert beschreibbar nachgegangen werden und damit in ihren zentralen Aspekten bewusst gemacht werden.
(vergl. Vera Popper, R. Kaschub, Erickson, Rossi, 2016, Gunter Schmidt – Einführung)

ideographische Systemmodellierung

Ein Modell, das die Wechselwirkungen von ineinander greifenden Feedbacksystemen anschaulich zu erfassen suchen, ist z.B. die ideographische Systemmodellierung. Das lässt sich für unsere inneren Prozesse und Vorstellungen nutzen, wie für Familienbeziehungen oder Arbeitszusammenhänge.

Schiepek – Systemische Praxis lernen
  • Hierfür sammelt man zunächst die im Erleben einer Person gerade wichtigen Wirkfaktoren.
    Diese setzen sich immer aus veränderlichen Elementen zusammen, wie z.B. Selbstwerterleben, Angst, Freude im Beruf oder, oder; keine Personen.
  • Im nächsten Schritt werden diese Faktoren (z.B. auf >Post it´s< aufgeschrieben) im Raum angeordnet, so wie sie sich in der Vorstellungswelt des Protagonisten angeordnet „anfühlen“.

Damit wird die Innenwelt, ähnlich dem Gespräch oder in der Aufstellungsarbeit, für Außenstehende sichtbar.

  • Dann werden, wie bei der Modelleisenbahn, die Faktoren („Bahnhöfe“) mit Strichen („Schienen“), die die bestehenden, erlebten, phantasierten Beziehungen bezeichnen, miteinander verbunden, um die miteinander wechselwirkenden Wirkungen zu erfassen.

Dazu werden sich verstärkende, zur Eskalation drängende Wirkungen, „wenn mehr, dann mehr“ bzw. „wenn weniger, dann weniger“ durch positive (+) Zuordnung markiert; während eine negative (–) Markierung des Wirkpfeiles gemischte, also deeskalierende Folgen anzeigt: „wenn mehr, dann weniger“ bzw. „wenn weniger, dann mehr“ von einer Wirkung auf den Faktor.

  • Sind nicht alle Faktoren miteinander verbunden oder fehlen wichtige Informationen?
    z.B. wenn es unverbundene „Bahnhöfe“ gibt, kommen dazu Fragen auf.
    Darüber sollte nachgedacht und ergänzt werden, damit das Bild als Übersicht und hilfreicher Fahrplan visualisiert werden kann.

Da hier Wechselwirkungen und Feedbacks betrachtet werden, ist kein Faktor an etwas „Schuld“,
kein Element „Ursache“ für Wirkungen bei anderen Elementen = Wirkfaktoren.
Alles hängt mit allem zusammen. Das wird hier sehr schön sichtbar gemacht.
Schon allein dies ist bewusstseinstechnisch sehr wichtig, um für die Beschreibung von sozialen Interaktionen (Wechselwirkungen) der Falle physikalischer Alltagserfahrungen zu entgehen, die gerne als vereinfachendes Modell mit Ursache-Wirkungs-Beziehungen gedacht werden.

Großer Gewinn durch das ISM (ideographische Systemmodellierung): es lässt sich anhand des persönlichen Modells sehen, welche Faktoren gewünschtes und unerwünschtes Erleben verstärken;
also welche Beziehungen unterstützt und welche bewusst geschwächt werden müssen, um gewünschte Ergebnisse zu erreichen.

Der Blick richtet sich hier auf die Beziehungen, statt auf vermeidliche Ursachen.
Wie hängen dabei z.B. Körperkoordination und Empfindungen, Stimmungen, Atmung, Raum- oder Grenzerleben usw. zusammen?

Auch die Verkörperlichung von Aspekten, wie z.B. im Rollenspiel des Psychodrama, können die Kraft einer Visualisierung und deren Verknüpfung verstärken. (vergl. Moreno, Gruppenpsychotherapie + Psychodrama)
Das Auftauchen und Aufzeigen der „Themen“ und deren Zusammenhänge wirkten sofort erleichternd.
Es gibt dem Klienten einen Fokus und Struktur für den bevorstehenden Prozess.

Auswirkungen

Video: Auswirkungen des Klimawandels -Doku 2015- AbdiDokus 2015

Je nachdem, wie fokussiert, was aufgegriffen wird, entsteht ein Inhalt mit einem Vordergrund vor einem Hintergrund in der eigenen Wahrnehmung.
Dann entscheidet die Art, wie, was, wann, in Verbindung mit wem, wofür und weshalb bestimmte Beschreibungen, Erklärungen, Bewertungen und Schlussfolgerungen gewählt und gezogen werden, darüber, welche assoziierten Emotionen aufgerufen werden und welche Art von inneren Dialogen / wie die Dynamik zwischen den diversen inneren »Seiten« bzw. „Ich“-Anteile etc. gestaltet wird.
Das wiederum wirkt sich auf die Art der Selbstbewertung und auf den Umgangs mit sich selbst und anderen aus: z.B. ob und wie man sich mit anderen vergleicht;
auf die Form des Verhaltens, die Art und den Inhalt der Kommunikation;
auf die Erwartungen an das Gegenüber als »Realitätenkellner«;
auf die Art von Zielkonstruktion;
auf geweckte Assoziation, auf Erinnerungen (positiven oder negativen) und das Entstehen von Vorstellungen über entsprechende Zukunfts-»Filmen«;
auf die Art, wie nahe der Erlebende das Erlebte an sich heranlässt (Assoziation / Dissoziation);
darauf, welches metaphorische Erleben damit einhergeht;
welche Lösungsversuche gemacht werden, zu welcher Zeit, an welchem Ort, mit welchen Beteiligten etc.

Denn die Art und der Inhalt unserer Beschreibungen lädt ein (wie ein Kellner mit seiner Menuekarte) und induziert in uns und anderen z.B. optimistische oder pessimistische, problem- oder lösungsorientiere Trancezustände, so oder so auf die Dinge „zu schauen“ und damit in bestimmter Weise zu erleben.

Wieder ist der Sender die relevante Umwelt, die Einladungen zu bestimmten Vorgehensweisen initiiert.
Auf die muss der Empfänger nicht eingehen; doch mache Muster wirken eben verführerischer als andere. (Das rechtfertigt z.B. hohe Werbebudgets, wohlwissend, dass der aufmerksame Zuschauer den teilweise vorgestellten Schwachsinn oder die Gefahr von feilgebotenen Produkten durchaus erkennen kann.)

Bei Erwachsenen, manchmal auch bei Kindern, können mit gezielten Fragen (mit echtem Interesse am anderen, durch Zuhören und Hinspüren) auch gravierende Problemmuster rekonstruiert und damit bewusster Beeinflussung zugänglich gemacht werden. Das gelingt nicht immer, aber mit Übung immer öfter.

Wege sind da z.B. Phantasiereisen durch innere Landschaften – oder zu einem Weisen, in die Bibliothek des Wissens oder als Dialoge des inneren Teams im tiefen Entspannungszustand – in der Phantasie, als Produkt von ruhiger Achtsamkeit oder real als gestalttherapeutische Stuhlarbeit (siehe z.B. S. Wagner) oder als Psychodramarollenspiel (siehe z.B. Zuehlke) oder Dt. Fachverband) oder als Aufstellungsarbeit und und …

Da die so erschlossenen Zusammenhänge den Klienten bisher fast nie bekannt, also unbewusst sind, müssen solche hilfreichen Interventionen praktisch immer von den Beratern / Eltern / Erziehern aktiv eingebracht werden.
Dabei können die aktiven Netzwerke (diverse „Ichs“) sowohl autonom von innen aktiviert, als auch durch Reize von außen (Anregungssituationen, Metaphern, Bilder, Musterunterbrechungen, Situationsfaktoren, Verhalten, Trance-Induktionen, Kommunikation mit und von anderen etc.) angeregt werden.

Wegen all dieser Argumente und Erklärungen können vom gleichen Individuum in ganz unterschiedlichen sozialen Systemen ganz unterschiedliche Wechselwirkungen, Regeln und Ergebnisse gebildet werden.

Ob ein Verhaltensmuster als Problem- und Lösungsversuch verstanden wird, entscheidet sich an den subjektiven Kriterien, die je nach Beobachter dieser Prozesse ausfallen.
Unterschiedliche Beobachter sehen da verschiedenes;
z.B. sehen pathologie– = krankheitsorientierte anderes als ressourcenan Potentialen orientierte.

Vom Nutzen der Symptome

Foto: Lindemann

Symptome sind in jedem Fall wertvolle Rückmeldungen des Organismus (der Organisation),
die Beachtung und ernsthafte Betrachtung, meist sogar Nachjustieren von Prozessen braucht.
Denn die Symptome zeigen an, dass irgendwo etwas „nicht rund“ läuft.
Nachdem klar geworden ist, welcher Art Störung vorliegt, solle die Lösung wirksam werden, die als
die lebendigste und sinnvolle bewertet wird.

Eine der schnellen, intuitiven, unwillkürlichen Rückmeldungen aus dem Körper werden somatische Marker genannt. Sie zeigen sich als (kleine) Veränderungen in der Spannung der Muskulatur, als „ungutes Gefühl“, als spontane „Eingebung“. (vergl. A. DamasioSelbst oder Felix Kapohl)
Im Gehirn wirken immer die Bilder und Prozesse der Nervennetzwerke, die gegenwärtig feuern;
sie erzeugen das gegenwärtige Erleben;
d.h., wären andere Netzwerke aktiv, hätten wir ein anderes gegenwärtiges Erleben;
d.h. wenn wir umfokussieren, entsteht eine andere wirksame Wirklichkeit mit anderen Auswirkungen!

Wenn man z.B. hypothetische Gedankenspiele macht, mit Möglichkeiten spielt, und sich intensiv darin hineinversetzt (assoziiert = (sich) vereinigen, verbinden), setzt das Gehirn und der Organismus diese Bilder so um, dass sie dieses (vorgestellte) Erleben zur momentan dominierenden Wirklichkeit macht und auch z.B. Muskeltätigkeit, Hormonregulierung, Blutdruck, Puls, Atmung, Emotionen, Körperkoordination etc. dementsprechend gestaltet.
Wir erzeugen unser Erleben ja immer selbst,
auch wenn es uns so vorkommt, als ob unser Erleben nur die Wirkung von Außeneinflüssen oder von Impulsen von innen wäre, auf die wir keinen Einfluss hätten.
Dennoch haben wir immer eine Wahl! (siehe z.B. V. Frankl, Trotz alledem 2009)

Es ist allerdings, wegen des energetischen Aufwandes, zu beachten, dass ein System, selbst wenn es über den roten Teppich zum neuen Verhalten mehrmals gegangen ist, für eine ganze Weile dazu neigt, in die alten, energetisch weniger aufwendigen Verhaltensmuster zurückzufallen – was ich oben schon im Zusammenhang mit den Potentiallandschaften erörtert habe.
(Wie beim Straßenbau soll auch im Gehirn erst einmal sicher gestellt sein, dass die neuen Verkehrswege auch wirklich häufig frequentiert und gebraucht werden; sonst lohnt der Aufwand nicht und es reicht, die Umwegstrecken über die alten, bestehenden Wege zu belassen.)
Nur benutzte Nervenverbindungen stabilisieren sich!
Ohne Training werden, wie die Muskulatur, auch die Nervenverbindungen rasch abgebaut!

Um zu dauerhaften Lösungen zu kommen, kann dennoch wichtig werden, das Symptom und das bestehende Problemmuster zu würdigen und zu verstehen, selbst wenn Lösungen ohne das möglich sind,
damit
a) weitere Informationen erzeugt werden, welche die Lösung verstärken und
b) damit ermöglicht wird, das mit dem Problemerleben verbundene leidvolle Erleben zu würdigen und um
c) eine tragfähigere Kooperationsbeziehung mit den irgendwie auch sinnvollen Verhaltensweisen / „Ich“-Anteilen aufzubauen; oder, um
d) besser achtsam werden zu können, die Auslösereize für das Problemmuster frühzeitiger zu erkennen, so dass auf die bedingenden Bedürfnisse kreativ und konstruktiver geantwortet werden kann; oder
e) die weiteren Informationen wichtige Informationen über Ziele und Bedürfnisse sein können, die sich im Problemmuster verdeckt melden, die nun übersetzt, positiv umgewertet und für eine tragfähige Lösung mit berücksichtigt werden können.

Außerdem können Problemmuster derart absorbierend und automatisiert wirken, dass es sehr schwer für Betroffene wird, einfach durch Umfokussierung auf Lösungsmuster das Problem zu transformieren.
In solch einem Fall kann es wirksamer sein, systematisch das Problemmuster zu rekonstruieren und dadurch eine steuernde Metaposition (besserer Überblick) aufzubauen und so das Erleben hilfreich umgestalten zu können.
Besser ist es natürlich, schon in der Jugend gute Bedingungen zu schaffen, die Struktur geben, damit kreativ flexible Antworten auf Herausforderungen entspannt und voller Selbstvertrauen zusammen mit anderen gefunden werden können.
Wenn das nicht gegeben ist, ist immer noch Hoffnung!

Wer sich Umsetzungsstark kontinuierlich einsetzt, schafft es, Berge zu versetzen
– auch solche, die sich im eigenen Gehirn aufgetürmt haben oder (vom gegenwärtigen Standpunkt aus) unüberwindlich erscheinen.
Aber da genau hier liegt der „Hase im Pfeffer“!
Denn wer als Mann / Frau nicht schon als Kind das notwendige Vertrauen und Rüstzeug mitbekommen hat, dem bleibt nichts als Wille und Disziplin
und liebevolle Unterstützung und Ermutigung.
Aber auch das wiederholte Feiern der kleinen Erfolge
und all der alltäglichen bewusst gewordenen Wahlmöglichkeiten tragen dazu bei,
das ein Bewusstwerden entstehen entstehen kann und der Fokus auf das eigene Ziel nicht verloren geht.

Es lohnt also, sich täglich eine Weile (vielleicht 20 Minuten) Stille zu gönnen, um zu lauschen, zu meditieren
(ohne zu „wissen“ über welchen Kanal sich bedeutsame Eindrücke zeigen).
Denn, wie gesagt ist Müßiggang (das kann bewusstes Gehen oder achtsames Tun anderer Art sein) die Mutter aller Kreativität.
Zu reagieren lohnt erst, wenn sich starke Impulse zeigen.
Erst dann ist es an der Zeit, etwas zu tun; schwachen Impulsen sollte man nur zuschauen, ihnen Raum für ihr Spiel geben, sie da sein lassen und gut.
Das beschreibt auch Harmut Rosa in seinem Buch „Resonanz

Vortragsbeispiel mit Hartmut Rosa

Nicht jedes angebotene Menü sollte beim Realitäten schaffenden Kellner bestellt werden.

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