Alles hängt mit allem zusammen – in uns genauso wie in der Welt um uns herum und in der Zeit.
So stehen auch Mund-Magen-Darm-Trakt und Gehirn auf vielfältige Weise miteinander in Verbindung und in Wechselwirkung: so bilden das Eingeweidenervensystem, insbesondere der vegetative Vagus-Nerv, eine strukturelle Verbindung. Das Immunsystem spielt eine Rolle und nicht zuletzt gibt es verschiedenartigste Wechselwirkungen zwischen den Mikrobiotika des gesamten Verdauungsapparates bzw. ihren Stoffwechselprodukten und dem Gehirn.
In diesem Schnitt durch einen Regenwurm lässt sich bereits vieles von dem erkennen, was auch uns Menschen ausmacht – wir sind ebenso segmental gegliedert, nur, dass wir ausgeprägtere Ausstülpungen zu Gliedmaßen und weiter entwickelte Organe haben.
Innen und Außen sind getrennt;
im Bild als Epithel bezeichnet. Derartige Barrieren sind, z.B. die Haut, die Schleimhäute oder die Darm- und die Blut-Hirn-Schranke.
Die meisten dieser Grenzflächen sind mit Myriaden von mikroskopisch kleinen Lebewesen besiedelt. Mit ihnen haben wir mehr Sex, also Austausch von Flüssigkeiten und Informationen, als je im Makrobereich zu erträumen wäre. Ergo gibt es vielfältige Auswirkungen positiver wie negativer Art in Bezug auf unsere Gesundheit.
Zunächst Grundlegendes und interessantes
Etwa 95 % der etwa 100 Billionen der in und am menschlichen Körper lebenden Bakterien leben im Dickdarm. Sie bilden das Darm-Mikrobiom. Es besteht aus der Gesamtheit der gesunden Mikroorganismen und Darmbakterien sowie aus deren Genen bzw. genetischen Anlagen. Zu den Mikroorganismen gehören neben den Bakterien auch bestimmte Hefepilze, die für Vergärungsprozesse wichtig sind, Protozoen, Viren und sogenannte Archaeen (Urbakterien) sowie anderen Kleinstlebewesen.
Zusammengenommen macht dieses Mikrobiom etwa zwei Kilogramm des menschlichen Körpergewichts aus.
Auch wenn viele Pharmafirmen allerlei Präparate, die nützlich sein sollen, anbieten, so sind doch von all den auf der Erde vorkommenden Bakterienarten nur etwa 30.000 kultiviert und beschrieben. Nach molekular-genetischen Befunden sind das vermutlich nur 5 % der tatsächlich existierenden Bakterienarten. Wir stehen also noch sehr am Anfang unseres Verstehens.
Dennoch finden sich etliche spannende Ergebnisse finden, die mit der Aufklärung oder zumindest an der Hypothesenbildung (Hypothese = noch nicht bewiesene Annahme) zu verschiedenen Fragen im Zusammenhang mit diesem neuen Forschungsgebiet erkundet werden.
Man geht heute davon aus, dass in unserem Därmen etwa 1.500 Bakterienarten vorkommen – überwiegend Anaerobier (sie überleben in sauerstoffhaltiger Atmosphäre, nutzen aber keine Sauerstoffatmung, manche überleben nur in sauerstofffreier Atmosphäre).
Die mikrobielle Besiedelung des Darmes beginnt bereits im Mutterleib. Im Weiteren wird sie durch die Passage durch den Geburtskanal beeinflusst, durch die Ernährung der Mutter, die sonstige Ernährung sowie durch Haut- und Umweltkontakte. So entwickelt sich ein für jeden ganz individuelles Mikrobiom, dessen Entwicklung und persönliche Zusammensetzung etwa im 3. Lebensjahr abgeschlossen wird. Dann ähnelt die Zusammensetzung dem eines Erwachsenen. Unter normalen Bedingungen ist die individuelle Zusammensetzung des Darm-Mikrobioms aus etwa 200 – 500 Bakterienarten über Monate und Jahr stabil.
Zu einer Dysbiose (unphysiologischen Zusammensetzung der Darmflora) kann es durch Antibiotika oder Ernährungs-faktoren kommen. Veränderungen wurden auch bei Stoffwechsel- und Magen-Darm-Erkrankungen beschrieben; z.B. bei Adipositas, Diabetes mellitus und entzündlichen Erkrankungen im Mund und im weiteren Verdauungstrakt.
Bei diesen Befunden gibt es Hinweise für Auswirkungen auf das Gehirn.
neurobiologische Aspekte bei Alzheimer-Demenz
Die der Alzheimer Demenz zugrunde liegenden neurobiologischen Prozesse, die zur Ablagerung von Schlacken *) in Form von Plaques im Gehirn führen, laufen über viele Jahre – bis es schließlich zu Einschränkungen der geistigen Leistungsfähigkeit und Schrumpfung des Gehirns kommt.
(*) Amyloid-Plaques (abnormale Proteinablagerungen) und und Tau-Protein führt zu abnormalen Verwicklungen in Gehirnzellen, was zum Tod von Gehirnzellen führt.)
Die Amyloid-Kaskaden-Hypothese geht davon aus, dass übermäßige Produktion wie mangelhafte Elemination ein Aneinanderkleben solcher mehlartier Stoffe zur Anhäufung im Gehirngewebe führt.
(amyloid (griech.: amylon = Mehl, Stärke; stärkeähnliche Substanz)
Seit einigen Jahren wird dazu die Infektionshypothese, chronische Entzündung des Nervengewebes, diskutiert, nach der die Anhäufung als gezielte antimikrobielle Maßnahme des Organismus verstanden wird. Als Auslöser werden verschiedene Erreger in Betracht gezogen, insbesondere eine Parodonitits-Erreger, dessen DNS in den Plaques nachgewiesen wurde.
Befunde
Die Veränderungen des Darm-Mikrobioms bei der Alzheimer-Demenz können also eine Ursache, aber auch ein Folge der Erkrankung sein.
Früh im Krankheitsverlauf kommt es zu Veränderungen der Ernährungsgewohnheiten und zu einer Gewichtsabnahme. Zudem kann die medikamentöse Behandlung das Darm-Mikrobiom beeinflussen und verändern.
Durch Antibiotika-Behandlungen ist eine Abnahme der Diversität (Vielfalt) und eine Zunahme der Amyloide ist zu beobachten.
Ebenso erhöhen chronische Darmentzündungen, wie Parodonitis, Morbus Crohn und Colitis ulcerosa, das Risiko an Alzheimer Demenz zu erkranken.
Überhaupt erhöhen chronische Entzündungsprozesse im mittleren Lebensalter mehr als 20 Jahre später zudem das Risiko einer vaskularen (gefäßbedingen) Demenz durch Blutgerinnsel und Gefäßverengungen.
Die Vielfalt des Mikrobioms geht ebenso mit zunehmenden Lebensalter verloren und die Epithelbarrieren werden durchlässiger.
Auch Übergewicht und Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit) sind bekannte Risikofaktoren für die Entwicklung von Alzheimer Demenz. Sie gehen mit Merkmalen generalisierter Entzündungen und mit Veränderungen des Mikrobioms einher.
Bei Fettleibigen finden sich im Darm insbesondere Mikrobiotika verstärkt vertreten, die die sonst für den menschlichen Organismus nicht direkt verwertbaren Polysaccharide aufschlüsseln.
Bei den Diabetespatienten finden sich opportunistisch *) pathogene *) Bakterien vermehrt.
(*) latein. opportunus ‚günstig‘, ‚geeignet‘, bezeichnet die zweckmäßige Anpassung an die jeweilige Lage.)
(*) griech. pathos „Leiden, Krankheit“ und genesis „Erzeugung, Geburt“, meint die Fähigkeit von Krankheitserregern und bestimmten chemischen Substanzen, z. B. von Toxinen, krankhafte Veränderungen im Organismus hervorzurufen)
Therapieversuche
Die Gabe von Probiotika bei Alzheimer Dementen führte zu keiner Veränderung der kognitiven Leistungsfähigkeit, aber zu einer Abnahme von Entzündungsparametern. Auch Präbiotika wirkten entzündungshemmend. Ebenso hatte eine mediterrane Diät entzündungshemmende Effekte, was die Entwicklung von Alzheimer Demenz zu verzögern scheint.
Auch Tanzen gilt als wirksame Demenzprophylaxe, da es das Gehirn über die rechts-links-Schritt- und Partner- Koordinationsherausforderungen, das notwendige Einfühlungsvermögen und den Einklang mit der Musik trainiert.
Quelle: G. Adler – Darm-Mikorobiom und Alzheimer-Demenz, Nervenheilkunde 2022, 41: 601-606, Thieme-Verlag
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